Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer, der zunächst wegen gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1 AO) und später wegen Verkehrsstraftaten und Widerstandshandlungen verurteilt wurde, rügt die Verletzung von Art. 103 Abs. 3 GG.
1. Der Beschwerdeführer hatte auf einem grenzüberschreitenden Wanderweg Schmuggelgut nach Deutschland verbracht und nach der Trennung der Tätergruppe mit seinem in unmittelbarer Grenznähe abgestellten Kraftfahrzeug abtransportiert. Ein Passant hatte dies unbemerkt beobachtet und wenig später den Bundesgrenzschutz informiert. Nachdem sein Fahrzeug nach einer Fahrt von etwa zehn Kilometern Grenzschutzbeamten aufgefallen war, leistete der Beschwerdeführer nicht nur deren Haltesignal keine Folge, sondern entzog sich auch zwei Mal Kontrollversuchen an zwischenzeitlich eingerichteten Polizeisperren, indem er jeweils mit erheblicher Geschwindigkeit unmittelbar auf die ihm Halt gebietenden Beamten zufuhr und diese so – unter Inkaufnahme einer konkreten körperlichen Gefährdung – zum Ausweichen zwang.
2. Wegen gewerbsmäßigen Schmuggels bereits rechtskräftig mit einer Bewährungsstrafe belegt, verurteilten das Amtsgericht und das Landgericht den Beschwerdeführer wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte; das Oberlandesgericht verwarf seine Revision.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen diese fachgerichtlichen Entscheidungen und rügt die Verletzung von Art. 103 Abs. 3 GG. Er meint, die bereits abgeurteilte Tat des gewerbsmäßigen Schmuggels sowie die während der anschließenden Fahrt begangenen Delikte bildeten einen einheitlichen Lebensvorgang; durch das vorangegangene Steuerstrafverfahren sei Strafklageverbrauch eingetreten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen vom Bundesverfassungsgericht schon entschieden sind (vgl. BVerfGE 23, 191 ≪202≫; 45, 434 ≪435≫; 56, 22 ≪27 ff.≫). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn soweit sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts wendet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil dieses Urteil durch die Entscheidung im Berufungsverfahren prozessual überholt ist; die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen nicht den Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden darf „ne bis in idem”).
1. a) „Tat” im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG ist der geschichtliche – und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte – Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (BVerfGE 23, 191 ≪202≫; 45, 434 ≪435≫; 56, 22 ≪28≫). Ob verschiedene Urteile dieselbe Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG betreffen, ist unabhängig von dem Begriff der Tateinheit (§ 52 StGB) zu beurteilen (vgl. BVerfGE 45, 434 ≪435≫), weil die Rechtsfiguren der Tateinheit (§ 52 StGB) und der Tatidentität (Art. 103 Abs. 3 GG) verschiedene Zwecke verfolgen (BVerfGE 56, 22 ≪30 f.≫). Ein durch den Rechtsbegriff der Tateinheit (§ 52 StGB) zusammengefasster Sachverhalt wird zwar in der Regel auch verfassungsrechtlich eine einheitliche prozessuale Tat darstellen; Ausnahmen sind aber möglich, insbesondere wenn das materielle Recht rechtliche Handlungseinheiten bildet, die mehrere ihrer Natur nach selbständige Sachverhalte in sich aufnehmen (vgl. BVerfGE 56, 22 ≪32, 33≫; 45, 434 ≪435≫).
b) Ebenso ist geklärt, dass die Frage, ob dieselbe Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG vorliegt, der vollen verfassungsrechtlichen Nachprüfung zugänglich ist, während die Würdigung des materiell-rechtlichen Konkurrenzverhältnisses den Fachgerichten obliegt und vom Bundesverfassungsgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts überprüft werden kann (vgl. BVerfGE 45, 434 ≪436≫).
2. Hieran gemessen ist keine Verletzung von Art. 103 Abs. 3 GG festzustellen.
a) Die vom Beschwerdeführer während der Fahrt begangenen Taten waren von der im Steuerstrafverfahren unverändert zugelassenen Anklage nicht umfasst, weil deren Sachverhaltsschilderung mit dem Einladen der Zigaretten in das Fahrzeug des Beschwerdeführers endete. Diese Taten waren auch nicht Gegenstand der in jenem Verfahren getroffenen Urteilsfeststellungen.
b) Ein einheitlicher Lebensvorgang im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG liegt auch nach natürlicher Betrachtung nicht vor.
Schon materiell-rechtlich besteht zwischen der Steuerstraftat und den weiteren Taten keine Tateinheit. Eine Verbindung dieser Taten zu einer natürlichen Handlungseinheit bleibt mangels unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs, übereinstimmenden äußeren Tatbilds und einheitlichen Willens des Beschwerdeführers außer Betracht. Ein (teilidentisches) Zusammentreffen mehrerer objektiver Tatbestandsverwirklichungen in einem Handlungsakt scheidet hier ebenfalls aus, weil die Autofahrt keine Ausführungshandlung der bereits vollendeten Straftat des gewerbsmäßigen Schmuggels nach § 373 Abs. 1 AO darstellte.
Außerdem ereigneten sich die auf dieser Fahrt verwirklichten weiteren strafbaren Handlungen erst nach Ablauf von etwa 15 Minuten sowie ungefähr zehn Kilometer vom Tatort des Schmuggels entfernt und damit in einem erheblichen räumlichen und zeitlichen Abstand zur Vortat. Zudem ging ihnen eine Handlungszäsur voraus, nämlich die nach Vollendung des Schmuggels vollzogene Trennung der Tätergruppe und die anschließende Wegfahrt des Beschwerdeführers. Die unbemerkte Tatbeobachtung durch einen Dritten vermag die verschiedenen Handlungsabschnitte nicht zu einem einheitlichen Vorgang zu verbinden, weil sie sich nicht unmittelbar auf das Verhalten des Beschwerdeführers auswirkte und der Fahrtantritt den natürlichen Zusammenhang auch insoweit unterbrach: Der Tatzeuge verlor den Beschwerdeführer aus den Augen; erst einige Zeit später geriet dieser erstmals in das Visier der Grenzschutzbeamten, womit ein neuer, selbständiger Lebensvorgang begann.
Der Geschehensablauf war zudem nicht von einem einheitlichen Willen des Beschwerdeführers getragen; er verübte die – auch in Tatbild, Tatgeschehen und Angriffsrichtung anders gelagerten – weiteren Taten aufgrund eines erst nach Vollendung der Steuerstraftat spontan gefassten Entschlusses. Im Gegensatz zu einer durch einen Banküberfall begangenen räuberischen Erpressung (vgl. BGH, NStZ 1996, S. 41) begründet die Begehung eines gewerbsmäßigen Schmuggels nach § 373 Abs. 1 AO auch keine spezifische Gefährdungslage, welche die Verwirklichung von Folgetaten generell begünstigt. Der Flucht vom Tatort kommt in diesen Fällen keine wesentliche Rolle im Tatplan zu, weil der Täter die Steuerstraftat regelmäßig heimlich begehen will; jedenfalls dann, wenn er unbewaffnet ist und das Schmuggelgut nicht mit einem Kraftfahrzeug einführt, wie hier, ist dieses Delikt typischerweise nicht mit nachfolgenden strafbaren Handlungen verbunden.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1315629 |
NPA 2006, 0 |
VRA 2005, 90 |
VRR 2005, 112 |