Ein Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft zugutekommt (hier: Ausschlagung mit dem Ziel, die Alleinerbenstellung der Mutter zu erreichen), ist grundsätzlich nur ein nicht zur Anfechtung berechtigender unbeachtlicher Motivirrtum.

OLG Hamm v. 21.4.2022 – 15 W 51/19

BGB § 119, § 1954, § 1955, § 1957

Beraterhinweis Die Ausschlagung wird häufig als Reparaturinstrument bei unterbliebener Erbfolgeplanung eingesetzt. Nicht selten übersieht man jedoch, dass bei einer Ausschlagung durch die Kinder des Erblassers nicht nur der überlebende Ehegatte allein, sondern daneben auch die Verwandten zweiter Ordnung als nachrückende gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen (§§ 1953 Abs. 2, 1925, 1931 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Irrtum hierüber zur Anfechtung der missglückten Ausschlagung berechtigt, ist in der obergerichtlichen Rspr. mittlerweile äußerst umstritten. Die bislang h.M. geht davon aus, dass lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt, weil sich der Ausschlagende nicht über die unmittelbare Rechtsfolge, also den Verlust seiner Erbenstellung, geirrt hat (so OLG Düsseldorf v. 8.1.1997 – 3 Wx 575/96, FamRZ 1997, 905; OLG Schleswig v. 11.5.2005 – 3 Wx 70/04, ZEV 2005, 526; OLG München v. 4.8.2009 – 31 Wx 60/09, NJW 2010, 687; OLG Hamm v. 31.5.2011 – 15 W 176/11, FGPrax 2011, 236; KG v. 11.7.2019 – 19 W 50/19, ZEV 2020, 152). Nach der im Vordringen befindlichen Gegenauffassung handelt es sich dagegen um einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum, weil die Ausschlagung eine wesentlich andere als die beabsichtigte Wirkung erzeugt (so OLG Düsseldorf v. 12.3.2019 – 3 Wx 166/17, FamRZ 2019, 1466; OLG Frankfurt v. 6.2.2021 – 21 W 167/20, MDR 2021, 691).

Nachdem selbst die irrige Vorstellung eines Pflichtteilsberechtigten, er dürfe eine beschwerte Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren, als tauglicher Anfechtungsgrund angesehen wird (BGH v. 29.6.2016 – IV ZR 387/15, ErbStB 2016, 336 [Esskandari/Bick]; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 1954 Rz. 4), spricht vieles dafür, den Irrtum des Ausschlagenden über die Person des nächstberufenen Erben entgegen der bislang herrschenden Meinung als beachtlichen Irrtum anzusehen, der zur Anfechtung berechtigt (so Otte in Staudinger, BGB, § 1954 Rz. 6; Leipold in MünchKomm/BGB, § 1954 Rz. 7; Ivo, ErbR 2018, 684; Keim, ErbR 2021, 1012).

Im Hinblick auf die abweichenden Auffassungen des OLG Frankfurt und des OLG Düsseldorf hat das OLG Hamm die Rechtsbeschwerde zugelassen. Diese ist beim BGH unter dem Az. IV ZB 12/22 anhängig.

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