Befreiende Steuererstattung an den Insolvenzschuldner

Verletzt der Insolvenzverwalter seine Mitwirkungspflichten, kann ihm die Berufung darauf, das FA müsse sich die Kenntnis des ehemals zuständigen FA von der Insolvenzeröffnung zurechnen lassen, verwehrt sein.

Hintergrund

Zu entscheiden war, ob das FA nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit befreiender Wirkung Zahlungen an den Insolvenzschuldner vornehmen kann.

Die Eheleute X wurden bis einschließlich 2002 vom FA Y veranlagt. Mit Beschluss vom 31.01.2003 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frau X eröffnet und I zum Insolvenzverwalter bestellt. Nach einem Wohnsitzwechsel reichten die Eheleute ihre ESt-Erklärungen 2003 bis 2006 beim FA Z ein und erklärten ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die ESt-Bescheide waren entsprechend an die Eheleute adressiert. Sie führten zu ESt-Erstattungen, die das FA Z den Eheleuten auszahlte.

Im Juni 2008 verlangte I vom FA Z, die auf die Insolvenzschuldnerin X entfallenden Erstattungsbeträge (nochmals) an ihn auszuzahlen. Denn aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe das FA Z nicht mit befreiender Wirkung an X leisten können. Das FA Z lehnte das mit der Begründung ab, die Erstattungsansprüche seien durch Zahlung an die Eheleute X erloschen. Das FA Z habe keine Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehabt und müsse sich die Kenntnis des FA Y nicht zurechnen lassen. Ebenso entschied das FG und wies die Klage des I ab.

Entscheidung

Eine Leistung an den Insolvenzschuldner hat nur dann befreiende Wirkung, wenn der Leistende zur Zeit der Leistung keine Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte (§ 82 InsO). Dabei schließt nur positive Kenntnis von der Eröffnung des Verfahrens, nicht aber fahrlässige - auch nicht grob fahrlässige - Unkenntnis den Gutglaubensschutz aus. Im Übrigen kann sich das FA nach Treu und Glauben nicht auf Unkenntnis berufen, wenn die entsprechende Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung der amtlichen Ermittlungspflichten bekannt geworden wäre. Allerdings gilt dies nur dann, wenn der Steuerpflichtige seinerseits - hier I - seine Mitwirkungspflichten erfüllt hat. Liegen sowohl eine Verletzung der amtlichen Ermittlungspflichten als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen vor, ist eine Berufung des FA auf Unkenntnis erst dann ausgeschlossen, wenn der Verstoß gegen die Ermittlungspflichten deutlich überwiegt

Hiervon ausgehend konnte der BFH die im Verfahren in erster Linie diskutierten Streitfragen offen lassen, ob das FA Z bei der Zahlung an die Eheleute X Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte bzw. ob es sich die Kenntnis des FA Y zurechnen lassen muss. Denn selbst wenn sich das FA Z die Kenntnis des FA Y zurechnen lassen müsste bzw. sich nach Treu und Glauben nicht mehr auf seine Unkenntnis berufen dürfte, könnte I keine Erstattungsansprüche geltend machen. Das folgt aus den besonderen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren, denen I als Insolvenzverwalter (§ 34 Abs. 3 AO) nicht nachgekommen ist und deren Nichteinhaltung im Rahmen der Geltendmachung eines Steuererstattungsanspruchs auch Folgen für das Steuererhebungsverfahren hat.

Die Verletzung der Mitwirkungspflichten des I folgt daraus, dass er entweder von dem Wohnsitzwechsel der X wusste, ohne das FA Z über das Insolvenzverfahren zu informieren, oder keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen hat,  den Wohnsitz der Frau X nachzuverfolgen. Außerdem hat er über mehrere Jahre weder die erforderlichen ESt-Erklärungen für X abgegeben noch den Finanzbehörden die Besteuerungsgrundlagen mitgeteilt. I hätte sich zumindest um eine gemeinsame Steuererklärung der Eheleute X kümmern müssen. Aufgrund der Verletzung dieser Mitwirkungspflichten ist ihm die Berufung auf eine Wissenszurechnung beim FA Z bzw. darauf, dass das FA Z nach Treu und Glauben keine Unkenntnis von der Insolvenzeröffnung geltend machen kann, verwehrt. Die Revision des I wurde daher als unbegründet zurückgewiesen.

Hinweis

Obwohl es wegen der vom BFH als entscheidend angesehenen Verletzung der Mitwirkungspflichten durch I nicht darauf ankam, erörtert der BFH ausführlich die Problematik des Kennens oder Kennmüssens im Rahmen der Berichtigung eines Bescheids wegen neuer Tatsachen nach § 173 AO. Hier wird auf die Kenntnis des Vorstehers, Sachgebietsleiters oder Sachbearbeiters abgestellt. Bekannt sind neben den geführten Akten auch sämtliche Informationen, die dem Sachbearbeiter über ein elektronisches Informationssystem zur Verfügung gestellt werden. Dabei kann eine einmal bekannt gewordene Tatsache nicht durch einen Wechsel der Zuständigkeit der Behörde oder des Bearbeiters wieder unbekannt werden, jedenfalls, wenn der zunächst zuständige Beamte einen Aktenvermerk gefertigt hat oder hätte machen müssen. Der BFH verweist auch auf die Rechtsprechung des BGH, nach der jede am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation (im Rahmen des Zumutbaren) sicherstellen muss, dass die ihr zugehenden Informationen an die entscheidenden Personen weitergeleitet und von diesen zur Kenntnis genommen werden. Andernfalls soll die Berufung auf eine Unkenntnis verwehrt sein.

Mit dem Aufwerfen dieser - im Streitfall nicht entscheidungserheblichen - Problematik stößt der BFH eine Fachdiskussion an, deren Entwicklung abzuwarten ist. Es dürfte abzusehen sein, dass die zu § 173 AO entwickelten Grundsätze nur modifiziert auf die Kenntnis des Leistenden von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens übertragen werden können.

BFH Urteil vom 18.08.2015 - VII R 24/13 (veröffentlicht am 05.12.2015)

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