Keine Beschränkung der Erbenhaftung für Erbschaftsteuerverbindlichkeiten
Hintergrund: Inanspruchnahme des Erben als Steuerschuldner trotz Haftung der Miterben
Streitig war die Rechtmäßigkeit von Kontenpfändungen. T ist die Tochter der in 2015 verstorbenen Erblasserin E. E wurde von T und deren Bruder B zu je 1/2 beerbt. Zum Nachlass gehörten Grundbesitz, GmbH-Anteile sowie Bankguthaben. Das FA setzte gegen T ErbSt i.H. von rund 23 Mio. EUR fest. Auf den Einspruch der T setzte das FA antragsgemäß die Vollziehung in Höhe von 18 Mio. EUR aus, so dass noch 5.5 Mio. EUR zu entrichten waren. T beantragte, wegen dieser ErbSt die Forderungen aus dem auf den Namen der E bei der D-Bank geführten Konto (Guthaben 7 Mio. EUR) zu pfänden. B lehne eine Auseinandersetzung des Nachlasses ab. Sie selbst sei nicht in der Lage, die ErbSt aus eigenen Mitteln zu zahlen. Ihr Grundbesitz sei belastet und hinsichtlich ihrer Beteiligungen beständen Verfügungsbeschränkungen.
Das FA pfändete daraufhin in 2016 Forderungen der T aus 4 Bankverbindungen und ordnete die Einziehung an. Die Banken zahlten hierauf (lediglich) 130.000 EUR. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Rechtmäßigkeit dieser Pfändungen. T hatte dagegen erfolglos Einspruch eingelegt. In 2017 erließ das FA Haftungsbescheide gegen über T und B, mit denen es beide zur Entrichtung der noch geschuldeten ErbSt von 5,5 Mio. EUR zuzüglich Säumniszuschläge aus dem Nachlass aufforderte. Daraufhin wurden insgesamt 5.660.000 EUR an das FA gezahlt, worauf dieses die streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen aufhob.
Mit ihrer Klage gegen die – aufgehobenen – Pfändungs- und Einziehungsverfügungen begehrte T die Feststellung, dass die Pfändungen rechtswidrig gewesen seien, da das FA vorrangig den Nachlass im Wege der Haftung nach § 20 Abs. 3 ErbStG hätte in Anspruch nehmen müssen. Das FG wies die Klage ab. Eine Verpflichtung, zunächst von der Möglichkeit einer Inanspruchnahme nach § 20 Abs. 3 ErbStG Gebrauch zu machen, bestehe nicht.
Entscheidung: Ermessensgerechte Entscheidung des FA
Das FA entscheidet über die Art der Vollstreckungsmaßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Grenzen dieses Ermessens hat das FA nicht überschritten. Aus § 20 Abs. 3 ErbStG ergibt sich keine Beschränkung der Vollstreckung auf den Nachlass. Nach § 20 Abs. 3 ErbStG haftet der Nachlass bis zur Auseinandersetzung (§ 2042 BGB) für die Steuer der am Erbfall Beteiligten. Das bedeutet, dass die Erben bis zur vollständigen Erbauseinandersetzung die Vollstreckung in den Nachlass wegen Ansprüchen aus dem ErbSt-Schuldverhältnis eines Erben dulden müssen. § 20 Abs. 3 ErbStG enthält aber keine Vorgabe an das FA, primär in den ungeteilten Nachlass vollstrecken zu müssen. Der Vorschrift lässt sich keine Reihenfolge der Vollstreckung und auch keine Verpflichtung des FA entnehmen, umfangreiche Ermittlungen zum Bestand des Nachlasses und zum eigenen Vermögen des Erben anzustellen.
Die Inanspruchnahme des Steuerschuldners statt des Haftungsschuldners ist grundsätzlich ermessensfehlerfrei
Nach § 219 Satz 1 AO darf allerdings ein Haftungsschuldner nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Die Inanspruchnahme des Steuerschuldners (und nicht des Haftungsschuldners) ist jedoch grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei, wenn neben diesem ein Haftungsschuldner für die Steuerschuld einzustehen hat. T hat als Steuerschuldnerin somit kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung darüber, ob nicht an ihrer Stelle der Nachlass als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist (BFH Urteil vom 08.07.2004 - B 257/03, BFH/NV 2004, 1513).
Keine Haftungsbeschränkung nach § 2059 Abs. 1 BGB
Auch aus der Haftungsbeschränkung nach § 2059 Abs. 1 BGB kann T keine Beschränkung der Vollstreckung zu ihren Gunsten herleiten. Danach kann jeder Miterbe bis zur Teilung des Nachlasses die Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten aus dem Vermögen, das er außer seinem Anteil am Nachlass hat, verweigern. § 2059 BGB gilt nicht nur für gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten, sondern auch für sogenannte Erbteilverbindlichkeiten, die keine gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten sind, weil nur einzelne Miterben beschwert sind. Dazu gehört die ErbSt, deren Schuldner nur der jeweilige Erwerber ist. Allerdings ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 2059 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass diese Einrede dem Erben im Hinblick auf seine persönliche ErbSt-Schuld nicht zusteht. Nach § 2059 Abs. 1 Satz 2 BGB steht dem Erben die Einrede in Ansehung des seinem Erbteil entsprechenden Teils der Verbindlichkeit nicht zu, wenn er für eine Nachlassverbindlichkeit unbeschränkt haftet. Das ist vorliegend gegeben, weil T als Erbin allein und unbeschränkt die ErbSt schuldet (§ 20 Abs. 1 ErbStG).
Auch kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Die Kontenpfändungen waren als Vollstreckungsmaßnahmen geeignet, weil T nach den Erkenntnissen des FA über Forderungen gegen Drittschuldner (Banken) verfügte und die Maßnahme deshalb nicht aussichtslos war. Die Maßnahmen waren auch erforderlich, um die ausstehenden ErbSt-Schulden – wenn auch nicht in vollem Umfang – zu tilgen. Ein milderes Mittel war nicht erkennbar. Insbesondere kann das FA nicht darauf verwiesen werden, zuerst gegen den Nachlass als Haftungsschuldner vollstrecken zu müssen. Im Übrigen erweisen sich die Vollstreckungsmaßnahmen im Streitfall nicht deshalb als unverhältnismäßig, weil sie nur zu einer verhältnismäßig geringen Begleichung der hohen Steuerschulden (5.5 Mio. EUR) geführt haben. Bei einer beigetriebenen Summe von insgesamt 133.000 EUR kann nicht von einem Bagatellbetrag ausgegangen werden, der Vollstreckungsmaßnahmen unbillig erscheinen ließe.
Hinweis: Die vorrangige Vollstreckung in den Nachlas kann ausnahmsweise geboten sein
Ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Ausnahmefällen eine vorrangige Vollstreckung in den Nachlass gebietet, z.B. wenn der Steuerschuldner darlegen kann, dass eine Vollstreckung in sein eigenes Vermögen aussichtlos wäre, musste der Senat nicht entscheiden. Denn nach ihrem eigenen Vortrag verfügte T u.a. über Bankguthaben mit erheblichem Bestand. Schließlich war die Vollstreckung der T zumutbar. Zwar führt die Pfändung eines Kontoguthabens bei einem Kreditinstitut faktisch zu einer Kontosperrung. Dieser besonderen Situation hat der Gesetzgeber jedoch durch die Schaffung eines Pfändungsschutzkontos Rechnung getragen, das auf Antrag des Schuldners nach § 850k ZPO eingerichtet werden kann.
BFH Urteil vom 04.06.2019 - VII R 16/18 (veröffentlicht am 26.09.2019)
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