Fahrtkosten bei VuV sind regelmäßig voll abziehbar
Hintergrund
Die Eheleute erzielten Einnahmen aus der Vermietung dreier Wohnungen (Objekt I) und aus einem Mehrfamilienhaus (Objekt II). Für das Streitjahr 2010 machten sie hinsichtlich beider Objekte Fahrtkosten des Ehemanns auf der Grundlage eines ordnungsgemäß geführten Fahrtenbuchs mit einem Kilometersatz von 2,22 EUR geltend. Es handelt sich um 40 Fahrten von der Wohnung zum Objekt I und von dort zum Objekt II bis zurück zur Wohnung, 125 Fahrten zwischen Wohnung und Objekt I und 175 Fahrten zwischen Wohnung und Objekt II. An dem Objekt II wurden umfangreiche Handwerkerleistungen ausgeführt. Die Fahrten dienten laut Fahrtenbuch der Verwaltung (Streuen, Fegen, Wässern, Pflanzen). Sie standen aber offenbar auch in Zusammenhang mit Sanierungsarbeiten.
Das FA berücksichtigte die Fahrten zu den beiden Objekten nur mit der Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungskilometer) und die sonstigen Fahrten mit dem Kilometersatz von 2,22 EUR. Ebenso entschied das FG mit der Begründung, der Ehemann habe an den beiden Objekten eine regelmäßige Tätigkeitsstätte begründet.
Entscheidung
Die Abzugsbeschränkung auf die Entfernungspauschale gilt auch im Rahmen der Einkünfte aus VuV. Wird im Zusammenhang mit der Vermietungstätigkeit außerhalb der Wohnung eine regelmäßige Tätigkeitstätte begründet, können die Fahrten zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte nur mit der Entfernungspauschale geltend gemacht werden. Denn § 9 Abs. 3 EStG verweist auf § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Die Regelung dient der Gleichstellung von Nichtarbeitnehmern mit Arbeitnehmern.
Eine regelmäßige Tätigkeitsstätte im Sinne der Verweisung auf § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG liegt dann vor, wenn das vermietete Objekt - vergleichbar der regelmäßigen Arbeitsstätte des Arbeitnehmers - der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft und auf Überschusserzielung angelegten Vermietungstätigkeit des Vermieters ist. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, welche Tätigkeiten der Vermieter an dem oder den verschiedenen Vermietungsobjekten im Einzelnen wahrnimmt und welches konkrete Gewicht diesen Tätigkeiten zukommt. Der regelmäßigen Tätigkeitsstätte muss eine hinreichend zentrale Bedeutung im Rahmen der mit dem Objekt erzielten Einkünfte zukommen. Das regelmäßige Aufsuchen des Objekts allein (z.B. zu Kontrollzwecken oder zur Ablesung von Zählerständen) reicht dafür nicht aus. Vielmehr ist eine gewisse Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit der Tätigkeit am Vermietungsobjekt erforderlich.
Die Vermietungstätigkeit besteht im Wesentlichen in der Verwaltung des Grundbesitzes. Bei nicht umfangreichem Grundbesitz erfordert diese Verwaltung üblicherweise keine besonderen Einrichtungen, wie z.B. ein Büro, sondern wird regelmäßig vom häuslichen Schreibtisch aus erledigt. Regelmäßige Tätigkeitsstätte ist dann die Wohnung. Gelegentliche Fahrten zu dem vermieteten Objekt sind folglich nicht lediglich mit der Entfernungspauschale, sondern mit den tatsächlichen Kosten je gefahrenem Kilometer abziehbar. Anders ist es dagegen, wenn der Vermieter ein Objekt nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht und dort schwerpunktmäßig tätig wird. Dann unterhält er - vergleichbar einem Arbeitnehmer - dort eine regelmäßige Tätigkeitstätte. Denn das Objekt stellt den Mittelpunkt seiner auf dieses Objekt bezogenen Vermietungstätigkeit dar. Dem Vermieter ist es dann möglich, sich auf die immer gleichen Wege einzustellen und die anfallenden Wegekosten, z.B. durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, gering zu halten. Das rechtfertigt die Abzugsbeschränkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG auch bei den Einkünften aus VuV als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip.
Hiervon ausgehend bestätigt der BFH die Auffassung des FA und des FG, dass der Ehemann an den beiden Vermietungsobjekten eine regelmäßige Tätigkeitsstätte begründet hat. Denn er suchte die Objekte nicht nur gelegentlich zu Kontrollzwecken, sondern mit einer hinreichenden Nachhaltigkeit auf. Die ungewöhnlich hohe Zahl der Fahrten belegt seine praktisch arbeitstägliche Anwesenheit. Die Revision wurde daher zurückgewiesen.
Hinweis
Die Entscheidung betrifft die Rechtslage bis 2013. Sie ist aber auch für die Neuregelung von Bedeutung. Mit dem Gesetz zur Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts v. 20.2.2013 (BGBl 2013 I S. 285) hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BFH aufgegriffen, wonach der Arbeitnehmer nur eine regelmäßige Arbeitsstätte je Dienstverhältnis (nunmehr "erste Tätigkeitsstätte") haben kann. Außerdem wurde die Legaldefinition der ersten Tätigkeitsstätte in das Gesetz aufgenommen (§ 9 Abs. 4 EStG). Maßgebend ist danach die Zuordnung durch den Arbeitgeber. Fehlt es an einer Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers, ist darauf abzustellen, wo der Arbeitnehmer überwiegend (zwei Arbeitstage oder ein Drittel seiner Arbeitszeit) tätig werden soll (§ 9 Abs. 4 Satz 4 EStG). Bei einem Vermieter läge der vergleichbare Fall nur dann vor, wenn er dauerhaft weniger als ein Drittel der Arbeitszeit am häuslichen Schreibtisch bzw. mehr als zwei Drittel am Objekt tätig wäre. Ausnahmsweise könnte das z.B. während einer Renovierungsphase vorkommen. Die Entfernungspauschale dürfte daher in Vermietungsfällen nur selten zur Anwendung kommen.
Dass der Arbeitnehmer höchstens eine erste Tätigkeitsstätte haben kann, bezieht sich auf das einzelne Dienstverhältnis (§ 9 Abs. 4 Satz 5). Ebenso wie bei mehreren Dienstverhältnissen können daher auch bei mehreren Mietobjekten mehrere erste Tätigkeitsstätten bestehen. Da der Ehemann beide Objekte regelmäßig und nachhaltig angefahren hat, bestand dort jeweils eine Tätigkeitsstätte mit der Folge, dass die Fahrten zu beiden Objekten nicht mit dem von ihm ermittelten Kilometersatz von 2,22 EUR, sondern lediglich mit der Entfernungspauschale berücksichtigt werden konnten.
Urteil v. 1.12.2015, IX R 18/15, veröffentlicht am 20.4.2016
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