Krankheits- und Beerdigungskosten als außergewöhnliche Belastung
Hintergrund: Krankheitskosten, Bestattungskosten, Erstattung in einem späteren Jahr
A ist (neben anderen Miterben) Erbe nach seiner in 2009 verstorbenen Ehefrau E. A machte für das Streitjahr 2009 rund 14.000 EUR Krankheitskosten und Bestattungskosten als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Krankheitskosten betrafen 50 % der Kosten der stationären Behandlung in einer Privatklinik, die von der Krankenkasse nur zu Hälfte übernommen wurden. Das FA anerkannte zunächst Krankheitskosten in Höhe von rund 7.000 EUR als außergewöhnliche Belastung, darunter die Aufwendungen für den Klinikaufenthalt. Unberücksichtigt blieben die Aufwendungen für "Reiki-Behandlungen" (Handauflegen), für Schuhe, für verschiedene Medikamente und für weitere nicht näher spezifizierte Aufwendungen. Ferner wurden die Bestattungskosten (rund 6.000 EUR) nicht anerkannt. In 2013 erklärte sich die Krankenkasse bereit, die Krankenhauskosten vollständig zu übernehmen. Das FA setzte darauf die bisher berücksichtigte außergewöhnliche Belastung um rund 4.000 EUR herab. Nach Abzug der zumutbaren Belastung ergab sich keine Steuerminderung mehr.
Gegen das klageabweisende FG-Urteil wandte E ein: die Nichtberücksichtigung von Krankheitskosten bei einer tödlichen Erkrankung aufgrund fehlender Formalnachweise verstoße gegen § 33 EStG, die rückwirkende Anwendung des Nachweiserfordernisses nach § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 sowie der Ansatz einer zumutbaren Belastung seien verfassungswidrig, die in 2013 von der Krankenkasse geleistete Zahlung mindere nicht die außergewöhnliche Belastung im Streitjahr 2009.
Entscheidung: Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung
Der BFH wies die Revision zurück.
Formalisierter Nachweis von Krankheitskosten
Selbst wenn es sich bei den erworbenen Medikamenten um Arzneimittel handelte, fehlt es am dem nach § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStDV n.F. erforderlichen Nachweis. E konnte keine vor dem Erwerb ausgestellte Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers vorlegen. Entsprechendes gilt für die Schuhe. Unterstellt, es habe sich um medizinische Hilfsmittel gehandelt, habe E jedenfalls nicht den Nachweis durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK) erbracht (§ 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e EStDV).
Handauflegen ist keine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode
Das Handauflegen ("Reiki"), das im Übrigen durch eine nicht zur Ausübung der Heilkunde zugelassene Person aus der Ferne über Gedankenübertragung praktiziert wurde, ist eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode i.S.v. § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV. Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode nur dann, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Ein zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen erforderliches amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung des MDK haben die Erben nicht vorgelegt.
Rückwirkend eingeführte Nachweiserfordernisse
Das mit dem StVereinfG 2011 eingeführte formalisierte Nachweisverlangen ist – auch hinsichtlich seiner rückwirkenden Einführung – verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das hat der BFH bereits entschieden (BFH vom 19.04.2012 - VI R 74/10, Haufe Index 3019100 und vom 25.04.2017 - VIII R 52/13, Haufe Index 10985131). Das BVerfG betont, dass das Rückwirkungsverbot nicht gilt, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (BVerfG vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08, Haufe Index 6490483). Davon ist hier auszugehen. Denn mit der rückwirkenden Anordnung des formalisierten Nachweises wurde die Rechtslage so geregelt, wie sie der früheren Rechtsprechung und einhelligen Verwaltungspraxis entsprach.
Anrechnung des Nachlasses auf die Beerdigungskosten
Auch die Beerdigungskosten waren nicht zum Abzug zuzulassen. Als rechtliche Verpflichtung kommt § 1968 BGB in Betracht. Danach trägt der Erbe die Beerdigungskosten. Da er jedoch die Möglichkeit hat, die Erbschaft auszuschlagen, setzt er mit der Annahme der Erbschaft regelmäßig selbst den Grund für seine Rechtspflicht. Die Verpflichtung trifft ihn somit nicht zwangsläufig. A war zwar aufgrund seiner persönlichen Beziehung als Ehemann grundsätzlich auch sittlich verpflichtet, die Beerdigungskosten zu tragen. Er konnte die Kosten indes aus seinem Anteil am Nachlass bestreiten. Damit war er durch die Kosten nicht wirtschaftlich belastet (BFH Urteil vom 29.05.1996 - III R 86/95, Haufe Index 65915).
Spätere Ersatzleistungen mindern die Belastung
Die anerkannten Krankheitskosten des Streitjahrs 2009 waren um die in 2013 erhaltene Zahlung der Krankenkasse zu mindern. Da die Krankheitskosten nur insoweit zu berücksichtigen sind, als sie das Einkommen tatsächlich und endgültig belasten, sind bei der Ermittlung der Höhe der außergewöhnliche Belastung auch solche Ersatzleistungen, Beihilfen, und andere Erstattungsbeträge abzuziehen, die der Steuerpflichtige erst in einem späteren Jahr erhält (BFH Urteil vom 30.07.1982 - VI R 67/79, Haufe Index 74385).
Zumutbare Belastung auch bei Krankheitskosten
Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut kann auch bei Krankheitskosten auf den Ansatz einer zumutbaren Belastung nicht verzichtet werden. Denn das Gesetz differenziert nicht zwischen Krankheitskosten und anderen abziehbaren Aufwendungen (BFH vom 25.04.2017 - VIII R 52/13, Haufe Index 10985131). Das Einkommen ist allerdings insoweit steuerfrei zu stellen, als es dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau entspricht. Nachdem die Krankenkasse in 2013 die Krankenhauskosten vollständig erstattete, betreffen die verbleibenden (vom FA anerkannten) Krankheitskosten die (von der Krankenkasse nicht erstatteten) Aufwendungen für ärztliche Behandlung auf (private) Rechnung, Zuzahlungen zu einer Kur, Aufwendungen für Krankengymnastik usw. Diese Aufwendungen gehören jedoch nicht zum sozialhilferechtlich gewährleisteten Leistungsniveau. Ein Sozialhilfeempfänger hätte diese Aufwendungen nicht aus allgemeinen Haushaltsmitteln erstattet erhalten. Es ist daher insoweit nicht geboten, vom Ansatz der zumutbaren Belastung abzusehen.
Hinweis: Unzumutbare Zuzahlungen bei Eingriff in das Existenzminimum
Der BFH hebt hervor, Zuzahlungen zu Krankheitskosten könnten dann nicht mehr zumutbar sein, wenn dadurch in das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum eingegriffen wird (BSG vom 22.04.2008 - B 1 KR 10/07 R, Haufe Index 1993759). Das lässt sich allerdings nur unter Würdigung der gesamten gesetzlichen Regelungskonzeption beurteilen. Im Übrigen enthält die – recht umfangreiche - Entscheidung eine Bestätigung der von der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze. Zur Rückwirkungsproblematik im Bereich des neu eingeführten formalisierten Nachweises von Krankheitskosten weist der BFH darauf hin, dass für die Zeit nach dem Ergehen der (die bisherige Rechtsprechung ändernden) BFH-Urteile vom 11.11.2010 - VI R 16/09 (Haufe Index 2596351) und VI R 17/09 (Haufe Index 2596352) bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss bzw. der Verkündung des StVereinfG 2011 am 1./4.11.2011 etwaige im Vertrauen auf die Rechtsprechungsänderung getätigte Dispositionen Vertrauensschutz genießen können. Wegen Zeitablaufs kommen solche Fälle allerdings kaum vor.
BFH Beschluss vom 21.02.2018 - VI R 11/16 (veröffentlicht am 14.5.2018).
-
Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO ist unwiderruflich
6765
-
Vermietung an den Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
675
-
Abschreibung für eine Produktionshalle
674
-
Abzug von Fahrtkosten zur Kinderbetreuung
512
-
Berechnung der Zehn-Jahres-Frist bei sanierungsrechtlicher Genehmigung
472
-
Vorsteuerabzug bei Betriebsveranstaltungen
454
-
Sonderausgabenabzug für einbehaltene Kirchensteuer auf Kapitalerträge aus anderen Einkunftsarten
444
-
Anschrift in Rechnungen
429
-
Neue Grundsteuer B in Baden-Württemberg ist verfassungsmäßig
421
-
Teil 1 - Grundsätze
412
-
Verfassungsmäßigkeit des grundsteuerlichen Bewertungsrechts im Bundesmodell
20.12.2024
-
Gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Werbeaufwendungen
19.12.2024
-
Alle am 18.12.2024 veröffentlichten Entscheidungen
19.12.2024
-
Zuordnung zum land- und forstwirtschaftlichen Vermögen
18.12.2024
-
Verluste im Rahmen eines Steuerstundungsmodells nach § 15b EStG
18.12.2024
-
Verurteilung zweier Angeklagter wegen Steuerhinterziehung durch Cum-Ex-Geschäfte
18.12.2024
-
Innerorganschaftliche Zinsaufwendungen für den Erwerb einer Beteiligung
18.12.2024
-
Minderung der Miete durch Zeichnung von Genossenschaftsanteilen
16.12.2024
-
Kosten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft
16.12.2024
-
Änderung des Gesellschafterbestands einer grundbesitzenden Personengesellschaft
16.12.2024