Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs: Keine Hinweispflicht auf die Rechtsansicht des Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn bei der gemäß Art. 1 Nr. 7 Satz 2 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs gebotenen Unterrichtungspflicht und Anhörungspflicht nicht auf die Rechtsansicht des zur Entscheidung berufenen Senats hingewiesen wird, zu der sich die Prozeßbeteiligten bisher nicht geäußert haben und zu der eine Äußerung nach dem Verlauf des Verfahrens auch nicht veranlaßt war.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 7 S. 2; FGO § 76 Abs. 2, § 121
Verfahrensgang
BFH (Beschluss vom 19.04.1985; Aktenzeichen III R 6/81) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
1. Die X.-Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH & Co. KG, von der die Beschwerdeführer ihre Rechte herleiten, beantragte für 1973 und 1974 eine Investitionszulage von rund 325 933 DM nach Art. 1 § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Gewährung von Investitionszulagen und zur Änderung steuerrechtlicher und prämienrechtlicher Vorschriften vom 18. August 1969 (BGBl. I S. 1211) – im folgenden InvZulG 1969 –. Die Zulage wurde für die Herstellungskosten eines Hotelgebäudes begehrt, das die Gesellschaft verpachtet hatte.
a) Erst § 1 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes über die Gewährung von Investitionszulagen im Zonenrandgebiet und in anderen förderungsbedürftigen Gebieten sowie für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen (Investitionszulagengesetz) in der Fassung vom 12. Oktober 1973 (BGBl. I S. 1494) – InvZulG 1973 – macht ausdrücklich die Gewährung einer Investitionszulage für Gebäude davon abhängig, daß diese mindestens drei Jahre nach ihrer Herstellung vom Steuerpflichtigen zu mindestens 90 vom Hundert zu eigenbetrieblichen Zwecken verwendet werden. Die Finanzverwaltung ging aber davon aus, daß ein Anspruch auf Gewährung von Investitionszulagen für unbewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens auch nach dem Investitionszulagengesetz 1969 nur bestehe, wenn diese mindestens drei Jahre vom Steuerpflichtigen eigenbetrieblich genutzt wurden (vgl. DB 1973, S. 1191 (1193); BB 1973, S. 1106 (1107)). Dagegen hatte der Bundesfinanzhof entschieden, es reiche für die Gewährung der Investitionszulage aus, wenn der Investor die Betriebsstätte innerhalb des Dreijahreszeitraums verpachte und der Pächter sie während des noch nicht abgelaufenen Teils der drei Jahre unverändert und selbständig fortführe (BStBl. 1977 II S. 171).
b) Das Finanzamt lehnte den Antrag auf Gewährung der Investitionszulage unter anderem mit der Begründung ab, eine eigenbetriebliche Nutzung des Hotelgebäudes sei wegen der Verpachtung nicht gegeben.
Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht ging dabei von der Maßgeblichkeit des Investitionszulagengesetzes 1969 aus. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BStBl. 1978 II S. 116) führte das Gericht aus, § 1 InvZulG 1969 setze voraus, daß die Investition im Zusammenhang mit der Errichtung oder der förderungswürdigen Erweiterung einer Betriebsstätte durch den Steuerpflichtigen stehe. Hieran fehle es, weil die Kommanditgesellschaft keine funktionsfähige Betriebsstätte verpachtet habe. Vielmehr habe der Pächter noch Aufwendungen von etwa einer Million DM machen müssen, um das Gebäude als Hotel nutzen zu können.
c) Im Verlauf des Revisionsverfahrens wurde dem Bevollmächtigten mitgeteilt, der Senat habe beschlossen, gemäß Art. 1 Nr. 7 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl. I S. 1861) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 4. August 1980 (BGBl. I S. 1147) zu verfahren. Danach kann der Bundesfinanzhof über die Revision in der Besetzung von fünf Richtern durch Beschluß entscheiden, wenn er einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher davon zu unterrichten und zu hören. Die Voraussetzungen dieses Verfahrens sind im Beschluß festzustellen; einer weiteren Begründung bedarf es nicht.
Nachdem der Bevollmächtigte erneut seine Rechtsansicht vorgetragen hatte, erging der angekündigte Beschluß. Die Revision wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß der Senat die Voraussetzung des § 1 InvZulG 1973 nicht für gegeben halte, wonach das begünstigte Wirtschaftsgut (Gebäude) mindestens drei Jahre nach seiner Herstellung vom Steuerpflichtigen zu mindestens 90 vom Hundert zu eigenbetrieblichen Zwecken verwendet werden müsse.
d) Die Beschwerdeführer erhoben Gegenvorstellung und machten dabei einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend. Bis zum Beschluß des Bundesfinanzhofs über die Zurückweisung der Revision habe unter den Beteiligten Übereinstimmung darüber bestanden, daß § 1 InvZulG 1969 anzuwenden sei. Diese Vorschrift habe noch nicht die einschränkenden Voraussetzungen enthalten, auf die der Bundesfinanzhof seine Entscheidung stütze.
Dem Bevollmächtigten wurde nach Beratung des Senats vom Vorsitzenden mitgeteilt, für die Entscheidung sei die rechtliche Überlegung maßgebend gewesen, daß die Beschwerdeführer als Investoren keine Betriebsstätte errichtet hätten. Dies sei aber nach beiden Investitionszulagengesetzen notwendige Voraussetzung für den Anspruch. Zu dieser Frage hätten die Beschwerdeführer sich geäußert.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.
Entsprechend der Begründung des angegriffenen Beschlusses sei die Revision zurückgewiesen worden, weil die Voraussetzung der mindestens dreijährigen Verweildauer des begünstigten Wirtschaftsgutes im eigenen Betrieb nicht erfüllt worden sei. § 1 InvZulG 1969 habe diese Voraussetzung jedoch noch nicht enthalten. Danach erscheine es evident, daß der Beschluß des Bundesfinanzhofs bei zutreffender Gesetzesanwendung mit der ihm beigegebenen Begründung nicht hätte ergehen dürfen. Die Beschwerdeführer seien auf die beabsichtigte Anwendung des Investitionszulagengesetzes 1973 nicht hingewiesen worden. Wäre dies geschehen, hätten sie dazu Stellung nehmen können. Aufgrund der gegebenen Umstände sei auszuschließen, daß die Revision in diesem Fall gleichwohl mit der vorliegenden Begründung zurückgewiesen worden wäre. Der fehlende Hinweis sei nicht nur im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG von Bedeutung, weil es sich um eine im Revisionsverfahren ergangene Entscheidung handele, sondern vor allem auch deshalb, weil mit der Entscheidung nach Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs den Beschwerdeführern die Möglichkeit einer umfassenden Erörterung der Rechtslage in einer mündlichen Verhandlung genommen worden sei.
3. Der Bundesminister der Justiz hat namens der Bundesregierung erklärt, daß er von einer Stellungnahme absehe.
Das Finanzamt als Beklagter des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Der angegriffene Beschluß verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. a) Der in Art. 103 Abs. 1 GG zum Grundrecht erhobene Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muß (BVerfGE 67, 208 (211)). Danach ist hier Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs die maßgebliche Bestimmung. Diese verlangt die Unterrichtung und Anhörung der Beteiligten, wenn der Bundesfinanzhof in der Besetzung von fünf Richtern die Revision einstimmig für unbegründet hält und durch Beschluß ohne vorherige mündliche Verhandlung entscheiden will. Über die beabsichtigte Form der prozessualen Erledigung ihrer Revision sind die Beschwerdeführer informiert worden. Mithin wurde ihnen die Möglichkeit gegeben – die sie auch wahrgenommen haben –, durch eine erneute Stellungnahme den Senat davon zu überzeugen, daß die Sache entgegen seiner Ansicht einer Entscheidung aufgrund einer mündlichen Verhandlung bedürfe. Damit wurde dem Prozeßgrundrecht genügt.
b) Es mag für die Beschwerdeführer schwer verständlich sein, daß der Bundesfinanzhof es unterlassen hat, sie auf die Entscheidungserheblichkeit des Investitionszulagengesetzes 1973 hinzuweisen. Da sie von der Anwendbarkeit des Investitionszulagengesetzes 1969 nach dem bisherigen Prozeßverlauf ausgehen konnten, wäre es ihnen bei Kenntnis der davon abweichenden Ansicht des Bundesfinanzhofs möglich gewesen, zur Frage der Maßgeblichkeit des für sie nach ihrer Ansicht günstigeren Investitionszulagengesetzes 1969 Stellung zu nehmen. Indessen folgt aus der Unterlassung des Bundesfinanzhofs keine Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführer auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Selbst wenn eine derartige Aufklärungsverpflichtung des Bundesfinanzhofs nach §§ 121, 76 Abs. 2 FGO bestanden hätte, liegt ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht vor; denn aus diesem Prozeßgrundrecht folgt keine Frage- und Aufklärungspflicht in bezug auf die Rechtsansicht des Gerichts (vgl. BVerfGE 66, 116 (147); 67, 90 (96)). Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs die Unterrichtung und Anhörung der Beteiligten vor Erlaß des die Revision zurückweisenden Beschlusses zwingend vorschreibt.
c) Die Beschwerdeführer haben darauf hingewiesen, es gehe nicht nur darum, daß der Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt unterblieben sei. Als Folge dieser Unterlassung sei entgegen § 90 Abs. 1 FGO in der Sache ohne mündliche Verhandlung entschieden worden. Diese Ausführungen führen schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis, weil auch bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beteiligten von Verfassungs wegen keinen Anspruch darauf haben, daß das Gericht sie über seine Rechtsansicht unterrichtet, selbst wenn diese bisher in den Prozeß nicht eingeführt worden ist. Insoweit ergeben sich in der verfassungsrechtlichen Beurteilung keine Unterschiede, ob das Gericht ohne oder aufgrund einer mündlichen Verhandlung entschieden hat.
2. Da der angegriffene Beschluß nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt, erübrigt sich die Beantwortung der Frage, ob die durch die Gegenvorstellung der Beschwerdeführer ausgelöste erneute Beratung des Gerichts geeignet sein könnte, eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu heilen. Es braucht auch nicht geprüft zu werden, ob die angegriffene Entscheidung überhaupt auf einer solchen Verletzung beruht; das wäre zu verneinen, wenn im Fall der Beschwerdeführer – wie diesen auf ihre Gegenvorstellung vom Bundesfinanzhof mitgeteilt wurde – die Anwendung beider Fassungen des Investitionszulagengesetzes zum gleichen Ergebnis führt.
Fundstellen
Haufe-Index 1566275 |
BVerfGE, 1 |
NJW 1987, 1192 |
DVBl. 1987, 237 |