Dr. Andreas Nagel, Dipl.-Finanzwirt Thomas Rennar
Frage: Meine Kanzlei befindet sich in unmittelbarer Nähe eines Finanzamts. Die Mandanten, die ich betreue, werden überwiegend bei diesem Finanzamt steuerlich geführt. In der Vergangenheit hatte ich bereits mehrfach Klagen gegen eine Einspruchsentscheidung durch Einwurf in den Finanzamts-Briefkasten fristwahrend erhoben.
Ich habe mich kürzlich mit einem Kollegen über diese Thematik ausgetauscht. Dieser meinte, dass die ab dem 1.1.2023 für Steuerberater geltende verpflichtende elektronische Kommunikation auch für die Anbringung der Klage beim Finanzamt gelten müsste. Können Sie uns bei der Klärung dieser Zweifelsfrage weiterhelfen?
Antwort: Die Frage, ob die für Steuerberater geltende verpflichtende elektronische Kommunikation auch für die Anbringung einer Klage bei der Finanzbehörde gilt, ist – soweit ersichtlich – bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden. Allerdings spricht vieles dafür, dass eine Klage auch bei der Anbringung beim Finanzamt elektronisch einzureichen ist.
Auf den ersten Blick könnte man zwar zu der Auffassung gelangen, dass eine Klage auch durch Einwurf in den Finanzamts-Briefkasten zulässig angebracht werden kann. Denn § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmt (lediglich), dass die 1-monatige Klagefrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO als gewahrt gilt, wenn die Klage bei der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung erlassen oder den Beteiligten bekannt gegeben hat, innerhalb der Frist angebracht oder zu Protokoll gegeben wird. Die Behörde hat die Klageschrift in diesem Fall unverzüglich dem Gericht zu übermitteln (§ 47 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Erleichterung des Zugangs zum Gericht
§ 47 FGO betrifft allerdings nur die Frist und nicht die Form (vgl. auch die Überschrift: "Frist zur Klageerhebung"). Die Rechtshängigkeit der Klage tritt zwar erst mit ihrem Zugang beim FG ein. Die Anbringung der Klage beim Finanzamt führt aber in Bezug auf die Fristwahrung der Klageerhebung die Wirkungen herbei, die einträten, wenn die Klage unmittelbar beim FG erhoben worden wäre. § 47 Abs. 2 FGO will im Interesse der Kläger den Zugang zum Gericht erleichtern (vgl. BFH, Urteil v. 28.2.1978, VIII R 112/75, BStBl 1978 II, S. 376).
Nach § 64 Abs. 1 FGO ist die Klage beim Gericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. § 52d FGO (i. V. m. § 52a FGO) ergänzt und modifiziert § 64 Abs. 1 FGO allerdings dahingehend, dass u. a. Steuerberater verpflichtet sind, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ein Formverstoß führt zur Unwirksamkeit und schließt damit insbesondere eine Fristwahrung aus (vgl. BFH, Beschluss v. 28.4.2023, XI B 101/22, BStBl 2023 II, S. 763). Die aus § 52d FGO folgende Nutzungspflicht erweist sich damit als weitere, von Amts wegen zu berücksichtigende Formvorschrift für rechtswirksame Prozesshandlungen durch sog. bestimmende Schriftsätze, da über den Wortlaut des § 52d Satz 1 FGO hinaus jedenfalls über § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 253 Abs. 4 ZPO gerade auch solche Schriftsätze angesprochen sind (BFH, Beschluss v. 27.4.2022, XI B 8/22, BFH/NV 2022, S. 1057, Rn. 8). § 52d FGO gilt für alle Verfahren nach der FGO (BFH, Beschluss v. 23.8.2022, VIII S 3/22, BStBl II 2023, S. 83, Rn. 3).
Keine geringen Formerfordernisse trotz Wortlaut
Inwiefern die Regelungen des § 52d FGO und § 47 Abs. 2 FGO aufeinander abgestimmt sind, lässt sich dem Gesetz nicht eindeutig entnehmen. Insofern könnte man auf die Idee kommen, dass für die Anbringung der Klage bei der Behörde i. S. v. § 47 Abs. 2 FGO geringere Formerfordernisse bestünden.
§ 52d FGO gilt nach seinem Wortlaut und nach dem Willen des Gesetzgebers allerdings umfassend. So lässt sich dem Wortlaut des § 52d FGO keine Einschränkung dahingehend entnehmen, dass die Vorschrift nur für die Klageerhebung direkt beim FG gelten soll. Eine Ausnahme ist im Gesetz nur in § 52d Satz 3 FGO (vorübergehende technische Unmöglichkeit) geregelt. Weitere Ausnahmen sieht das Gesetz nicht vor.
Außerdem wollte der Gesetzgeber mit Einführung des § 52d FGO die verpflichtende elektronische Kommunikation durch sog. "professionelle Verfahrensbeteiligte" umfassend regeln und nicht länger an einer freiwilligen Nutzung der elektronischen Kommunikation festhalten. Eine umfassende Regelung wird jedoch nur erreicht, wenn § 52d FGO auch im Rahmen des § 47 Abs. 2 FGO zu beachten ist, da ansonsten eine "leichte Umgehungsmöglichkeit" bestehen würde, wenn die Klage quasi formlos bei der Behörde angebracht werden könnte (vgl. Matthias Steinhauff, "Gilt § 52d FGO auch bei Anbringung der Klage bei der Behörde?", AO-StB 2024, S. 53).
Das Niedersächsische FG (Urteile v. 16.4.2024, 13 K 114/23, Revision eingelegt, Az. beim BFH: X R 11/24, und 13 K 115/23, Revision eingelegt, Az. beim BFH: X R 12/24) hat zwischenzeitlich entschieden, dass § 47 Abs. 2 FGO nicht von der Einhaltung der Formvorschriften aus §§ 52a, 52d FGO dispensiert,...