Rz. 68

Rechtsfolge des § 176 AO ist, dass bei einer Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheids weiterhin von dem für nichtig erklärten Gesetz, von der verfassungswidrigen Norm, von der sachlich unrichtigen Entscheidung des obersten Gerichtshofs des Bundes bzw. der rechtswidrigen allgemeinen Verwaltungsvorschrift auszugehen ist. § 176 AO verhindert, dass der Steuerfall des Stpfl. bei einer Änderungsfestsetzung anhand der neuen Rspr., der neuen Rechtslage nach Nichtigerklärung des Gesetzes oder der neuen Verwaltungsauffassung nach Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsanweisung geprüft wird.[1] Der Stpfl. wird also so gestellt, als wäre seine Steuerfestsetzung bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Ereignis des § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3, Abs. 2 AO eintritt, bereits bestandskräftig (unabänderlich) abgeschlossen gewesen.

 

Rz. 68a

Rechtsfolge der Anwendung des § 176 AO ist, dass keine Änderung der Steuerfestsetzung erfolgen darf, wenn die Änderung ausschließlich Faktoren betrifft, auf die sich die Entscheidung des BVerfG oder des obersten Bundesgerichts, die Änderung der Rechtsprechung oder die Verwerfung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift bezieht. Dagegen kann eine Änderung, das Vorliegen eines Änderungstatbestands vorausgesetzt, durchgeführt werden, wenn daneben andere Besteuerungsgrundlagen geändert werden sollen. In diesem Fall ist bei der Änderung des Bescheids die steuerliche Rechtslage so zugrunde zu legen, wie sie sich aufgrund der Rechtslage vor den in Abs. 1, 2 aufgeführten Ereignissen dargestellt hat.[2] Der Besteuerung ist daher u. U. eine als unzutreffend erkannte Auslegung des Gesetzes zugrunde zu legen. Die Besteuerung ist so durchzuführen, wie sie zu erfolgen hätte, wenn das in Abs. 1, 2 definierte Ereignis nicht eingetreten wäre. Dabei sind sowohl für den Stpfl. günstige wie auch belastende Faktoren und Auslegungen zu berücksichtigen, wie sie aufgrund der ursprünglichen Rechtslage bzw. Rechtsprechung ohne die Berücksichtigung der ändernden Ereignisse hätten berücksichtigt werden müssen. Bei einer Mehrzahl von zu ändernden Besteuerungsgrundlagen, bei denen einige dem Vertrauensschutz nach § 176 AO unterliegen, andere hingegen nicht, ist § 177 AO anzuwenden.

 

Rz. 69

§ 176 AO ist nicht spezifisch hinsichtlich der Frage, wer die neue Rechtslage nicht berücksichtigen darf. Vielmehr enthält die Vorschrift nur die Regelung, dass die neue Rechtslage "nicht berücksichtigt werden darf". Damit richtet sich das Gebot, Vertrauensschutz zu gewähren, nicht nur an die Finanzbehörde, sondern auch an das FG.[3] Sonst hätte formuliert werden müssen: "Die Finanzbehörde darf nicht berücksichtigen." Das bedeutet, dass nicht nur die Finanzbehörde bei Erlass eines Änderungsbescheids Vertrauensschutz gewähren muss, sondern auch das FG, wenn es im Anfechtungsverfahren gegen einen Änderungsbescheid (nicht: gegen einen Erstbescheid) die Steuer abweichend von der angefochtenen Festsetzung festsetzen will.

 

Rz. 69a

§ 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO bestimmt, dass die geänderte, für den Stpfl. ungünstige Rechtsprechung nicht berücksichtigt werden darf. Damit ist nicht Voraussetzung, dass die Finanzverwaltung den Steuerbescheid aufgrund der geänderten Rechtsprechung ändern will. Vertritt die Finanzverwaltung bereits vor der Änderung der Rechtsprechung eine Auffassung, die der späteren Rechtsprechungsänderung entspricht, ändert sie aber den Steuerbescheid erst nach Ergehen der geänderten Rechtsprechung, tritt Vertrauensschutz ein. Ein subjektives Element, dass die Finanzverwaltung den Steuerbescheid an die Änderung der Rechtsprechung anpassen wollte, sieht der Tatbestand nicht vor.[4] Kein Vertrauensschutz besteht jedoch, wenn die Finanzverwaltung den Steuerbescheid vor der Änderung der Rechtsprechung ändert; vgl. hierzu Rz. 60.

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