"Einmal im Jahr sollte die Fitness der Kanzlei im Fokus stehen"

Herr Hesse, Sie sind seit mehr als zwei Jahrzehnten Kanzleiberater. Welche Themen haben die Kanzleien im Laufe der Jahre stark beschäftigt?
In den letzten Jahren gab es einen deutlichen Wandel. Früher standen Kanzleien in Konkurrenz um Mandate und das Durchsetzen von höheren Preisen wurde regelmäßig als schwierig erachtet. Dies hat sich jedoch hin zu Themen wie Mitarbeitergewinnung und Arbeitsbelastung verschoben und Kanzleien konkurrieren heute um Mitarbeiter.
Zusätzliche Sonderaufgaben für Steuerberatungskanzleien, ausgelöst beispielsweise durch die die Corona-Pandemie und die Neuregelung der Grundsteuer, haben die Branche in den letzten Jahren stark gefordert. Teilweise gelingt es in den Steuerkanzleien nicht, alle Fristen einzuhalten. Was dabei zu kurz kommt, sind die strategische Planung und die Kanzleiorganisation.
Machen wir die richtigen Dinge und machen wir die Dinge richtig?
Was verstehen Sie unter strategischer Planung?
Zunächst geht es darum, aus dem alltäglichen Hamsterrad herauszutreten, um kritisch zu hinterfragen: Machen wir die richtigen Dinge und machen wir die Dinge richtig? Könnten wir an der einen oder anderen Stelle Dinge weglassen, verschlanken oder vereinfachen? Dann sollte man in die Zukunft blicken: Welche Entwicklungen gibt es in der Branche? Welchen Einfluss hat Technologie auf unser Geschäftsmodell? Wie gehen wir damit um, wenn wir keine Fachkräfte mehr finden, und welche Qualifikationen brauchen unsere Mitarbeiter überhaupt in Zukunft?
Vor dem Blick auf den Status Quo und die Kanzleiabläufe kommt also der Blick in die Zukunft?
Ja, es lohnt sich immer die Weiterentwicklung aus dem Zukunftsbild heraus zu gestalten. Aber natürlich ist es ebenso bedeutsam zu schauen, wo man Arbeitsabläufe optimieren kann.

Wo sehen Sie dabei Handlungsbedarf bei den Kanzleien?
Ein wiederkehrendes Thema ist die ungenutzte Möglichkeit der Automatisierung. Ein Beispiel dafür ist eine Fachkraft in der Finanzbuchhaltung, die monatlich 300 Ausgangsrechnungen manuell abtippt, obwohl es technische Möglichkeiten zur Automatisierung gibt. Ein Kanzleiinhaber sagte mir hierzu einmal, dass er von jedem Mitarbeitenden erwartet, manuelle Tätigkeiten kritisch zu hinterfragen. Die Einrichtung bzw. Investition in eine Schnittstelle würde bei diesem Beispiel zu einer dauerhaften Zeitersparnis führen.
Liegt es auch an der mangelnden Qualifikation der Mitarbeitenden, dass das Thema Digitalisierung teilweise so vernachlässigt wird?
Häufiger begegnet mir das Problem der mangelnden Zeit. Der hohe Termindruck und Fristendruck führen dazu, dass in vielen Kanzleien zu wenig Zeit für Kommunikation und Weiterbildung bleibt. Dies beeinträchtigt die Möglichkeit, sich mit neuen Technologien und Prozessen auseinanderzusetzen. Um dem entgegenzuwirken, empfehle ich, regelmäßige Veranstaltungen wie einen Digitalisierungstag oder Zukunftstag einzuführen, an dem sich Mitarbeiter aus dem Tagesgeschäft zurückziehen und sich strategischen Überlegungen widmen können. Eine andere Möglichkeit wäre, sich die digitale Kompetenz durch Kooperationen mit IT-Partnern ins Haus zu holen.
Kanzleiinhaber melden sich häufig bei mir, weil bei ihnen ein erheblicher Leidensdruck besteht.
Wann werden Sie als Kanzleiberater angerufen?
Kanzleiinhaber melden sich häufig bei mir, weil bei ihnen ein erheblicher Leidensdruck besteht. Dieser Druck resultiert oft aus strukturellen Veränderungen innerhalb der Kanzlei, wie Generationenwechsel oder Unternehmenszusammenschlüsse. Zudem erleben viele Kanzleiinhaber persönliche Herausforderungen, wie gesundheitliche Probleme oder hohen Stress, der das private Wohlbefinden beeinträchtigt. Oder sie verlieren Mitarbeiter aufgrund der hohen Arbeitsbelastung. Sie empfinden also einen hohen Handlungsdruck.
Können Sie Tipps geben, die in solchen Situationen schnell eine Besserung versprechen?
Das Problem mit der mangelnden Zeit und dem hohen Stress kann man zum Beispiel schnell beheben, in dem man sich die Produktivitätskiller anschaut und dann reduziert. Ganz konkret könnte ein Rat lauten: Reduzieren Sie Ihre Erreichbarkeit und schaffen Sie Zeitfenster, in denen Sie ungestört ohne Unterbrechungen arbeiten können.
Gibt es noch mehr Maßnahmen, die schnell umgesetzt werden können?
Eine kritische Überprüfung und Anpassung der Preispolitik kann schnell zu einer erheblichen Steigerung der Einnahmen führen. Viele Kanzleien lassen potenzielle Einnahmen liegen, indem sie bestimmte Posten nicht konsequent abrechnen. Diese zusätzlichen Einnahmen können dann genutzt werden, um notwendige Investitionen in Digitalisierung und Automatisierung zu finanzieren.
Wenn die ersten Maßnahmen umgesetzt wurden, sollte es dabei aber nicht bleiben, oder?
Nein, es sollte definitiv nicht dabei bleiben. Nach der Implementierung der ersten Maßnahmen ist es entscheidend, regelmäßig zu evaluieren und weiter zu optimieren. Eine effektive Strategie ist es, jährlich die Kanzleiorganisation und den Kanzleialltag zu überprüfen, insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung und die strategische Ausrichtung für die nächsten fünf Jahre. Es ist wichtig, diese jährlich zu evaluieren, um neue Erkenntnisse zu sammeln und auf neue Entwicklungen im Markt zu reagieren. Dieser Prozess hilft nicht nur, auf dem Laufenden zu bleiben, sondern auch dabei, neue Marktchancen zu erkennen und die Dienstleistungen für Bestandsmandanten kontinuierlich zu verbessern. Ähnlich wie man regelmäßig seine persönliche Fitness überprüft und anpasst, sollte man auch die Fitness der Kanzlei regelmäßig evaluieren und optimieren.
Zur Person:
Thorsten Hesse ist nach seinem betriebswirtschaftlichen Studium und ersten beruflichen Stationen im Marketing und der Beratung seit 1994 bei DATEV tätig. Als Kanzleiberater und Gründungscoach unterstützt Thorsten Hesse Steuerberatungskanzleien als Trainer, Vortragsredner und Autor bei den Themen Strategie, Marketing und Vertrieb. Zudem ist er zertifizierter DISG-Trainer und Lehrbeauftragter an der Hochschule München.
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