Digitalisierung mit Verstand
Im Rahmen von Kanzleientwicklungscoachings ist (noch) kein Zusammenhang zwischen einem hohen Digitalisierungsgrad und einer guten Gewinnquote zur erkennen. Im Gegenteil: Die Investitionskosten (Hardware, Software, externe Beratung, sowie Arbeitszeit für Implementierung und Fortbildung) sind immens. Althergebrachte Kanzleien mit "Basis-Digitalisierung" (Kontoauszugsmanager) erzielen manchmal noch deutlich mehr Gewinn.
Die Betonung liegt natürlich auf dem "noch". Wir wissen alle, dass ohne konsequente Digitalisierung in Zukunft der Gewinn deutlich einbrechen wird. Ob das in 3, 5 oder 10 Jahren so sein wird, kann heute niemand seriös sagen. Was wir seriös sagen können, ist, dass es in 3,5 oder 10 Jahren zu spät sein wird "mal eben" zu digitalisieren.
Die Digitalisierungsbilanz - Kosten Versus Nutzen
Eine Kanzlei - nennen wir sie Kanzlei Fix - hat uns mal in ihre Zahlen schauen lassen. Die Einführung des DMS zur Einführung des papierlosen Büros haben wir als Start genommen:
Aufwand | EUR |
Scannen der Alt-Dokumente (2 Aushilfen) | 15.000 |
Scanner (15 Stück) | 7.500 |
Monitor (25 Stück) | 8.000 |
MA-Stunden | 45.000 |
Ipad/ Surface | 17.000 |
Beratung One Note | 3.000 |
Dritter Monitor (25 Stück) | 7.500 |
Einrichtung/Schulung kanzlei.land | 2.500 |
Summe | 105.000 |
Lizenzkosten spielen hier keine Rolle, da Sie die in Ihrer Kanzlei ohnehin haben. |
Nutzen | EUR |
Druckkostenersparnis | 10.000 |
Effizienzvorteil (1 MA) | 30.000 |
Summe pro Jahr! | 40.000 |
Soweit die harten Zahlen. Die Kanzlei empfindet folgende Wettbewerbsvorteile bei Mitarbeitern und Mandanten als "unbezahlbar":
- 20 % Zeitersparnis bei der Abschlusserstellung
- 10 bis 15 % Ablaufoptimierung Fibu
- Zeitersparnis bei Besprechungen
- 20 % weniger Suchaufwand
- Effektive Nutzung Homeoffice
- Schnelleres Belegmanagement mit Mandanten (z. B. durch automatisierte Rückfragen).
Tipp: Effizienzgewinne im Auge behalten Behalten Sie Ihren Nutzen im Auge – auch, um Erfolge zu feiern. Im Alltag geht diese Sichtweise sonst schnell unter. Denn die immer wieder neue auftauchenden Themen und Aufgaben verdecken die Effizienzgewinne. |
Ein wichtiger Begriff ist hier zum ersten Mal gefallen: "Automatisierung". Aus einem Papierdokument eine PDF zu machen, ist noch kein wirklicher Effizienzgewinn. Als Beispiel sehen wir uns die Prozesse an, wenn sich ein neuer Mandant bewirbt:
Neumandant: Prozess "digital"
- Nach der grundsätzlichen Verständigung im Erstgespräch mit Ihnen, erhält der Mandant mehrere Fragebögen als Pdf, die er ausfüllen und unterschrieben zurücksenden soll.
- Die Daten werden dann "per Hand" in Ihr System übertragen. Dabei werden auch die von Ihnen handschriftlich erfassten Zusatzinfos aus dem Gespräch eingegeben/eingescannt.
Ergebnis: Upps - doch noch nicht wirklich digital...
Neumandant: Prozess "automatisiert"
- Auf Ihrer Website findet der potentielle Mandant (nach einer zielgerechten Ansprache) einen Link zu Ihrem Online-Kalender für das Erstgespräch.
- Im Kalender sind entsprechende Pflichtfragen hinterlegt, die Ihnen die ersten Infos zum Mandanten liefern. Neben Name, Adresse, Website etc. beispielsweise auch Infos zu Branche, Größe und Wechselmotivation.
- In Ihrem Outlook-Kalender erscheint der Termin mit allen Infos.
- Der Mandant passt grundsätzlich schon nicht? Dann können Sie bzw. Ihre Assistenz sofort reagieren und den Termin absagen.
- Die Assistenz legt ein Notizbuch in OneNote für den Interessenten an, in das alle Infos einfließen – auch der Fragebogen (im Bestfall wird über Zapier die Anlage des Notizbuches automatisch generiert und der Fragebogen übertragen).
- Alle Infos aus dem Gespräch erfassen Sie sofort in OneNote und teilen diese mit allen Mitarbeitern, die mit dem neuen Mandanten zu tun bekommen.
- Vollmachten und Verträge inkl. der Honorarvereinbarung etc. gehen zur digitalen Unterschrift an den Mandanten.
- Schön wäre es, wenn die "Stammdaten" dann auch "automatisch" in Ihre Kanzleisoftware eingetragen werden können – heute bei den meisten Softwareanbietern allerdings noch Zukunftsmusik.
Ergebnis: Automatisierung findet also in allen Prozessen statt. Nicht nur in Fibu, Lohn und Co.
Die Musik bei den Erstellungsprozessen spielt im Bereich Schnittstellen und Mandaten-Plattformen. Jede Zahl, jeder Beleg, der nicht auf dem Mailweg (digital, aber ineffizient) in die Kanzlei kommt (von Baum-Carpaccio "Papier" reden wir hier gar nicht), spart Zeit und damit wertvolle Ressourcen. Es ist schön, wenn Sie als Inhaber "Schmerzensgeld" in Form von Scan-Honorar bekommen - bei Ihren Mitarbeitern leiden trotzdem Kapazität und Motivation.
Wenn es also darum geht, was noch in 2023 in der Kanzlei vorangehen muss, dann ist es die Automatisierung in allen Bereichen. Tipp: Durchforsten sie Ihre Prozesse mit folgenden drei Fragen:
Frage 1: Wo in diesem Prozess kommen Informationen und Belege noch so herein, dass die Übernahme in unser System "händisch2 angestoßen werden muss? Beispiel: Stammdaten, Belege, Lohninfos, fehlende Schnittstellen zu Mandantensoftware
Frage 2: Wo in unserer Kanzlei müssen Informationen noch "händisch" verteilt werden? Beispiel: Fall fertig, Rechnung kann geschrieben werden. Rechnungsvorschlag ohne Papier an Chef.
Frage 3: Wo in diesem Prozess verlassen Auswertungen/ Informationen die Kanzlei an externe Partner (Mandant, Finanzamt, SV, Statistiken, …) noch so, dass "händisch" etwas übertragen/ angestoßen werden muss? Beispiel: BWA per "Post/ Mail", Lohnabrechnungen ohne Arbeitnehmerportal.
Die Hindernisse auf dem Weg und Tipps zur Überwindung
Natürlich spielen die in der Kanzlei vorhandenen Ressourcen eine Rolle bei der Entwicklung zur "auto-digitalen" Kanzlei. Zu wenig Zeit, zu wenig Mitarbeiter, immer neue Themen wie zuletzt Pandemiehilfen und Grundsteuer. So etwas wie "ruhiges Fahrwasser" ist auch in Zukunft nicht in Sicht. Es gab schon immer Kanzleien, die trotz des Arbeitsdrucks an der digitalen Front vorankommen.
In der Pandemie haben wir aber erlebt, dass wir gerade wegen des Drucks digital vorangekommen sind. Wir merken in den Kanzleien gerade auch, dass das Problem Mitarbeiter zu bekommen, den Druck auf eine wirtschaftlichere Betrachtungsweise der Mandate erhöht. Viele Kanzleien setzen (endlich) Mandate frei, die schon seit Jahren aufgrund des schlechten Deckungsbeitrages, oder einer fehlenden Motivation bei der Zusammenarbeit nicht (mehr) zum Kanzleierfolg beitragen.
Analysieren Sie Ihre größten Hindernisse auf dem Weg zur "auto-digitalen" Kanzlei und wie Sie sie aktiv beseitigen können! Manchmal hilft es, wenn man sich vorstellt, wie man eine Sache so richtig vermasseln kann. Hier ein Überblick über die größten Effizienzkiller:
Effizienzkiller Chef
Sind Sie eher die "Shopping-Queen"? Immer auf der Jagd nach dem neusten Tool? Das eine ist noch nicht richtig implementiert, schon schleppen Sie zwei Neue an? Ihre Mitarbeiter werden sich irgendwann wegducken, weil sie mit dem Tempo nicht Schritt halten können. Der Effekt: Projekte versickern im Sand.
Oder sind Sie eher der "Gold-Gräber"? Auf der endlosen Suche nach dem perfekten Tool zu den perfekten Konditionen? Wenn die Entscheidung für Projekte zu lange dauern oder immer wieder umgeworfen werden, können Sie ihre Mitarbeiter nicht motivieren.
Tipp: Legen Sie eine Liste an, für welche Prozessschritte Sie Tools brauchen. Überlegen Sie gemeinsam mit dem Team, welche Features unbedingt vorhanden sein müssen. Ihr Blick auf die schönen, bunten Tools wird damit klarer. |
Effizienzkiller Mitarbeiter
Nicht alle in Ihrem Team sind Technik-Freaks? Sie arbeiten seit Jahren daran "alle ins Boot" zu bekommen? Wenn Sie auf den letzten "analogen Saurier" warten, bleibt der Prozess stecken. Konzentrieren Sie sich besser auf die digitalen Profis und Talente. Wenn automatisierte Prozesse wirklich laufen, haben Sie bessere Chancen, die verbleibenden Mitarbeiter zu überzeugen.
Tipp: Überlegen Sie wie Ihre Mindestanforderungen an Ihre Mitarbeiter aussehen. Jeder Mitarbeiter muss zumindest ein eingerichtetes System bedienen können. Wer sich dabei verweigert, wird Ihre Kanzlei ausbremsen. |
Effizienzkiller Mandant
Einige Mandanten sind Technik-Verweigerer? Wenn Sie sich zu sehr darauf konzentrieren diese zu überzeugen und diese ggf. weiterhin analog versorgen, bleibt der Prozess stecken.
Tipp: Viele Kanzleien sind bereits dabei, neue Mandanten nur mit dem klaren Ziel der digitalen Zusammenarbeit anzunehmen. Immer mehr Kanzleien planen 2023 Papierbelege von Mandanten nur noch im absoluten Ausnahmefall anzunehmen. |
Fazit
Digitalisierung und Automatisierung sind nicht cooler Selbstzweck. Es gibt gute Gründe, die digitale Weiterentwicklung ganz oben auf die Prioritätenliste zu setzen - auch wenn es im Alltag schwerfällt. Mit einer klaren Entscheidung geben Sie Ihren Mitarbeitern und Mandanten ein klares Signal. Überlegen Sie, was Sie dafür weglassen können: Mandanten, Themen, Branchen - die Auswahl liegt bei Ihnen.
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