„Wir haben die Chance, die Welt neu zu erfinden“
Frau Braun, Sie haben akzente vor 30 Jahren gegründet. Was war das damals, 1993, für ein Umfeld?
Sabine Braun: Im Jahr zuvor hatte der erste Weltgipfel in Rio de Janeiro stattgefunden. Das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung wurde dort von 178 Nationen unterzeichnet. Die Aufbruchstimmung war groß. Dass wir in Deutschland nicht gar so viel davon gespürt haben, liegt sicher daran, dass wir nach der Wiedervereinigung und in der Rezession der 1990er-Jahre stark mit uns selbst beschäftigt waren. Umweltschutz war aber schon damals kein neues Thema, wir hatten es bereits in den 1980ern ganz oben auf der Agenda, und ich habe mich als Journalistin damit auseinandergesetzt. Zu Beginn der 1990er gab es erste Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen. Das ging dann schnell weiter mit der EMAS-Verordnung 1995 und der ISO 14001. Den Unternehmen war schon damals klar, dass sie Umweltmanagementsysteme einrichten sollten und müssten.
Haben Sie mit der Nachhaltigkeitsberatung also offene Türen eingerannt?
Nicht unbedingt. Die Sorge Nummer 1 der Deutschen war bis 1993 die Umwelt – und ab 1994 Arbeitslosigkeit. Das hat sich natürlich auf Unternehmen und das ganze Umfeld ausgewirkt. Aber wir hatten schon früh große Kunden. Der erste war 1993 die damalige Bosch Siemens Hausgeräte GmbH, die wir bei der Umweltberichterstattung unterstützt haben. Das Montreal-Protokoll zur Reduzierung der ozonschädigenden FCKW war da noch ganz frisch und ein großes Thema für die Kühlgerätehersteller.
Haben Sie da schon geahnt, dass Sie die Firma einmal an eine der größten Unternehmensberatungen verkaufen werden?
Nein. Ich habe eigentlich immer nur gemacht, was gerade anstand. Und lange war das Thema ja auch eine Nische, die für die großen Beratungen nicht so interessant war.
Die Skandale der frühen 2000er
Wie haben sich die Anforderungen seitdem entwickelt?
Anfangs ging es vor allem um den Umweltschutz. So langsam kam dann das Thema Lieferkette dazu – vor allem durch erste große Verfehlungen bekannter Firmen in den Anfängen der 2000er. Aufgrund einiger markanter Verstöße wurden dann die Themen Compliance, Korruption und Bestechung auf einmal ganz präsent. So haben sich aus dem Umweltbereich heraus immer neue Themen aufgetan. Es waren tatsächlich solche Skandale, die die großen Unternehmen beziehungsweise deren Investoren dazu gebracht haben, Berichte einzufordern, um Reputationsschäden künftig zu vermeiden. Es war also für viele damals eher ein Hygienefaktor. Dass es um Transformation geht, wird jetzt viel stärker bewusst. Heute merke ich schon, dass auch am Businessmodell angesetzt wird. Die Unternehmen fragen sich zunehmend, wie zukunftsfähig ihre Produkte und Geschäftsmodelle sind. Wo kommen ihre Rohstoffe von morgen her? Für uns geht es daher klar in die strategische Unternehmensberatung.
Nachhaltigkeit war damals für viele Hygiene. Heute wird viel stärker bewusst, dass es um eine notwendige Transformation geht.
„Ohne Digitalisierung kriegen wir es nicht hin. Und wir müssen es hinkriegen“
Aber nicht alle Unternehmen wollen sich transformieren. Viele haben Angst vor einer Überlastung, zum Beispiel durch die Berichterstattung. Wie können diese Unternehmen mit den kommenden Anforderungen umgehen?
Ich sehe schon, dass mit der EU-Taxonomie, der CSRD, dem Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz unglaublich viel Regulierung auf Unternehmen zukommt. Das will ich überhaupt nicht kleinreden. Ich hoffe aber sehr auf die Digitalisierung. Das ist auch einer der Gründe, warum wir uns von Accenture haben übernehmen lassen. Deutschland ist leider nicht gerade die Speerspitze der Digitalisierung. Wir brauchen sie aber unbedingt. Nicht nur für das Reporting – für das aber allemal. Natürlich ist es mühsam, all die Daten zu erheben. Verweigern wird man sich dem aber nicht können. Das wäre nicht zukunftsfähig.
Auch bei der Kreislaufwirtschaft kommen wir ohne Digitalisierung nicht weiter. Ich will den Begriff nicht ständig wiederholen, aber ohne Digitalisierung kriegen wir es nicht hin. Und wir müssen es hinkriegen. Wir müssen uns verändern. Sowohl der Gesellschaft als auch der Wirtschaft ist bewusst, dass es so, wie es jetzt ist, nicht bleiben kann.
Ist das wirklich schon in den Unternehmen angekommen?
Sagen wir es so: Es ist ein Prozess. 2015/16 war ich allerdings sehr erschüttert. Da wurden die Pariser Klimaschutzziele gesetzt und die globalen Nachhaltigkeitsziele, die SDGs, vorgestellt. Aber in vielen Unternehmen hat das niemanden so richtig interessiert. Man dachte oftmals, das werde schon irgendwie gut gehen. Inzwischen haben es aber wirklich alle verstanden.
In Unternehmen erlebe ich jetzt die Wahrnehmung: Entweder stelle ich mich so richtig dagegen, aber dann wird es mich womöglich bald nicht mehr geben. Oder ich muss tatsächlich auch etwas tun. Dazu hat auch Fridays for Future stark beigetragen. In Vorstands-Workshops oder wenn ich Aufsichtsräte schule, kommt es oft vor, dass jemand sagt, die Tochter sei Vegetarierin, der Sohn bei Fridays for Future. Veränderung hin zu Nachhaltigkeit ist kein abstraktes Thema mehr, sondern ein reales, das mit am Mittagstisch sitzt.
Entweder stelle ich mich so richtig dagegen, aber dann wird es mich womöglich bald nicht mehr geben. Oder ich muss tatsächlich auch etwas tun.
Wie sieht es für Unternehmen aus, deren Kerngeschäft auf der Ausbeutung von Ressourcen basiert? Kann es für solche Unternehmen ein grünes Wachstum geben?
Wir sprechen häufig schon von klimaneutralem Stahl. Wobei wir wissen, dass der Begriff „Klimaneutralität“ in vielen Fällen irreführend ist. Trotzdem brauchen wir immense Mengen erneuerbarer Energie um das, was wir wirklich dekarbonisieren können, auch zu dekarbonisieren. In Bezug auf Ressourcenverbrauch ist die Kreislaufwirtschaft ja schon seit zehn, zwanzig Jahren der schlafende Riese, kam bislang aber nicht wirklich ins Fliegen.
Wieso?
Weil es kompliziert ist. Weil da sehr viele Akteure zusammenarbeiten müssen. Das muss man auch beim Klimaschutz, aber bei der Kreislaufwirtschaft ist es aus meiner Sicht noch komplexer. Da geht es um die Frage, welche Rohstoffe man nutzt, wie man diese in den Kreislauf zurückführt, wie sie aufbereitet werden, welche alternativen Stoffe man nutzen kann und wie man das alles nachverfolgt.
Eine Zukunftserzählung für Deutschland?
Ist diese Komplexität ein Grund, wieso der Gegenwind gegen grüne Transformationspolitik so stark ist? Bei den jüngsten Landtagswahlen in Hessen und Bayern feierten ja Parteien Erfolge, die einfache Lösungen versprechen.
Uns ist es in den letzten 30 Jahren verdammt gut gegangen. Doch so kann und wird es nicht weitergehen. Das ist leider eine Wahrheit, der sich viele nicht stellen mögen. Natürlich gab es beispielsweise mit der Finanzmarktkrise auch in der jüngsten Vergangenheit große Herausforderungen. Aber gerade überlagern sich die Krisen und gleichzeitig merken wir vor allem durch den Klimawandel, dass uns die Zeit davonläuft. Wir wissen, dass die nächsten zehn Jahre, bis die Transformation ins Laufen gekommen ist, womöglich sehr schwierig und hart sein können. Das wollen viele nicht wahrhaben, andere wollen es nicht so deutlich sagen. Und so wiegen wir uns eben in vermeintlichen Sicherheiten. Es ist eine große Herausforderung und wichtig, mit Menschen umzugehen, die dermaßen verunsichert sind. Da geht es auch um soziale Fragen und um die Demokratie. Wir brauchen mehr Vertrauen, sonst werden wir die Ziele, die wir uns für die Transformation gesteckt haben, nicht erreichen.
Brauchen wir neue, große Erzählungen über Nachhaltigkeit?
Menschen brauchen immer Erzählungen. Und ich sage, auch Deutschland braucht eine Zukunftserzählung. Eine, die den Menschen zeigt, was sie alles gewinnen können und nicht nur, was sie verlieren könnten. Das gilt auch für Unternehmen. Sie brauchen zunächst einmal eine Erzählung nach innen, um ihre Mitarbeitenden für Nachhaltigkeit zu begeistern und für Veränderungen zu motivieren. Deshalb wundere ich mich, warum nicht jedes Unternehmen beispielsweise ein Solardach, einen Veggie-Day, Dienstfahrräder und Fairtrade-Kaffee hat. Das sind ganz konkrete Dinge, die die Menschen sehen. Die Kritik, das seien primär Symbolmaßnahmen, kann ich teilweise nachvollziehen, doch Symbole sind wichtig – wenn es nicht das Einzige ist, was ein Unternehmen tut.
In der Kantine wird es emotional...
Ja, aber so bringe ich die Diskussion ins Unternehmen rein. Wenn ein Unternehmen aus Sorge vor Skepsis oder Widerstand alles weiterlaufen lässt wie bisher, dann verhindert es Diskussionen. Aber wir brauchen Diskurs. Wir müssen gemeinsam über die Zukunft sprechen.
Unternehmen brauchen die Erzählung zunächst einmal nach innen.
Wenn Sie diese Zukunftserzählung schreiben dürften – wie würde sie aussehen?
Ich würde den Menschen sagen, dass wir manches, was wir gewohnt sind, verlieren werden. Aber um den Preis, dass unsere Kinder und Enkel eine Zukunft haben. Natürlich ist es nicht schön, wenn wir solch abschreckende Szenarien skizzieren. Aber das ist die Realität oder kann zu dieser werden. Ich würde aber auch über die vielen Ansätze sprechen, die uns optimistisch stimmen können. Etwa Start-ups. In der Vergangenheit haben viele Verkaufsplattformen im Internet gegründet. Heute dagegen gibt es immer mehr, die sich mit Dekarbonisierung und neuen Technologien beschäftigen. Das ist doch eine Riesenchance! Wir sind immerhin das Land der Ingenieure und haben die Chance, die Welt neu zu erfinden.
Vielen Dank für das Gespräch.
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