Die Situation lässt sich mit einem Auto vergleichen, das auf einen Abgrund zurast: Es reicht nicht, nur langsamer zu fahren – wir müssen entschieden die Richtung ändern. Eine Kurskorrektur in Richtung konsequente Nachhaltigkeit und langfristige Zukunftsfähigkeit ist für die Menschheit überlebenswichtig.
Erkenntnisse aus aktuellen Studien: Die Notwendigkeit für „Nachhaltigkeits-Speed“
Ich habe mir in den letzten Wochen unter den aktuellen Studien einen Überblick verschafft. Es kristallisiert sich ein klares Bild heraus: Wir brauchen mehr Tempo bei der Nachhaltigkeit. Hier einige zentrale Erkenntnisse:
SDG-Halbzeitbilanz: Viel Arbeit liegt noch vor uns
Der Slogan „Leave no one behind“ begleitete 2015 die Einführung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). Die Agenda 2030 galt als Gesundungsprogramm für unseren Planeten. Die Agenda ist besser als die Vorgängerziele (Millenium Goals), weil sie nun auch für Industriestaaten anwendbar ist. Die Halbzeitbilanz, veröffentlicht im September 2023 in New York, zeigt jedoch: Wir sind bei den meisten SDGs weit hinter dem Zeitplan. Laut dem SDSN Sustainable Development Report befinden wir uns nur bei 18 Prozent der definierten Indikatoren auf dem Weg, die Ziele bis 2030 zu erreichen. Trotzdem zeigen Prognosen: Mit genügend Willen ist es in vielen Bereichen noch machbar.
Planetare Grenzen: Alarmierende Überschreitungen
Bei sechs von neun definierten planetaren Bereichen, die für den Erhalt der menschlichen Existenz wichtig sind, sind die Grenzen schon überschritten (September 2023). Seit 14 Jahren untersucht ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Johan Rockström den Zustand der Erde und analysiert anhand von neun Teilbereichen, inwieweit sie der Menschheit noch eine sichere Lebensgrundlage bietet. Im Vergleich zu 2015, als nur vier Bereiche überschritten waren, ist das eine deutliche Verschlechterung. „Der Druck auf den Planeten nimmt zu, lebenswichtige Belastungsgrenzen werden überschritten“, warnt Rockström. Die Langzeitfolgen der Überschreitungen könnten irreversibel sein. Sprich, wir wissen nicht welche neuen Dynamiken entstehen.
Globales CO2-Kontingent: die bleibende Mammut-Herausforderung
Forscher um Robin Lamboll vom Imperial College London warnen im „Nature Climate Change“ (Oktober 2023), dass die Erderwärmung schneller als erwartet um 1,5 Grad ansteigen könnte. Die verbleibende Menge an CO2, die wir ausstoßen dürfen, beträgt nur noch 247 Milliarden Tonnen – falls wir dieses Limit nicht überschreiten, besteht eine 50-prozentige Chance, dass die Erwärmung unter 1,5 Grad bleibt. Bei weltweiten CO2-Emissionen auf dem hohen Niveau von 2022 wäre dieses Budget in weniger als sechs Jahren aufgebraucht und wir steuern einer wesentlich höheren Erwärmung zu.
Das Erste, was Sie loswerden müssen, sind die fossilen Denkweisen
Die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zeigen: Wir müssen unsere Anstrengungen erhöhen. Und zwar ambitionierter als bisher. Oder um es mit den Worten einer aktuellen Handelsblatt-Kampagne zu formulieren. „Das Erste, was Sie loswerden müssen, sind die fossilen Denkweisen“. Die Praktiken des fossilen Kapitalismus der vergangenen Jahrhunderte müssen wir zu denen des regenerativen Wirtschaftens ändern. Das Gute daran: es funktioniert! Hunderte von Unternehmen zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften und prosperierende Wirtschaftlichkeit möglich ist. Gelingt das bei allen Unternehmen haben wir die entscheidenden Hebel, um Großes wie die Klimakrise positiv zu beeinflussen.
Der Wandel in den Unternehmen: CSRD nimmt langsam Fahrt auf
PWC hat mit einer Studie Unternehmen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden befragt, wie weit die Umsetzung der CSRD fortgeschritten ist. Die Ergebnisse, auch wenn die zugrunde liegende Datenbasis klein ist, sind erfrischend: Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) beeinflusst das Handeln der Unternehmen. Es ist ein positives Zeichen, dass viele Firmen bereits aktiv mit der Implementierung der neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung beginnen. Fast drei Viertel (72 Prozent) der befragten Unternehmen haben mittlerweile eine steuerungsrelevante Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt – vor 2021 waren es erst 24 Prozent. Dieser Trend zeigt: eine nachhaltige Ausrichtung wird ein zentraler Bestandteil von Unternehmensstrategien.
Treiber des Wandels: Von Kundenwünschen bis Regulierung
Die Studie verdeutlicht, dass Nachhaltigkeit in der Gesellschaft ankommt. Kunden, Regularien, Image, Marketing, Investoren und Mitarbeiter – sie alle treiben die Nachhaltigkeitsbemühungen voran. Bemerkenswert ist, dass schon 55 Prozent der Unternehmen freiwillig Nachhaltigkeitsberichte erstellen und 35 Prozent diese bereits jetzt extern prüfen lassen.
Wie relevant die Entwicklung zu einem Sustainable Employer ist und wie sich Mitarbeitende zukünftig für oder gegen Arbeitgeber entscheiden habe ich in dem Whitepaper „ Sustainable Employer“ beschrieben.
Spannend ist die Beobachtung, dass finanzielles Reporting und Nachhaltigkeitsreporting zunehmend Hand in Hand gehen. Dies zeigt sich auch in der Organisationsstruktur: Während bei 42 Prozent der Unternehmen die Sustainability-Abteilungen federführend sind, übernehmen oft (30 Prozent) auch die Accounting-Abteilungen eine Schlüsselrolle.
Die CSRD beeinflusst bereits operative Entscheidungen und das Geschäftsportfolio vieler Unternehmen. Dies unterstreicht die Bedeutung der Nachhaltigkeit als ständige Aufgabe, die weit über reine Berichtspflichten hinausgeht. Das ist sicher der wichtigste Trend, der sich hier ableiten lässt. Der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen steigt EU-weit schätzungsweise um mehr als das Vierfache – von rund 11.600 auf etwa 49.000 Unternehmen ab dem Geschäftsjahr 2025. Zudem fallen – zeitlich verzögert ab 2026 – alle kapitalmarktorientierten kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMUs) unter den Anwenderkreis der CSRD. Hier entsteht ein großer Hebel.
Auch wenn die Einführung der CSRD verzögert kam, jetzt nimmt sie Fahrt auf und erreicht bald den Speed der nötig ist, um die Transformation unserer Wirtschaft hin zu einer regenerativen Wertschöpfung voranzutreiben.