Interview mit Stephan Grabmeier und Anne-Kathrin Vorwald

Um die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft auch in der Wirtschaft zu meistern, braucht es einen anderen Umgang mit Komplexität und Nachhaltigkeit. Im Interview erklären Stephan Grabmeier und Anne Kathrin Vorwald, wie regeneratives Wirtschaften gelingen kann.

In Ihrem aktuellen Buch „Re:thinking Sustainability – Inspirierende Kopföffner einer regenerativen Wirtschaft” schreiben Sie, dass die Zeit, „in der Mutter Erde unser Handeln gesund verkraftet“, zu Ende geht. Wie kann diese Wende zum Aufbruch gelingen?

Stephan Grabmeier: Einen Aufbruch in eine neue Ära gelingt immer nur dann, wenn man bereit und in der Lage ist, das „alte Normal“ in Frage zu stellen. Ohne ein Neudenken, oder ein Re:thinking, wie wir es formulieren, entstehen keine Veränderungen. Im Gegenteil, es bleibt beim Alten, bei dem, was man kennt, was schon immer war und am besten auch noch, was so bleiben soll. In der Zukunftsforschung nennt man das „die Nowstalgie“: Man kommt im Denken maximal bis in die nostalgische Gegenwart, hat aber keinen Willen, die Zukunft zu gestalten.

Was ist der Unterschied zwischen „Change“ und „Transformation“?

Stephan Grabmeier: Transformation bedeutet, ein neues System zu schaffen, eine Organisation auf eine neue Evolutionsstufe hin zu entwickeln. Im Vergleich ist das Change-Management lediglich ein Optimieren und Entwickeln am bestehenden System. Es gibt viele Gründe, warum Veränderungen in Unternehmen scheitern, meist weil das Handwerkszeug fehlt sowie das Know-how, Transformationsprojekte wirkungsvoll zu designen. Aus den Behavioral Economics kennen wir die wichtigsten Faktoren, wann Transformationen gelingen, darauf legen wir viel Wert in unserer Arbeit.

Nachhaltigkeit als Zwischenschritt zur Regeneration

Weshalb sprechen Sie in ihrem Buch meistens von „Regeneration“? Reicht der Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht aus?

Stephan Grabmeier: Nachhaltigkeit ist ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Regeneration. In der Definition bedeutet Nachhaltigkeit, dass kein Schaden entsteht, wir sprechen hier auch vom Netto-Null-Prinzip. Dieses Prinzip reicht heutzutage leider nicht mehr aus, denn wir Menschen haben bereits so viel Schaden am Planeten angerichtet, dass wir ihn aktiv regenerieren müssen. Hier sprechen wir vom netto positiven Prinzip. Das ist wie in unserem Körper: Wenn wir diesen zu oft und zu lange überbeanspruchen, benötigen wir danach Phasen der Regenration. Dies kennt auch jeder Nicht-Sportler, der schon mal zu tief ins Glas geguckt hat und am nächsten Tag mit einem dicken Kopf aufgewacht ist. Das Gute daran ist, dass ein Kater schnell wieder vorbei ist. Für die Schäden, die wir dem Planeten zugefügt haben und nach wie vor beständig zufügen, braucht es mehr Zeit und wesentlich größere Anstrengungen.

Was macht das Prinzip des regenerativen Wirtschaftens aus?

Anne-Kathrin Vorwald: Ein regeneratives Wirtschaften orientiert sich an der Wiederherstellung sämtlicher Ressourcen. Regenerativ ist, wenn ein Urzustand wieder hergestellt wird. So, wie es bei uns allen der Fall ist, wenn wir abends müde ins Bett gehen, so regenerieren wir über Nacht, damit wir am nächsten Tag wieder energievoll in den Tag starten können. Als Unternehmen kann ich mich fragen: Welche Ressourcen setze ich tagtäglich ein, um meine Produkte zu produzieren oder meine Dienstleistungen anzubieten? Und dann fange ich einfach mit einer Ressource an, widme mich danach der nächsten, danach der nächsten usw. Auf Grund der sich zuspitzenden Herausforderungen, etwa abgebildet in dem Modell der planetaren Grenzen, fangen viele Unternehmer:innen mit Umweltressourcen wie Energie, Wasser oder ihren Materialen an. Soziale Ressourcen und Finanzielle Ressourcen gehören aber natürlich genauso dazu.

Die Märkte der Zukunft sind für Sie umweltpositiv und basieren auf einem Kreislaufdenken. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass wir gemeinsam die kollektive Intelligenz haben, um diese Märkte zu designen und die Herausforderungen gemeinsam zu meistern? 

Stephan Grabmeier: Die kollektive Intelligenz haben wir bereits seit vielen Jahren. Denn die Notwendigkeit, nach den planetaren Grenzen zu handeln, um das Überleben der Menschheit zu sichern, versteht jeder Erstklässler. Wichtiger ist die kollektive Handlung, danach zu agieren. Hier herrschen leider immer noch politische Kräfte und lobbyistische Mechanismen, die versuchen, den fossilen Kapitalismus aus Profitgier und egoistischem Machterhalt zu bewahren. Um positive Tipping Points für das regenerative Wirtschaften zu erreichen, brauchen wir noch mehr solcher großartigen unternehmerischen Beispiele, wie wir sie im Buch beschreiben. Es gibt heute schon hunderte, ja tausende vorbildliche Unternehmen, die sich auf den Weg gemacht haben und Verantwortung für nachfolgende Generationen und den Erhalt der planetaren Grenzen übernehmen. Das ist gut. Es muss nur öffentlichkeitswirksamer werden. Je öfter wir die Beispiele erzählen, je häufiger wir die Zukunftsgestalter sichtbar machen und damit gegen die Nowstalgie vieler Politiker und Lobbyisten angehen, desto eher erreichen wir die Tipping Points, die es braucht, um die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft positiv zu bewegen. Wir brauchen die Beispiele der radikalen Transformatoren, um ihnen nachfolgen zu können.

Warum Unternehmen nachhaltig handeln. Und warum nicht.

Unternehmen und Organisationen stehen heute vor einschneidenden Veränderungen, die mit alten Navigationsinstrumenten nicht mehr zu bewältigen sind. Was passiert, wenn zu lange auf ein veraltetes Betriebssystem gesetzt wird, statt das Update zu programmieren?

Stephan Grabmeier: In Zukunft wird es nur noch nachhaltige und regenerative Unternehmen geben. Alle anderen werden vom Markt verschwinden. Dies zeigen uns nicht nur die Planetaren Grenzen. Auch die Bereitschaft, von Mitarbeitenden und Kunden für Unternehmen zu arbeiten oder dort zu kaufen, die den Planeten bewusst zerstören, schwindet massiv. Viele Unternehmen mit geringen Nachhaltigkeitsambitionen oder mit alten Paradigmen des fossilen Kapitalismus haben Schwierigkeiten, gute und ausreichend viele Mitarbeiter zu finden. Dieses Problem hat keines der Unternehmen, mit denen wir gesprochen haben. Diese sind im Gegenteil sogar ein Attraktor für Talente, die nicht länger Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein wollen.

Regeneratives Wirtschaften wird in vielen Organisationen noch als reines Strategie-, Reporting-, Kommunikations- Thema betrachtet. Das ist nicht falsch, doch warum genügt es nicht?

Anne-Kathrin Vorwald: Im Prinzip ist es egal, durch welche Motivation die Organisation mit Regenerativem Wirtschaften anfängt. Wenn es als Strategiethema gesetzt ist, ist die intrinsische Motivation tendenziell stärker, als wenn es ein reines Reporting- oder Kommunikation-Thema ist. Aber die Hauptsache ist, dass die Organisation überhaupt anfängt, im ersten Schritt regenerativ zu denken und im zweiten Schritt regenerativ zu handeln. Da ein regeneratives Wirtschaften alle Ressourcen entlang der Wertschöpfungskette umfasst, und viele Stakeholder dabei betroffen sind, reicht es langfristig nicht aus, es nur als Kommunikationsthema aufzusetzen. Und die Reportingpflicht setzt zwar voraus, dass zwar alle Auswirkungen, Risiken und Chancen sowie betroffenen Stakeholder entlang der Wertschöpfung vollumfänglich betrachtet werden, das heißt aber noch nicht, dass ein Unternehmen sein Handeln auch danach ausrichtet.

Und hier finden Sie Teil 2 des Interviews!

Und hier geht's zum Buch „Re:thinking Sustainability"!


Über die Autor:innen:

Stephan Grabmeier ist Future Designer und Transformationsexperte. Seit über 30 Jahren bekleidet Stephan Management-Positionen: bei Konzernen wie der HypoVereinsbank und der Deutschen Telekom AG, bei digitalen Vorreitern wie der Consorsbank und Haufe sowie bei Beratungsfirmen wie Kienbaum Management Consultants und dem Zukunftsinstitut. Heute bündelt er seine Expertise im Impact Design Collective und berät Unternehmen in ihrer nachhaltigen Transformation. Als B-Leader ist er Teil der B-Corporation-Bewegung in Europa. Stephan engagiert sich als Business Angel für Impact Start-ups und unterstützt die globalen Social-Business-Aktivitäten im Netzwerk des Friedensnobelpreisträgers von Prof. Muhammad Yunus. Er lehrt an der Kühne Logistics University im Sustainability MBA über Impact Transformation und ist Academic Advisor an der ESCP Business School. Die Ausbildung zum Impact Designer ist unter anderem auch an der Management School St. Gallen verankert, an der er ebenso zu Future Design doziert. Mit dem Impact Business Design hat Stephan Grabmeier zusammen mit Dr. Stephan Petzolt den neuen Standard der Organisationsentwicklung im 21. Jahrhundert gesetzt. Er hat bis heute an über 22 Büchern mitgewirkt. Nach dem »Future Business Kompass« (2020) und dem Playbook »Impact Business Design« (2023) hat er zusammen mit

Anne-Kathrin Vorwald ist Autorin und Beraterin für Nachhaltiges Wirtschaften bei der B.A.U.M. Consult GmbH. Sie ist Themenownerin für die Bereiche Lieferketten, Nachhaltigkeitskommunikation und Schulungen & Trainings. Die B.A.U.M. Consult GmbH ist eine führende Nachhaltigkeitsberatung in Deutschland und Österreich. Ihr Know-how erstreckt sich über die Themen nachhaltige Unternehmensführung, Energie-, Klima-, Umwelt- und Mobilitätsmanagement. Daneben ist sie auch im europäischen Forschungsumfeld für nachhaltige Energie- und Mobilitätslösungen aktiv. In Ihrer Rolle als SCRUM Master unterstützt Anne-Kathrin Teams, in denen ein agiles Geschick im Umgang mit Kommunikation und Projektmanagement benötigt wird. Ihre Ausbildung als Mental Health First Aider nutzt sie, um im Arbeitsumfeld über mentale Erkrankungen zu informieren und ihre Kollegen und Kolleginnen im Umgang mit Betroffenen zu sensibilisieren.


Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit, Unternehmen