Ethische Unternehmensführung: Entscheidungen im Wandel
Herr Kirchschläger, erklären Sie doch mal aus der Sicht des Ethikers: Was ist überhaupt eine gute Entscheidung?
Eine gute ethische Entscheidung kann man treffen, wenn man nicht nur die ökonomische oder politische Sicht berücksichtigt, sondern die ethische Perspektive einnimmt, sprich die „ethische Brille“ aufsetzt.
Aber woran messe ich, was ethisch richtig oder falsch, gut oder schlecht ist?
Wir haben zum Beispiel die Möglichkeit, den ethischen Minimalstandard der Menschenrechte heranzuziehen. Oder wir orientieren uns an Prinzipien wie Nachhaltigkeit oder Gerechtigkeit. Wichtig ist, dass wir klar und transparent machen, welchen ethischen Maßstäbe wir folgen.
Das SAMBA-Modell für ethische Entscheidungsfindung
Beispiel Nachhaltigkeit – je nach kulturellem und sozialem Kontext könnte man zu einem ganz anderen Schluss kommen. Ist das dann eine Frage der Moral?
Ethik ist die Wissenschaft, die über Moral nachdenkt – also die Vorstellungen, Normen, Werte und Prinzipien, die wir subjektiv oder gesellschaftlich verfolgen. Da stellt sich auch die Frage, ob die persönliche oder gesellschaftliche Moral ethisch akzeptabel ist oder nicht.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Vor ein paar Jahrzehnten war es eine gesellschaftliche Norm, dass Frauen hinter den Herd gehören. Ethisch war und ist das inakzeptabel, weil man der Hälfte der Menschheit die Selbstbestimmung raubt und ihre Freiheit einschränkt. Wenn man das erkennt, kann man auf Veränderungen hinwirken.
Bei den Menschenrechten sprechen sie von Minimalstandards. Gibt es weitere?
Stand heute diskutieren wir ethische Fragen nicht mit Goldfischen, sondern mit Menschen. Deshalb sollte die Bedingung eines Gesprächs über Ethik die gegenseitige Anerkennung als Menschen sein. Daher wäre Menschenwürde als ein Prinzip aller Prinzipien zu verstehen. Freiheit ist ein weiteres Prinzip aller Prinzipien, das wir brauchen, um überhaupt sinnvoll über Ethik nachdenken zu können. Denn Ethik ergibt erst Sinn, wenn wir die Freiheit haben, zwischen richtig oder falsch, gut oder schlecht zu entscheiden.
Welche Tipps haben Sie für Führungskräfte, wenn sie ethisch richtige Entscheidungen treffen möchten?
Dafür habe ich das Modell SAMBA entwickelt, das Entscheidungen in verschiedene Schritte strukturiert. Unternehmen können den Ansatz zum Beispiel für die Führungskräfteentwicklung nutzen. SAMBA steht für vier Schritte:
„See and understand the reality“: Entscheiderinnen und Entscheider sollten sich ein möglichst objektives Bild der Wirklichkeit machen.
„Analyze the reality from a Moral standpoint“: Es gilt, sich und anderen klar zu machen, welchen Maßstab man für die ethische Einordnung der Wirklichkeit heranzieht.
„Be the ethical judge“: Dann sollte man eine ethische Bewertung vornehmen.
„Act accordingly“: Da geht es schließlich darum, entsprechend ins Handeln zu kommen.
Bei welchem Schritt hapert es aus Ihrer Sicht in der Praxis noch?
Daran, die Gründe für Entscheidungen zu benennen und sie nachvollziehbar zu machen. Das ist entscheidend für erfolgreiches Leadership, aber das geht angesichts von Zeitdruck oft unter. Wenn man jemand kündigt, findest das niemand gut. Aber wenn man die Gründe erklärt, kann man diese oft zumindest zum Teil nachvollziehen. Das ist die Grundlage gelingender Interaktion in Unternehmen. Dann können wir aufeinander zugehen, und die Fronten verhärten nicht unnötig. Selbst bei diametral entgegengesetzten Positionen können die jeweiligen Begründungen erste Ansatzpunkte für eine Annäherung bieten.
Regulierung und Fairness in der Unternehmensführung
Lassen Sie uns noch über die Rahmenbedingungen und Regeln für ethische Entscheidungen in Unternehmen sprechen. Die Vorgaben dafür – zum Beispiel von der EU – werden von Unternehmen gerne als Bürokratie betrachtet. Zurecht?
Wir dürfen nicht übersehen: Diese Vorgaben schaffen Fairness, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für Unternehmen, wenn sie wissen: Das sind die Spielregeln und die sind für alle gleich. Datenbasierte Systeme können zudem Unternehmen helfen, diese Regeln einzuhalten und deren Überprüfung zu automatisieren – zum Beispiel bei Menschenrechtsverletzung in den Lieferketten oder bei der Identifikation rassistischer Hetzrede auf Social Media. Neben menschenrechtsbasierten datenbasierten Systemen als minimalen Regulierungsrahmen bräuchten wir aber noch eine globale Institution, die schlanke und präzise Regulierungsvorgaben für datenbasierte Systeme knallhart durchsetzt.
Unter der mangelnden Regulierung können auch Unternehmen leiden, wenn es quasi keinen Markt mehr gibt. Bei den Suchmaschinen haben wir etwa eine Monopolsituation, die es Anbietern erlaubt, Preise willkürlich zu bestimmen. Das schadet nicht nur Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch allen anderen Unternehmen. Für datenbasierte Systeme brauchen wir einen funktionierenden Markt. Wir sollten uns nicht von ein paar multinationalen Big-Tech-Unternehmen vorschreiben lassen, was wir zu tun haben. Dadurch könnten innovationsblockierende und marktschädliche Situationen entstehen.
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