Von Wind und Sonne leben für immer kostenlos
Im Jahr 2021 präsentierten Philipp Schröder, Micha Grüber, Philip Liesenfeld und Jannik Schall, die vier Gründer von 1KOMMA5°, einen dreistufigen Masterplan namens ›New Energy‹. Ihr Ziel war und ist es, im großen Maßstab Haushalte und Gewerbe zu einem dezentralen Kraftwerk zusammenzuschalten, das ausschließlich aus nachhaltiger Energie gespeist wird.
Kombiniert mit der firmeneigenen Software folgt der Strombezug dem Rhythmus von Wind und Sonne. Mit einer geplanten Kapazität von 1,5 Millionen vernetzter Energiesysteme bis 2030, die rund 22 Atomkraftwerken entsprechen würden, wäre 1KOMMA5° einer der größten Energieanbieter Europas. Als Chief Product Officer (CPO) nimmt Jannik Schall dabei eine zentrale Rolle ein. Durch seine vorherigen Stationen bei der Sonnen GmbH und Tesla ist er dafür bestens gerüstet. Hier erzählt er seine persönliche Founders‘ Story:
Selten war ein Name mehr Programm als der von uns: 1KOMMA5°. Mit der Anlehnung an das Pariser Klimaabkommen von 2015, auf das sich seinerzeit 197 Staaten einigten, steckt darin auch unsere Mission: die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad.
Allerdings wird dieses Ziel zunehmend unrealistischer. Die Emission von klimaschädlichem CO₂ ist in den vergangenen Jahren sogar gestiegen. Wenn wir so weitermachen, ist das globale CO₂-Budget bis 2030 aufgebraucht. Doch wirklich jede einzelne Person kann einen Beitrag leisten, indem sie anfängt, ihr eigenes Leben zu dekarbonisieren, also den eigenen Ausstoß von CO₂ verringert. Mit unserem Angebot helfen wir Menschen genau dabei. Wir wollen, dass alle ihr persönliches 1,5-Grad-Ziel erreichen können.
Vom Schwarzwald in die Energiebranche
Vordergründig richten wir uns dabei an Eigentümer von Einfamilienhäusern und Gewerbekunden. Allein in Europa sprechen wir dabei von über 111 Millionen Dächern – und somit über 111 Millionen potenziellen Kunden. Diese Herausforderung ist so gigantisch, dass man wahrscheinlich mehr als 20 Unternehmen wie unseres bräuchte, um sie zu bewältigen. Klingt ambitioniert, das wissen wir, vielleicht sogar größenwahnsinnig. Aber eigentlich geht es nicht anders. Bei der aktuell wohl größten Herausforderung der Menschheit müssen wir so viel größer denken als bisher.
Dass ich einmal Unternehmer im Bereich nachhaltiger Energie werden würde, war eher unwahrscheinlich. Aufgewachsen bin ich zwar im ländlichen Schwarzwald und somit besteht seit meiner Kindheit ein gewisser Bezug zur Natur. Aber Unternehmertum war bei uns zu Hause kein Thema. Ich bin mit meiner alleinerziehenden Mutter, die Musiklehrerin ist, groß geworden. Die ganze Familie war und ist eher künstlerisch und geisteswissenschaftlich geprägt. Vielleicht beeinflusste das auch meinen ersten Berufswunsch in gewisser Weise. Ich wollte Journalist werden.
Und auch wenn daraus am Ende nichts wurde, habe ich beim anfänglichen Recherchieren und Schreiben die Fähigkeit entwickelt, mich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Davon profitiere ich bis heute. Ich habe gelernt, Unbekanntes rasch in seinen Grundzügen zu erfassen und allgemeinverständlich wiederzugeben. Zwar habe ich es nie zu den großen Investigativgeschichten gebracht, aber ich weiß, wie aus einem Thema eine Story wird. Wie ich ein Produkt so mit Leben fülle, dass es mich und andere begeistert. Energie ist exakt so ein Thema.
Man kann Energie mit technischen Größen ausdrücken, etwa in Kilowattstunden anzeigen oder in Heizöläquivalenten aufwiegen. Aber man kann auch eine große Story über sie erzählen. Seit es Menschen gibt, wollen sie sich wärmen – und Geschichten hören. Was früher das Lagerfeuer neben der Höhle war, ist heute die Fußbodenheizung im Haus. Jedes Kind will wissen, wie der Strom in die Steckdose kommt. Erwachsene fragen sich, wie er in Zukunft, angesichts von Klimawandel und Energiewende, sauber und zuverlässig geliefert wird, um ihre Häuser zu wärmen und ihre Autos zu laden. Wir sprechen von ›Spannung‹, wenn wir einen Film schauen. Von einer ›elektrisierenden‹ Geschichte. Trotzdem sind wir hier viel zu langsam. Wir brauchen zu lange, um zu verstehen, dass wir die Energiewende als ganz große Story erzählen müssen, die alle hören wollen – als eine von Aufbruch und neuen Möglichkeiten.
Gemeinhin gilt die Energiebranche jedoch eher als unbeweglich und ziemlich langweilig, die Unternehmen und die Menschen, die sie repräsentieren, teilweise als eingestaubt. Da sind neben den alteingesessenen Energieriesen vor allem die gut 2.400 Stadtwerke. Nicht gerade glamourös, oder?
Dabei gibt es viele Unternehmen im Mittelstand, die in der Vergangenheit tolle Arbeit geleistet haben und richtig gute Produkte für die Gegenwart anbieten. Aber in Summe sehen wir eine geringe Offenheit für Innovation und kaum die Bereitschaft, eine tolle Story für die Zukunft zu erzählen, die die Menschen auch verstehen. Das möchten wir mit 1KOMMA5° ändern.
Ein Job bei Tesla: Einstiegsdroge in die Nachhaltigkeit
Nach der Schule habe ich erst einmal Zivildienst geleistet. Damals machte es mich glücklich, Menschen dabei zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Nebenher gründete ich eine kleine Firma im Bereich Onlinemarketing. Die Faszination, Menschen zu begeistern, indem man ihnen eine gute Story erzählt, ist mir also erhalten geblieben. Anschließend studierte ich Politik und Kommunikationswissenschaften an der Technischen Universität Dresden. Nebenbei jobbte ich bei Volkswagen und konzipierte Führungen durch Autofabriken.
Ein Wendepunkt für mich war Tesla. Ich hatte das Unternehmen seit seiner Gründung eng verfolgt und zufällig ergab sich nach meinem Studium die Gelegenheit für eine Probefahrt. Was die Leute da erzählten, klang wahnsinnig spannend und aufregend – und ganz anders als das, was ich bei Volkswagen gesehen hatte. Ich wurde neugierig darauf, wie so ein Unternehmen von innen aussieht. Zu dem Zeitpunkt gab es bei Tesla Deutschland fast nur Vertriebs- und Marketingjobs. Und obwohl mir das zuvor nie als Karriereoption in den Sinn gekommen war, war meine Neugier auf das Unternehmen so groß, dass ich mich trotzdem bewarb. Mein Bewerbungsgespräch bei Tesla führte ich mit jemandem, der heute ebenfalls bei 1KOMMA5° dabei ist. Bei Tesla habe ich auch meinen späteren Co-Founder und den Hauptinitiator von 1KOMMA5° kennengelernt: Philipp Schröder, der damals Deutschland-Chef des Unternehmens war. Tesla war unsere erste Station, die wir gemeinsam durchlaufen haben. Intensive Phasen am Anfang von Karrieren können zusammenschweißen.
Was mich bei Tesla fasziniert hat, war, dass es so völlig anders war als Volkswagen. Bei Tesla waren jede Menge cooler junger Leute in ihren Zwanzigern und es wurde unheimlich viel improvisiert. Ständig ist irgendetwas schiefgegangen und trotzdem wurde unglaublich viel bewegt. Es ging und geht mir immer noch um die grundsätzliche Attitüde, die dahinter steht: ›Wir machen einfach weiter.‹ Ich spürte den unbedingten Willen, Erfolg zu haben, und eine wahnsinnige Hingabe für die gemeinsame Mission.
Nicht nur die Begegnungen und der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen bei Tesla waren für mich packend, sondern auch zu verstehen, wie die Kunden ticken. Menschen, die überlegen, sich ein Elektroauto anzuschaffen, machen sich vorher und währenddessen automatisch Gedanken zum Thema Energie. Wie weit komme ich mit Strom im Vergleich zu einer Tankfüllung mit Benzin? Wo ist die nächste Ladestation, wenn ich unterwegs bin? Wie sauber ist die Energie, wenn ich mein Auto zu Hause an die Steckdose hänge? All diese Fragen haben mich seitdem begleitet. Der Job bei Tesla war sozusagen meine Einstiegsdroge in das Thema Nachhaltigkeit.
Das Tempo bei Tesla war extrem. Und der Wille zur radikalen Veränderung hat mich etwas Entscheidendes gelehrt: Nur weil man es schon immer so gemacht hat, ist es keineswegs weiterhin richtig. Eher bremst es eine Idee oder ein Produkt, sich Erkenntnissen aus der Vergangenheit zu sicher zu sein, wenn man es in Zukunft richtig groß denken will. Das typische Innovators‘ Dilemma eben.
Frischen Wind in alte Branchen bringen
Philipp ging irgendwann zurück zu einem Unternehmen, in dem er schon zuvor gearbeitet hatte: dem Batteriespeicherhersteller Sonnenbatterie GmbH. Kurzerhand folgte ich ihm gemeinsam mit einer Handvoll Kollegen dorthin. Was Elon Musk mit seiner Solarbatterie ›Powerwall‹ gerade mit großem Tamtam gelauncht hatte, gab es in Deutschland nämlich schon. Und wir witterten unsere Chance.
Wir machten damals ein komplettes Rebranding von Sonnenbatterie zu sonnen, internationalisierten und stellten neue Produkte vor. Hier entstanden auch viele Ideen, die heute bei 1KOMMA5° umgesetzt werden. Wir erfanden die sonnenCommunity, eine Gemeinschaft von mittlerweile mehreren zehntausend Mitgliedern, die ihren Strom miteinander teilen und in einem virtuellen Kraftwerk vernetzt sind. Es ging von Anfang an darum, dem Kunden nicht einfach ein Sammelsurium an hässlichen Blechboxen ins Haus zu schrauben, sondern eine sinnvolle Gesamtlösung zu entwickeln, die das Potenzial zum Statussymbol hat – ein Gedanke, den wir mittlerweile bei 1KOMMA5° konsequent weiterentwickelt haben.
Ich war gerade einmal ein halbes Jahr dabei, arbeitete wieder in Sales und Marketing, als Philipp mich bat, in die USA zu gehen und als Country Director interimsweise das US-Geschäft zu übernehmen. Ich war 25 Jahre alt und mir fehlte jegliche formale Ausbildung. Jemand mit einer betriebswirtschaftlichen oder technischen Ausbildung wäre sicher naheliegender gewesen. Ein Teil in mir dachte: ›Ich bin nicht der Richtige.‹ Ein anderer Teil dachte: ›Mal sehen, wie weit ich komme.‹ Zum weiteren Überlegen war keine Zeit, drei Tage später saß ich im Flieger nach Los Angeles. Die Situation vor Ort war ziemlich mies – ein Markt für das Produkt existierte praktisch nicht. Alle redeten zwar darüber, aber keiner wusste, wo zum Teufel man das Produkt verkaufen sollte. Während unser Wettbewerb in Kalifornien und Hawaii herumlief, wo es dank üppiger staatlicher Förderung angeblich bald richtig abgehen sollte, fand ich meine Kunden unter den Mormonen in Utah.
Es half jedoch nicht, dass unser Produkt in den ersten sechs Monaten praktisch nie funktionierte und im Laufe der Monate das Geld ernsthaft knapp wurde, um die rund 20 Mitarbeitenden vor Ort zu bezahlen. Ich musste die ersten harten Entscheidungen meiner Karriere treffen: Leute entlassen und den Gürtel enger schnallen. Hatte mein Vorgänger noch in den besten Hotels residiert, hieß es bei Geschäftsreisen ab sofort für das Team: Schäbige Motels müssen ausreichen.
Es war eine prägende Zeit, in der ich viel gelernt habe. Und in der ich einen enormen Vertrauensvorschuss erhielt, für den ich bis heute dankbar bin. Der damalige CEO von sonnen, Christoph Ostermann, der heute bei uns im Board sitzt, hat mich damals enorm unterstützt und sich für mich eingesetzt. Menschen zu fördern, die nicht auf dem Papier, sondern menschlich überzeugen, ist eine Philosophie, die ich stark verinnerlicht habe. Auch wenn man sich das Management von 1KOMMA5° anschaut, findet man dort eher nicht die typische Auswahl an Ex-Beratern und WHUlern, sondern eher unkonventionelle Köpfe.
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Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus dem Buch „Founders‘ Stories“, das 2024 bei Haufe erschienen ist. Hier geht’s zum Buch! |
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