Plan A oder die Macht des glücklichen Zufalls
Kaum eine Gründerin der deutschen Start-up-Szene hat sich mehr um das Klima verdient gemacht als Lubomila Jordanova. Sie ist Co-Founder und CEO von Plan A sowie Mitgründerin der Greentech Alliance. Darüber hinaus sitzt sie im Sustainability Board von Chloé. Vor ihrer Tätigkeit bei Plan A arbeitete sie in den Bereichen Investmentbanking und Venture-Capital sowie der Fintech-Industrie in Asien und Europa. Sie ist eine der Leader Europe 2022 der Obama Foundation, MIT Innovator Under 35 Europe 2022, Marshall Fund Fellow 2022 und wurde vom Handelsblatt als eine der Top-50-Frauen im Tech-Bereich in Deutschland bezeichnet.
Mit Plan A hilft Lubomila Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und leistet damit einen signifikanten Beitrag zur Rettung des Klimas und unseres Planeten. Hier erzählt sie ihre persönliche Founders' Story:
Als ich meine Sachen packte, um mich auf einen langersehnten Surftrip gen Marokko zu begeben, war mir nicht klar, wie fundamental diese Reise mein Leben verändern würde. Was mit Vorfreude, Fernweh und dem Verlangen nach einer wohlverdienten Auszeit begann, mündete in einer Kündigung, einem Umzug und einem beruflichen Neubeginn. Von jetzt auf gleich war ich fest entschlossen, alles auf null zu setzen. Ich ließ meinen jahrelangen Lebensmittelpunkt, das mir vertraute Umfeld und einen gut bezahlten Job hinter mir, um mich voll und ganz einer rasant gereiften Überzeugung hinzugeben – komplett ohne Fallschirm für den Fall, dass es nicht klappt.
Die bremsende Wirkung von Rettungsschirmen
Dabei hatte ich alles, was man sich nur erträumen konnte. Geboren und aufgewachsen in Bulgarien, zog es mich bereits früh raus in die Welt. Ich war schon immer neugierig und getrieben, andere Menschen, Sprachen und Kulturen kennenzulernen, die Erde zu bereisen, schillernde Orte zu entdecken und die faszinierende Natur zu erkunden. Ich hatte das Glück und das Privileg, dass meine Eltern diesen Lern- und Entdeckungsdrang stets unterstützen konnten. Aber sie wären nicht die fürsorglichen Eltern, die sie sind, wenn sie mich nicht auch auf das Leben vorbereitet hätten. Etwas Solides zu lernen und sich eine Zukunft aufzubauen: Anwältin. Das hätte ihnen gefallen.
Es war mein Kindheitstraum, andere bei der Lösung ihrer Probleme zu unterstützen. Also was machte ich als Zehnjährige? Ich stolzierte durch das Haus meiner Großeltern, schnappte mir das nächstbeste dicke Buch, schlug es wahllos auf und tat so, als rezitierte ich Gesetze. Das funktionierte jedoch nur mit mäßigem Erfolg, weshalb ich diesen Traum Traum sein ließ. Dennoch kann ich rückblickend sagen, dass dieser Ehrgeiz, für die gerechte Sache einzustehen, und der unbedingte Wille, anderen Menschen zu helfen, sich bis heute wie ein roter Faden durch mein Leben ziehen. Es war ein früher Fingerzeig, wer ich bin und was ich mit meinem Leben anfangen sollte.
Plan B, damals noch mit Rettungsschirm, war ebenfalls bodenständig. So zog es mich nach London, um Business Management an der London School of Economics and Political Science (LSE) zu studieren. Diese Zeit war unschätzbar wertvoll für mich und meinen weiteren beruflichen Werdegang. Ich tauchte ein in die Welt der Wirtschaftslehre, des Unternehmertums sowie der Finanzkennzahlen. Und bei allem, was ich lernte, reifte in mir die Erkenntnis, dass diese etablierte Lehre und Sicht auf Wirtschaft und Wachstum unsere heutige veränderte Welt nicht mehr vollends widerspiegelte. Eine Einsicht, die zum damaligen Zeitpunkt noch kein greifbarer, klarer Gedanke war, mich aber wenige Jahre später infolge meiner Reise nach Marokko wie ein Blitz traf.
Bevor es jedoch so weit kommen konnte, verdingte ich mich im Investmentbanking, im VC-Bereich und in der Fintech-Branche mit einem Abstecher nach Asien und zuletzt zurück in London. Die gelernte Theorie wurde gelebte Praxis. Wie reguliert sich der globale Finanzfluss? Welche Spielregeln gelten für Risikokapital? Wie kann sich ein Jungunternehmen in einem wettbewerbsintensiven Marktumfeld etablieren und durchfinanzieren? Unbezahlbare Lektionen, die mich formten und den Grundstein für das legten, was unweigerlich folgen sollte.
Eimer und Handschuhe statt Surfbrett
Was uns direkt an Marokkos Küste führt. Der Plan war auszuspannen, mich den Wellen hinzugeben und den Kopf freizubekommen. Doch gleich nach der Ankunft wich mein Lächeln einem langen Gesicht. Statt surfen zu gehen, sah ich mich mit Stränden konfrontiert, die, so weit das Auge reichte, mit Plastik und anderem Müll übersät waren. Ich war paralysiert. Statt Reißaus aus dem turbulenten, oft durch Unachtsamkeit geprägten Londoner Alltagsleben zu nehmen und in die mystische, geheimnisvolle Ferne einzutauchen, wurde ich schonungslos mit der Realität konfrontiert. Und die verhieß nichts Gutes. Ganz im Gegenteil: Auch hier im wunderschönen Marokko machte die Missachtung der Menschen gegenüber ihrem eigenen Ökosystem nicht halt. Mitnichten ein regionales Phänomen, sondern ein systemisches, wie mir schmerzhaft klar wurde. Diese Erkenntnis ließ den ersten Dominostein kippen.
Statt Surfbrett schnappte ich mir Eimer und Handschuhe und verbrachte meinen gesamten Aufenthalt damit, die Strände vom Müll zu befreien. Es rumorte in mir. Ich war unruhig, richtiggehend wütend. Wie konnte es so weit kommen? Natürlich hatte ich vieles davon schon einmal gehört oder gesehen. Vor allem die mediale Berichterstattung war zunehmend voll von Nachrichten über extreme Wetterereignisse. Dennoch wurde mir klar, dass mir die Zusammenhänge der vielen einzelnen Krisenherde, die unsere globalen Ökosysteme so nachhaltig aus dem Gleichgewicht gebracht haben, verschlossen blieben. Was verbirgt sich aus rein wissenschaftlicher Sicht eigentlich hinter dem Klimawandel? Was sind die wahren Auswirkungen auf den Menschen, unsere Wirtschaft und den Planeten?
Es ließ mich nicht mehr los. Zurück in London verbrachte ich jede freie Minute damit, mich zu belesen und die Hintergründe zu verstehen. All das gipfelte in einer einjährigen Untersuchung, in deren Verlauf ich ein Datenmodell erstellte und über 300 Menschen zu ihren Kenntnissen zum Klimawandel befragte. Das Ergebnis war alarmierend und ein Indiz dafür, wie unwissend und mitunter gleichgültig sich die Interviewten gegenüber ihrer Umwelt zeigten. Nach der Umfrage schien meine jüngste Stranderfahrung nicht mehr allzu verwunderlich. Gleichzeitig verstärkte sie meine nun geschärfte Wahrnehmung, dass die Dinge grundlegend falsch liefen.
So konnte es nicht weitergehen. Weder bei meinen Freunden und meiner Familie noch in der Gesellschaft und schon gar nicht in der Wirtschaft. Es musste sich dringend etwas ändern – und ich war fest entschlossen, das Heft in die Hand zu nehmen.
Der zweite Dominostein ist gefallen, die Kettenreaktion in Gang gesetzt
Ich fühlte mich nicht mehr wohl dabei, in meinem gewohnten Leben zu verharren, untätig zu sein und den Kampf gegen den Klimawandel auf morgen zu verschieben. Ich wollte handeln. Und so dauerte es nur einen Wimpernschlag, bis mein Entschluss getroffen war: mein gesammeltes Know-how aus der Geschäfts- und Finanzwelt sowie die just gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenzuführen, um dem rasant fortschreitenden Klimawandel entgegenzuwirken.
Nur wie? Wo anfangen? Und was tun? Es bedurfte eines Neustarts. Einer anderen Stadt, eines neuen Umfelds und frischer Impulse. Warum es mich hierfür ausgerechnet nach Berlin verschlug? Nun, ich glaube fest an die Macht der „Serendipity“, des glücklichen Zufalls. Vieles von dem, was wir heute tun, mag sich uns nicht sofort erschließen. Doch rückblickend ergeben sich zumeist der tiefere Sinn, die unsichtbaren Zusammenhänge. Als Schülerin besuchte ich in Bulgarien ein deutschsprachiges Gymnasium. War es mir zu diesem Zeitpunkt klar, welchen Nutzen dies einmal für mich haben würde?
Sicher nicht. Im Nachhinein war es Gold wert. Es ebnete mir den Weg in die deutsche Hauptstadt, die schon 2016 eines der wichtigsten Innovationszentren der Welt war. Die Kombination aus tief verwurzelter wissenschaftlicher Expertise und einer starken Tech-Szene wirkte wie ein Magnet auf mich.
Der Glaube an die Macht des glücklichen Zufalls
In dieser pulsierenden Metropole lernte ich schnell Gleichgesinnte kennen und traf so auch meinen Mitgründer Nathan Bonnisseau. Es gab so viel, was uns verband. Die Leidenschaft für die Sache, im Angesicht des sich anbahnenden, bedrohlichen Szenarios nicht zu erstarren, sondern die Ärmel hochzukrempeln und etwas zum Besseren wenden zu wollen. Und so entschlossen wir uns, unsere Kräfte und Talente zu bündeln und im April 2017 gemeinsam ein Unternehmen zu gründen – weder eine Anwaltskanzlei noch ein VC, aber dennoch fortan mein „Plan A“.
Die anfängliche Idee: eine Brücke zwischen weltweiten Nachhaltigkeitsprojekten und deren oftmals mangelhafter Finanzierung zu schlagen. In unseren frühen Tagen setzten wir monatliche Kampagnen um, um Kernbereiche des Klimawandels anzugehen. Wir verbündeten uns mit verschiedensten NGOs rund um den Globus, um beispielsweise jeden Monat eine Million Bäume auf der ganzen Welt neu zu pflanzen. Eine gute Sache, zweifelsohne. Aber brachte das den durchschlagenden Erfolg, den dringend benötigten, zeitnahen Impact? Wir mussten uns eingestehen, dass dem nicht so war.
Haben wir das Problem nicht bei der Wurzel gepackt?
Also änderten wir unseren Ansatz und entwickelten eine Crowdfunding-Plattform. Das Ziel blieb dasselbe, wurde aber skalierbar. Wir verbanden Individuen mit der Klimawissenschaft und weltweiten Projekten, die dringend Förderung benötigten. Mit der Zeit wurde die Plattform immer ausgefeilter.
So bauten wir einen Algorithmus und speisten ihn mit 300.000 Datenpunkten über Ozeane, Wälder, Wildtiere, nachhaltige Lebensweise, erneuerbare Energie und Abfallwirtschaft. Damit war er in der Lage vorherzusagen, wo und wie der Klimawandel am stärksten zu spüren sein und finanzielle Unterstützung am dringendsten benötigt würde. Er prophezeite beispielsweise, dass in der Bretagne der übermäßige Einsatz von Düngemitteln das Grundwasser über die Maßen verschmutzen würde. Mit der Plattform ließen sich Fördermittel kanalisieren, um entsprechende Projekte vor Ort gezielt zu unterstützen. Insgesamt verteilten wir hohe sechsstellige Eurobeträge auf über 100 Projekte weltweit.
Ein voller Erfolg. Oder? Wir waren hin- und hergerissen. Der Beitrag, den wir mit unserer Plattform für eine nachhaltigere Zukunft lieferten, war wichtig und dringend nötig. Aber uns wurde zunehmend bewusst, dass wir das Problem nicht bei der Wurzel packten. Bei allem, was wir taten, versuchten wir, das bereits in den Brunnen gefallene Kind aus selbigem zu ziehen. Wie aber ließe sich verhindern, dass es dort überhaupt hineingelangt? Wie konnten wir vermeiden, dass die von uns unterstützten Projekte erst zu solchen werden?
…
Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus dem Buch „Founders‘ Stories“, das 2024 bei Haufe erschienen ist. Hier geht’s zum Buch! |
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