Seit der ersten Utopia-Studie im Jahr 2017 hat das Thema Nachhaltigkeit stetig an Bedeutung gewonnen. Selbst die Corona-Pandemie wirkte, trotz großer persönlicher und wirtschaftlicher Unsicherheiten, eher als Katalysator für nachhaltigen Konsum. Doch die aktuellen Krisen haben den gegenteiligen Effekt: Nachhaltigkeit und nachhaltiger Konsum stehen unter Druck. Die Utopia-Studie ging daher der Frage nach: „Wie krisenfest ist nachhaltiger Konsum?“ Der Titel „Alles bleibt anders. Nachhaltiger Konsum in Krisenzeiten“ ( zum Download) deutet bereits darauf hin, dass einfache Beschreibungen der gegenwärtigen Situation nicht gerecht werden. Daher lohnt ein genauer Blick, den ich in die Ergebnisse gemacht habe.
Die positive Nachricht
Nachhaltigkeit hat sich im Mainstream etabliert. 44 Prozent der Bevölkerung in Deutschland zeigen eine deutliche Affinität zu nachhaltigem Konsum. Der „stabile Kern“ der nachhaltigkeitsorientierten Verbraucher hat in den letzten zwei Jahren nicht an Größe verloren, sondern sogar um drei Prozentpunkte zugenommen. Gleichzeitig ist die Gruppe derjenigen, die Nachhaltigkeit vollständig ablehnt, kleiner geworden. Eine erfreuliche Entwicklung.
Ein deutlicher Unterschied zu den vergangenen Jahren ist das gestiegene Preisbewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung, das den nachhaltigen Konsum zunehmend belastet. 86 Prozent der Deutschen suchen beim Einkaufen „vor allem nach günstigen Angeboten“, und nur noch 47 Prozent sind bereit, „einen Mehraufwand auf sich zu nehmen, um nachhaltige Produkte zu kaufen“ (11 Prozent weniger als vor zwei Jahren). Konsumenten, die in der Vergangenheit nachhaltige Angebote vor allem dann nutzten, wenn sie einfach zugänglich waren, wenden sich vermehrt ab. Ihr Preisbewusstsein nimmt zu, während ihre Nachhaltigkeitsorientierung abnimmt.
Trend zur Klima Fatigue
Ein weiteres neues Phänomen, das den nachhaltigen Konsum beeinflusst, ist die zunehmende Klimamüdigkeit. Wer hätte noch vor wenigen Jahren gedacht, dass angesichts immer häufiger auftretender Wetterextreme und Naturkatastrophen die Sorgen vor den Folgen des Klimawandels abnehmen könnten? Oder dass 43 Prozent der Bevölkerung Berichte über den Klimawandel oft als „übertriebene Panikmache“ empfinden? Der Widerstand der „Alles soll so bleiben, wie es ist“-Fraktion gegen Klimaschutzmaßnahmen wird stärker. In unseren Trendbeobachtungen sprechen wir von der sogenannten Nowstalgie. Man hätte gerne alles Nostalgische der Vergangenheit, am besten ohne jede Veränderung oder Einschränkung seiner Ego Strukturen, aber gut wäre es schon, wenn der Planet gerettet würde. Doch am besten ohne mich, andere werden es schon richten.
Nachhaltigkeit als Spiegelbild für die Spaltung der Gesellschaft
Die Gegensätze in den Einstellungen zu Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Umwelt sind sehr ausgeprägt. Die Gesellschaft ist zunehmend auch bei diesen Themen gespallten. Eklatant sind die Unterschiede zwischen den drei nachhaltigkeitsaffineren und den drei weniger nachhaltigkeitsaffinen Typen. So blicken 97 Prozent der Konsequenten wegen des Klimawandels sorgenvoll auf die Zukunft des Planeten, bei den Ablehnenden sind es nur 17 Prozent. Große Unterschiede in den nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen gibt es aber auch zwischen Jung und Alt, Stadt und Land, West- und Ost-Bundesländern sowie abhängig von Bildungsgrad oder Einkommen.
Glaubwürdigkeitsanforderungen an die Unternehmen
Die Utopia-Studie hat sich auch des Themas „Green Claims“ angenommen, das seit geraumer Zeit die Experten aller Kommunikationsdisziplinen beschäftigt. Es zeigt, wie verunsichert und zwiegespalten auch Konsumenten gegenüber umweltbezogenen Werbeaussagen eingestellt sind. Dass gerade so viele Unternehmen mit Nachhaltigkeit werben, macht 67 Prozent der Bevölkerung misstrauisch. 79 Prozent verlieren angesichts der Vielzahl der Claims sogar den Überblick. Dennoch kaufen 55 Prozent lieber Produkte mit grünen Werbeversprechen als vergleichbare ohne. Je nachhaltigkeitsorientierter Konsumenten sind, umso größer ist ihre Aufmerksamkeit und Wertschätzung für umweltbezogene Aussagen. Umso größer ist bei ihnen aber auch die Skepsis, inwieweit man den grünen Versprechen vertrauen kann.
Grundsätzlich gilt: Ob Kunden grüne Werbeversprechen vertrauen, hängt maßgeblich davon ab, ob sie dem Unternehmen oder Marke in puncto Nachhaltigkeit insgesamt vertrauen. Besondere Glaubwürdigkeitsanforderungen kommen deshalb auf konventionelle Unternehmen zu.
Schlüsse für Unternehmen und Politik
Was folgt aus den Erkenntnissen der Befragung für die Unternehmen und Politik?
- Angebote für weniger Nachhaltigkeitsaffine machen:
Angesichts von Inflation und gestiegener Preissensibilität der Konsumenten stehen Unternehmen vor der Herausforderung, den weniger nachhaltigkeitsaffinen, aber nicht ablehnenden Konsumenten Angebote zu machen, um zu verhindern, dass sie sich weiter abwenden. Bei ihnen scheitert die Entscheidung für Nachhaltigkeit nicht am Wollen, sondern vor allem am (gefühlten) Es-sich-nicht-mehr-leisten-Können. Günstigere Preise für nachhaltige Alternativen und eine sozialverträgliche Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen sind bis auf Weiteres die wichtigsten Hebel für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz von Nachhaltigkeit und Klimaschutz.
- Kommunikationschancen offensiv nutzen:
Auch wenn das Nachhaltigkeitsthema in der öffentlichen Debatte ein Stück weit zurückgedrängt wird: Problembewusstsein und ein Informationsbedürfnis für Nachhaltigkeitsthemen sind bei fast allen Konsumenten vorhanden. Sie wünschen sich von Unternehmen mehr Haltung, Orientierung und eindeutige Nachhaltigkeitskommunikation, was Herstellern und Handel große Kommunikationschancen bietet.
- Green Claims überprüfen:
Auch wenn die neue EU-Regulatorik zu Green Claims erst Ende 2026 rechtswirksam wird, sollten Unternehmen bereits jetzt beginnen, ihre grünen Werbeversprechen zu überprüfen. Zu groß das Misstrauen der Verbraucher:innen und die Gefahr, wegen Irreführung abgemahnt zu werden. Wer als Unternehmen seine Green Claims regularikkonform formuliert, bietet nicht nur Konsument:innen hilfreiche Orientierung bei Kaufentscheidungen, sondern hat damit auch die Chance, sich im Wettbewerb der Nachhaltigkeitsbotschaften glaubwürdig zu positionieren und Reputation aufzubauen.