Wenn Menschen bei Nachhaltigkeit die Augen verdrehen
„Wir haben jetzt ein papierloses Büro!“, erklärt mir eine Freundin, die in einem Konzern arbeitet. „Aber“, sie lacht, „es glaubt noch nicht jeder“. Was heißt denn das? „Es gibt da so einige, die drucken alles weiterhin zweimal aus – könnte ja sein, dass wir gehackt werden.“ Sie verdreht die Augen.
Einen Tag später – wir sitzen in einem Meeting. Die Präsentation, die wir gerade über den Beamer sehen, hat jede von uns gestern per Mail geschickt bekommen – ich habe sie am Rechner vor mir und mache mir digitale Notizen. Ich traue meinen Augen nicht: Mein Kollege rechts von mir notiert handschriftlich in seinen Farbausdruck. Noch nichts von Nachhaltigkeit gehört, raunzt ihn eine Kollegin an. Er kontert: Dafür trenne ich Müll. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Es gibt kein Zuviel an nachhaltigem Handeln. Der Kollege ergänzt: Und außerdem finde ich das so viel angenehmer.
Die Nachhaltigkeitskultur braucht Nachhilfe
Zwei unterschiedliche Beispiele und doch zeigen beide: Hier braucht die Unternehmenskultur Nachhilfe. Aber wie man das macht, alle mitzunehmen, ist leichter gesagt als getan. Und wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist, wird es umso schwieriger, die Kultur zu etablieren.
Führungskräfte, die annehmen, die Nachricht vom papierlosen Büro oder von anderen Nachhaltigkeitsmaßnahmen führe zu Begeisterungsstürmen, sind auf dem Holzweg.
Was ich damit meine? Die meisten Führungskräfte, die annehmen, die Nachricht vom papierlosen Büro oder von anderen Nachhaltigkeitsmaßnahmen führe zu Begeisterungsstürmen, werden eines Besseren belehrt. Aber gilt das denn dem papierlosen Büro oder Nachhaltigkeitsmaßnahmen per se? Definitiv nicht. An erster Stelle kommt es hier darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Mitarbeitenden mitgenommen werden. Ist alles schon beschlossene Sache und durchgeführt, fühlen sich die Mitarbeitenden zu recht nicht mitgenommen – es ist nicht mehr IHRE Sache, sondern kommt von oben. So gut die Entscheidung auch sein mag, so attraktiv die neuen Möglichkeiten, es bleibt etwas Fremdes, eine von außen für sie über ihren Kopf hinweg beschlossene Sache und ist und bleibt damit eine, die mit Distanz betrachtet wird.
Das A und O: Mitarbeitende einbeziehen!
Abhilfe schaffen Umfragen unter allen Mitarbeitenden, noch bevor etwas umgesetzt wird. Hinzu kommen Statusgruppen, in denen aus jeder Abteilung eine Mitarbeiterin vertreten ist – aus der Produktion ebenso wie aus der Geschäftsleitung. Sie bringen Impulse ein, sie entwickeln Ideen und Konzepte und stimmen sich mit den Abteilungen in Rückkopplung ab. Wenn die Ergebnisse dann Gewicht in der Geschäftsleitung haben, ist das ein guter Anfang für eine Nachhaltigkeitskultur im Unternehmen.
Nachhaltigkeit sollte von den Mitarbeitenden weder als Einmalsache noch als Greenwashing noch als Trend oder „Muss“ verstanden werden.
Was man auch nicht vergessen darf: Nachhaltigkeit sollte von den Mitarbeitenden weder als Einmalsache noch als Greenwashing noch als Trend oder „Muss“ verstanden werden. Überhaupt sollten die Mitarbeitenden Nachhaltigkeit gesamtsystemisch verstehen. Dafür braucht es Kommunikationskanäle, Weiterbildungsmöglichkeiten und Führungskräfte, am besten noch interne Influencer, die sich weitergebildet haben und die für das Thema brennen. Als nächstes geht es darum, ein Konzept zu entwickeln, um Nachhaltigkeit ganzheitlich in das Unternehmen einzuführen und weiterzuentwickeln – als immer aktiven Prozess mit Qualitätsmanagement – und natürlich schon vor Beginn mit der Einbindung der Mitarbeitenden durch Mitnahme und Mitspracherecht.
Und wenn’s mit der Nachhaltigkeitskultur schief läuft?
Ist aber einiges zu Beginn schief gelaufen in der Einführung von Nachhaltigkeit, in der Kommunikation dazu und in der Einbindung beziehungsweise Nichteinbindung der Mitarbeitenden, dann hilft zum Aufbau einer Nachhaltigkeitskultur erst einmal nur Ehrlichkeit und die Erkenntnis, dass Prozesse und Entscheidungen falsch waren. Das reicht nicht aus, aber ein solcher Prozess kann dann so aussehen:
- Eine ehrliche Bitte um Entschuldigung an die Mitarbeitenden im Stil von: Eigentlich hätte das so nicht laufen dürfen. Wir möchten es jetzt richtig machen – mit Ihnen, mit Euch zusammen.
- Ein gemeinsamer Richtungswechsel hin zur Einbeziehung aller Stakeholder und
- die Implementierung erarbeiteter Maßnahmen dazu, regelmäßige Weiterentwicklung und Reflexion.
So kann es gehen.
Am 30. Oktober erscheint Anabel Tèrnes‘ neues Buch „Los, jetzt: Nachhaltig führen = Zukunft gewinnen“. Mit diesem Buch entwickeln Führungskräfte ein besseres Verständnis dafür, Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft wahrzunehmen und somit langfristigen Erfolg für ihr Unternehmen und ihre Mitarbeitenden zu schaffen. Sie können das Buch ab sofort im Haufe Shop vorbestellen. |