Dr. Josef Baumüller, Astrid Leben
Rz. 100
Mit der Offenlegungspflicht ESRS S1-10 soll ein Überblick geschaffen werden, ob Beschäftigte des berichtspflichtigen Unternehmens eine angemessene Entlohnung erhalten, die mit geltenden Referenzwerten (Benchmarks) im Einklang steht (ESRS S1.68). Ist dies der Fall, wird eine entsprechende Angabe zu Erfüllung der Offenlegungspflicht als ausreichend erachtet, und es sind darüber hinaus keine weiteren Informationen erforderlich (ESRS S1.69).
Rz. 101
Wenn allerdings nicht alle seiner Arbeitnehmer eine angemessene Entlohnung (in Relation zu geltenden Referenzwerten) erhalten, muss das Unternehmen berichten,
- in welchen Ländern dies der Fall ist sowie
- den Prozentsatz jener Beschäftigten, deren Entlohnung unter dem Referenzwert des jeweiligen Landes liegt (ESRS S1.70).
Rz. 102
Es ist nicht zwingend erforderlich, die in Rz 100 angeführten Angaben auch für die im Unternehmen tätigen Fremdarbeitskräfte zu tätigen, da ESRS S1-10 lediglich von eigenen Arbeitnehmern spricht: eine freiwillige Offenlegung auch für diese Beschäftigtenkategorie wird jedoch empfohlen (ESRS S1.71). Die Einschränkung der Angabepflichten auf Arbeitnehmer und damit auf jene Personen, die in einem direkten Beschäftigungsverhältnis stehen, dürfte den Berichtsaufwand wohl erheblich reduzieren, fördert jedoch nicht die Transparenz über angemessene Entlohnung von möglicherweise vulnerablen Mitarbeiterkategorien (z. B. Migranten) mit tendenziell niedrigem Entgeltniveau, die sich in der Kategorie der Fremdarbeitskräfte (z. B. Zeitarbeitskräfte) befinden könnten. Dies scheint insbes. vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass in ESRS S1.AR50 als ein exemplarisches Ziel angeführt wird, eine "angemessene Entlohnung für Fremdarbeitskräfte zu erreichen", und damit die Erhebung der Informationen in Rz 100 bedeutend wäre, um Transparenz über die Einkommenssituation sämtlicher Arbeitskräfte des Unternehmens zu erlangen.
Rz. 103
I. S. d. ESRS werden folgende Begriffe i. V. m. "angemessene Entlohnung" definiert:
- Die ESRS definieren "Lohn" als "Bruttolohn ohne variable Komponenten wie Überstunden und Anreizvergütung und ohne Zulagen, sofern sie nicht garantiert sind".
- Als "angemessene Entlohnung" wird jener Lohn bezeichnet, der ausreicht, um die Bedürfnisse der Arbeitskraft und deren Familie unter Berücksichtigung der nationalen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen zu befriedigen.
- Der "niedrigste Lohn" wird für die niedrigste Entgeltkategorie berechnet, ohne Praktikanten und Auszubildende. Dabei soll das Grundeinkommen zzgl. aller festen Zuzahlungen zugrunde gelegt werden, das allen Arbeitnehmern garantiert wird. Der niedrigste Lohn ist für jedes Land, in dem das Unternehmen tätig ist, gesondert offenzulegen (mit Ausnahme der Unternehmen, die außerhalb des EWR liegen; ESRS S1.AR72).
- Als "Entlohnung" sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar als Geld- oder Sachleistung zahlt ("ergänzende oder variable Bestandteile"), zu verstehen.
- "Einkommen" bezeichnet das Bruttojahresentgelt und den entsprechenden Bruttostundenlohn.
- "Medianeinkommen" bezeichnet die Einkommenshöhe, von der aus die Zahl der Beschäftigten mit niedrigeren Einkommen gleich groß ist wie die der Beschäftigten mit höheren Einkommen.
- Als "Überstunden" werden tatsächlich geleistete Arbeitsstunden, die von einer Arbeitskraft über ihre vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten hinaus geleistet wurden, erfasst.
Rz. 104
Der Begriff "niedrigster Lohn" wird u. E. in den ESRS nicht eindeutig abgegrenzt; unklar bleibt insbes., worum es sich bei "feste Zuzahlungen" handelt oder wie die Begriffe "Entgeltkategorie" und "Grundeinkommen" i. S. d. ESRS zu definieren und abzugrenzen sind.
Rz. 105
Die Anwendungsanforderungen (ESRS S1.AR73) verweisen im Zusammenhang mit Referenzwerten bzw. Benchmarks, die für den Vergleich mit dem "niedrigsten Lohn" herangezogen werden dürfen, auf unterschiedliche Anforderungen in EWR-Ländern und Ländern außerhalb des EWR:
- Für Länder des EWR darf der angemessene Mindestlohn nicht niedriger sein als der gem. der Richtlinie (EU) 2022/2041 festgelegte Mindestlohn (Rz 109).
Für Länder außerhalb des EWR darf der angemessene Mindestlohn nicht niedriger sein als das in bestehenden internationalen, nationalen oder subnationalen Rechtsvorschriften, offiziellen Normen oder Tarifverträgen festgelegte Lohnniveau auf der Grundlage einer Bewertung des Lohnniveaus, das für einen angemessenen Lebensstandard erforderlich ist:
- falls keines dieser genannten Instrumente vorhanden ist: ein nationaler oder subnationaler Mindestlohn, der durch Rechtsvorschriften oder Tarifverhandlungen festgelegt wurde;
falls keines der bislang angeführten genannten Instrumente vorhanden ist: jeder Referenzwert, der die Kriterien der Initiative für nachhaltigen Handel erfüllt, einschl. anwendbarer Referenzwerte, die an die Anker-Methodik angeglichen sind oder ...