Dr. Josef Baumüller, Prof. Dr. Kerstin Lopatta
Rz. 109
Die Schlüsselregelung zu den Berichtsgrenzen, d. h. zum Umfang, in dem Daten für die geforderte Nachhaltigkeitsberichterstattung einzuholen sind, findet sich in ESRS 1 am Anfang von Kap. 5 "Wertschöpfungskette": "Die Nachhaltigkeitserklärung gilt für dasselbe Bericht erstattende Unternehmen wie die Abschlüsse" (ESRS 1.62). D. h., dass für eine nicht konsolidierte Nachhaltigkeitserklärung gem. Art. 19a der Bilanz-RL i. d. F. CSRD grds. Daten in die Berichterstattung aufzunehmen sind, die auf einer einzelgesellschaftlichen Ebene für das berichtspflichtige Unternehmen anfallen. Für eine konsolidierte Nachhaltigkeitserklärung gem. Art. 29a der Bilanz-RL i. d. F. CSRD ist demgegenüber auf Daten des Mutter- und aller Tochterunternehmen einzugehen. Aus der Systematik der grundlegenden Vorgaben der Bilanz-RL folgt, dass die Frage, welche Unternehmen als Tochterunternehmen in den Nachhaltigkeitsbericht grds. aufzunehmen sind, auf Basis der für die Finanzberichterstattung angewandten Normen zu beurteilen ist (d. h. deutsches HGB/österreichisches UGB bzw. IFRS). Wie in den folgenden Rz 114 ff. dargestellt wird, gibt es aber im Detail auch Abweichungen zwischen den Berichtsgrenzen in der Finanzberichterstattung und in der Nachhaltigkeitsberichterstattung, die auf einem abweichenden Verständnis von den abzubildenden Berichtsinhalten beruhen (wirtschaftliche Einheit vs. Auswirkungen, Risiken und Chancen).
Die Abbildung von Nachhaltigkeitsaspekten gem. ESRS kann sich dahingehend unterscheiden, ob sie in einer nicht konsolidierten bzw. einer konsolidierten Nachhaltigkeitsberichterstattung erfolgt. THG-Emissionen eines Tochterunternehmens sind in der nicht konsolidierten Nachhaltigkeitserklärung des Mutterunternehmens z. B. als Scope 3 zu erfassen; in einer konsolidierten Nachhaltigkeitserklärung wird i. d. R. ein Ausweis als Scope 1 oder Scope 2 geboten sein.
Rz. 110
Der Wortlaut in ESRS 1 lässt offen, ob alle Tochterunternehmen oder nur die in den Konzernabschluss einbezogenen Tochterunternehmen für die konsolidierte Nachhaltigkeitsberichterstattung relevant sind. Die grundlegende Vorgabe, die auf einen Gleichklang zwischen Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung zielt, lässt auf die einbezogenen Tochterunternehmen als zulässige Untergrenze für die Festlegung der Berichtsgrenzen gem. ESRS 1 schließen. Hier ist trotzdem mind. insofern zu berichten, als das Tochterunternehmen Teil der Wertschöpfungskette des Konzerns ist bzw. zumindest sonstige Geschäftsbeziehungen unterhalten werden. Einbeziehungswahlrechte – v. a. jenes der Unwesentlichkeit – werden jedoch nach deutschem HGB/österreichischem UGB bzw. IFRS sowie nach ESRS gesondert zu würdigen sein und ggf. zu notwendigen Abweichungen führen: Ein Beispiel hierfür wäre der Fall, dass ein Tochterunternehmen von einem finanziellen Standpunkt aus betrachtet unwesentlich ist, jedoch wesentliche Auswirkungen entfaltet; im Lichte der finanziellen Wesentlichkeit kann gleichermaßen eine abweichende Beurteilung zur Wesentlichkeit erfolgen, z. B. aufgrund der unterschiedlichen Betrachtungszeiträume (Rz 135). In der Literatur wurde zu diesem Beispiel jüngst der Standpunkt vertreten, dass eine vollumfängliche Einbeziehung des Tochterunternehmens in die Nachhaltigkeitserklärung vorzunehmen sei.
Die Integration von Tochterunternehmen, die nicht Teil des Konzernabschlusses sind, in die Nachhaltigkeitserklärung wird sich zumeist herausfordernd gestalten, da keine formalisierten Berichtsprozesse und -systeme zwischen Tochterunternehmen und Mutterunternehmen eingerichtet wurden.
Umgekehrt wird es ebenso zulässig sein müssen, gem. HGB/UGB bzw. IFRS in den Konzernabschluss aufgenommene Tochterunternehmen, die gem. ESRS aber unwesentlich sind, nicht in die konsolidierte Nachhaltigkeitserklärung einzubeziehen. In der Praxis wird dies eine seltenere Konstellation sein.
Der (finanzielle) Konzernabschluss umfasst viele kleine Tochterunternehmen, die aufgrund einer geringen Zahl an Mitarbeitern oder aufgrund der Art ihrer Geschäftstätigkeit gem. ESRS als unwesentlich zu beurteilen sind, d. h. jedenfalls nicht mit wesentlichen Auswirkungen, Risiken bzw. Chancen verbunden sind. Werden diese Tochterunternehmen daher (teilw.) nicht in die konsolidierte Nachhaltigkeitserklärung einbezogen, wird auf den Umstand gem. ESRS 2 BP-1 hinzuweisen sein, aber kein Grund zur Beanstandung vorliegen.
Im Ergebnis gefordert ist jedenfalls, die in der Finanzberichterstattung als unwesentlich beurteilten Tochterunternehmen bei der Wesentlichkeitsanalyse gem. ESRS einer erneuten Betrachtung zu unterziehen. Um den damit verbundenen Aufwand handhabbar zu machen, falls ein Konzern mehrere solcher Tochterunternehmen beherrscht, ist u. E. eine risikobasierte Voranalyse zulässig; ähnlich den Regelungen zur Berücksichtigung der Wertschöpfungskette können sich berichtspflichtige Konzerne auf jene (nicht in den Konzernabschluss einbezogene) Tochterunternehmen in der Wesentlichkeits...