Dr. Josef Baumüller, Prof. Dr. Kerstin Lopatta
Vorbemerkung
Die Kommentierung bezieht sich auf ESRS 1 gem. Berichtigung der Delegierten Verordnung (EU) 2023/2772 v. 31.7.2023, ABl. EU L v. 9.8.2024. Sie wurde umfassend an die überarbeitete Übersetzung der ESRS vom 9.8.2024 angepasst.
Umfassende Aktualisierungen betreffen u. a. die Berücksichtigung der EFRAG Q&A (Rz 28, 67, 84), die Wesentlichkeitsanalyse (Rz 44, 53, 64, 66, 67, 71–75, 77, 79 f., 84, 89, 97), die Ausführungen zur Sustainability Due Diligence (Rz 48 f., 56) und konsolidierten Nachhaltigkeitsberichterstattung (Rz 110, 115), die Abgrenzung von "Geschäftsbeziehung", "Wertschöpfungskette" und "Aktivitätenkette" (Rz 125 f., 132, 191) sowie die zu berücksichtigenden Zeiträume (Rz 135–137). Darüber hinaus sind relevante Aspekte der Implementation Guidances IG 1, IG 2 und IG 3 der EFRAG eingearbeitet (Rz 13, 59, 73 f., 78, 87, 89, 105, 107, 117, 128) und die Ausführungen zur Stakeholder-Einbindung und zum Einsatz von Verweisen ausgebaut (Rz 57 f., 162 f.). Auch die Diskussion, inwieweit die Steuerpolitik eines Unternehmens einen Nachhaltigkeitsaspekt darstellt, ist aufgegriffen worden (Rz 68).
1 Zielsetzung und Inhalt
Rz. 1
ESRS 1 enthält – anders als alle anderen zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorliegenden ESRS – keine explizit gekennzeichnete Angabepflichten. Seine Aufgabe ist es vielmehr, als Klammer vor den Einzelanforderungen
- ein Verständnis für den Aufbau der ESRS zu vermitteln (Rz 3 ff.),
- die den ESRS in ihrer Gesamtheit zugrunde liegenden Konzepte sowie weitere allgemeine Grundlagen darzustellen (Rz 18–149) und
- grundlegende, formale Anforderungen an die Berichterstattung festzuhalten (Rz 150 ff.; ESRS 1.3).
Aus vielen der enthaltenen Anforderungen lassen sich implizite Angabepflichten ableiten – z. B. zu restatements (Rz 145 ff.) oder i. V. m. dem Grundsatz der Konnektivität –, die von den berichtspflichtigen Unternehmen laufend zu würdigen sind. Weiterhin enthält der Standard die Übergangsbestimmungen, die bei erstmaliger Anwendung der ESRS zum Tragen kommen (Rz 182 ff.).
Rz. 2
ESRS 1 ist damit als Grundlage für die Regelungen der weiteren Standards zu nutzen. Er enthält Ausführungen zu Fragestellungen, die für die Anwendung der Angabepflichten dieser weiteren ESRS von Bedeutung sind (z. B. zur Festlegung von Zeithorizonten oder im Hinblick auf Phase-in-Regelungen). Ebenso enthalten andere ESRS aber auch Angabepflichten, die sich unmittelbar auf Inhalte von ESRS 1 beziehen (z. B. zur Darstellung des Prozesses der Wesentlichkeitsanalyse). Ein Inhalt von zentraler Bedeutung in ESRS 1 sind die Ausführungen zum Wesentlichkeitsgrundsatz in den ESRS, konkret in Form der doppelten Wesentlichkeit: Hiermit werden Leitlinien für die verpflichtende Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse gegeben. Die Ergebnisse dieser Wesentlichkeitsanalyse bestimmen in Folge die Inhalte der gesamten Nachhaltigkeitsberichterstattung gem. ESRS. Weitere abgrenzbare Themenbereiche, die von ähnlichem Stellenwert sind, umfassen die Festlegung der Berichtsgrenzen sowie den Aufbau und die formale Ausgestaltung einer Nachhaltigkeitserklärung (siehe zur Begrifflichkeit auch Rz 151) gem. ESRS.
2 Grundlagen zur Struktur der ESRS
2.1 Ebenen von Standards und Angabepflichten
Rz. 3
ESRS 1 legt die grundlegende Struktur der ESRS dar und behandelt damit zugleich das Zusammenspiel der bereits vorliegenden und noch in Entwicklung befindlichen ESRS. Unterschieden werden drei Ebenen von Standards, die sektorunabhängig für alle berichtspflichtigen Unternehmen gelten (ESRS 1.4):
- generelle Standards (cross-cutting standards): diese umfassen ESRS 1 ("Allgemeine Anforderungen") und ESRS 2 ("Allgemeine Angaben"); die Regelungen dieser Standards sind für alle Nachhaltigkeitsaspekte von Relevanz, die auf den beiden nachfolgenden Ebenen der ESRS behandelt werden; sie liegen somit der gesamten Berichterstattung gem. ESRS als Fundament zugrunde (ESRS 1.5 ff.);
- themenbezogene Standards (topical standards): die ESRS unterscheiden drei Säulen von Standards, die konkrete Angabepflichten zu Nachhaltigkeitsaspekten zum Inhalt haben; diese Säulen folgen der in Literatur und Praxis etablierten, von der CSRD auch vorgegebenen Gliederung nach den drei Dimensionen von ESG: Umweltstandards, Sozialstandards und Governance-Standards (ESRS 1.8 f.);
- sektorspezifische Standards (sector-specific standards): schließlich sollen ESRS entwickelt werden, die Angabepflichten nur für solche Unternehmen ergänzen, die mit ihrer Geschäftstätigkeit einem bestimmten Sektor zuzuordnen sind; damit soll auf spezifische Sachverhalte besser eingegangen werden können, die z. B. innerhalb einzelner Branchen von besonders hohem Stellenwert sind oder sogar nur in diesen vorkommen (ESRS 1.10).
Set 1 der ESRS, das 2023 verabschiedet wurde, umfasst die generellen Standards sowie zehn themenbezogene Standards. Letztere sind allerdings in Teilen noch nicht fertiggestellt (siehe insbes. ESRS S2 bis ESRS S4; § 11 Rz 5 f.). Zu den sektorspezifischen Standards liegen gegenwärtig erst Arbeitspapiere vor. Eine Verabschiedung erster Standards dieser Ebene war ursprünglich für das Jahr 2024 geplant, wurde allerdings auf...