Ich bin selbst ein bisschen überrascht, dass ich als Professorin für Controlling die beiden Kriterien Gewinn und Liquidität ausgerechnet an den Schluss gestellt habe. Offenbar hat sich die nachhaltige ganzheitliche Ausrichtung bereits so verfestigt, dass sie sich – fast unbemerkt – in dessen Struktur eingeschlichen hat.

Glauben Sie bitte nicht, dass ich mit diesem Unterkapitel jetzt alles kippe, was ich vorher gesagt habe und es "at the end of the day" auch mir tatsächlich nur um die Gewinnmaximierung geht. Nein, aber ich bin auch keine Träumerin, und mir ist vollkommen klar, dass ein privates Wirtschaftsunternehmen nicht dauerhaft Verlust machen darf, wenn es langfristig existieren soll. Damit spreche ich aber nicht von Maximierung des Gewinns, sondern von ausreichendem oder angemessenem Gewinn. Ach je, schon wieder diese schwammigen Formulierungen! Maximaler Gewinn klingt so schön großzügig und nach einer "nach oben offenen" Skala. Zudem gibt es so viele schöne betriebswirtschaftliche Modelle, die alle auf das Kriterium Gewinnmaximierung abzielen. Muss man die denn jetzt alle "in die Tonne treten"?

Ehrlich, ich hatte schon manche Situation in meinen Vorlesungen, in der mir genau das in den Sinn kam. Aber darum geht es natürlich nicht, oder sagen wir, zumindest nicht allein.

Wenn ich also den Studierenden zu verstehen gebe, dass hinter vielen Controllinginstrumenten das Zielkriterium Gewinnmaximierung steckt, lasse ich das heute nicht mehr unkommentiert stehen. Ich mache sie zunächst einmal einfach darauf aufmerksam. Im zweiten Schritt fordere ich sie auf, für sich zu prüfen, was für eine Geisteshaltung dahintersteht und wie sie selbst sich zu dieser Haltung stellen. Ich zeige ihnen anhand realistischer Fallbeispiele, wie es dazu kommt, dass in Unternehmen, die stark (kurzfristig) gewinnorientiert arbeiten, häufig Kosteneinsparungen an erster Stelle stehen und dass unter Kosteneinsparungen meist als allererstes Personaleinsparungen verstanden werden. Die in meinen Augen absurde Reaktion an der Börse, die sich nach Bekanntgabe von Personalentlassungen umgehend in Kurssteigerungen zeigt, kennen sie längst. Zum Schluss fordere ich die Studierenden dazu auf, sich klarzumachen, welche anderen Ziele in einem Wirtschaftsunternehmen neben Gewinnerzielung noch relevant sind, Ziele, die vielleicht einmal der Ausgangspunkt für die Gründung des Unternehmens waren. Ich habe (bis jetzt) noch keines der betriebswirtschaftlichen Modelle umgeschrieben. Meine Aufgabenstellungen und Fallstudien beinhalten aber immer kritische Fragestellungen zur "blinden" Anwendung der üblichen Methoden und/oder konkrete Beispielfälle, die aufzeigen, was passieren kann, wenn man die Verfahren einfach stur anwendet. Und zu meinem eigenen Seelenheil genieße ich die Veranstaltung "Nachhaltige Entwicklung", die ich im Team-Teaching mit einer Kollegin abhalte, weil ich dort die Gelegenheit habe, auch konzeptionelle Ansätze für mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft, wie die Gemeinwohl-Ökonomie und die Postwachstumstheorie zu diskutieren.

Dass Gewinnerzielung nicht zum Selbstzweck werden sollte, auch nicht in privaten Wirtschaftsunternehmen, sondern immer die Frage gestellt werden sollte, wofür dieser Gewinn letztlich verwendet wird und womit er erzielt worden ist, das ist mir ein großes Anliegen.

Es wäre für mich ein großer Erfolg, wenn unter meinen Leser der eine oder die andere ab sofort bei dem Begriff Gewinn darüber nachdenken würde: Wofür? Was will ich mit dem Gewinn anfangen? Soll er für Investitionen dienen, die mich auf dem Weg der Nachhaltigkeit weiterbringen? Soll er für eine Prämien- oder Abfindungszahlung benutzt werden? Oder ist er einfach eine selbstverständlich zu beobachtende Kenngröße, die eine bestimmte Höhe erreichen muss, um den Unternehmenserhalt zu gewährleisten, das vorderste Ziel ist es aber, Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen!?

Und immer noch erhebe ich nicht den Zeigefinger. Ich will Ihnen nicht sagen, was richtig und was falsch, was gut und was böse ist. Ich möchte gerne, dass Sie sich bewusst machen, was Ihre Hauptzielrichtung ist: Möchten Sie Gewinn machen (ein hohes Einkommen haben), weil Sie glauben, dass Ihnen das Sicherheit gibt? Ermöglicht es Ihnen ein Leben auf großem Fuß? Wollen Sie sich Wünsche erfüllen? Wollen Sie andere an Ihrem Erfolg teilhaben lassen? Wollen Sie einen Beitrag zur Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse leisten ...?

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