Es gibt kaum noch ein Unternehmen, dass sich noch kein netto-Null Ziel gesetzt hat, teils aus Überzeugung, teils auf Druck der Öffentlichkeit, der Kunden oder der Politik hin. Ob Netto-Null-Emissionen bis 2050 oder gar komplette Klimaneutralität in weniger als zehn Jahren: Die Ziele wirken auf den ersten Blick beeindruckend und zeugen von einem Bewusstsein für den Ernst der Klimakrise.
In immer mehr Gesprächen höre ich jedoch die ernüchternde Realität heraus: Die selbst gesteckten Ziele scheinen für viele Unternehmen deutlich schwieriger zu erreichen zu sein, als sie sich das ursprünglich vorgestellt hatten. Die Budgets sind knapp und die Erreichung der Ziele bedeuten teils signifikante Veränderungen und Invests. Wir haben noch Zeit bis 2030, 2040 oder 2050, aber wenn die Kurven in die entgegengesetzte Richtung gehen, was tun wir als Nachhaltigkeitsmanager:innen?
Anspruch und Realität: Klimaziele im Unternehmen
Bei den DAX-Unternehmen lässt sich die Analyse leicht machen. Konzerne wie die Deutsche Bank, die klimaneutrale Finanzportfolios bis 2050 anstreben, oder BMW, die ihre Flottenemissionen um 40 Prozent reduzieren wollen, stehen unter einem enormen Anpassungsdruck. Automobilhersteller kämpfen unter anderem mit hohen Scope-3-Emissionen, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette entstehen und schwer kontrollierbar sind. Diese Ziele verlangen tiefgreifende Veränderungen, nicht nur innerhalb des Unternehmens, sondern auch entlang komplexer globaler Lieferketten – und dies ist oft leichter gesagt als getan.
Ihr werdet es auch gelesen haben: Internationale Konzerne wie Microsoft nehmen bereits Korrekturen vor. Microsoft hatte sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu sein und sogar historische Emissionen rückgängig zu machen. Doch die steigende Nachfrage nach ihren digitalen Services – die oft hohe Energieintensität erfordern – stellt das Unternehmen vor unerwartete Herausforderungen. Die Kurven gehen schlicht nach oben, nicht nach unten. Hier zeigt sich deutlich, wie die Realität die Theorie überholt: Diese Unternehmen müssen nun ihre ambitionierten Pläne anpassen, da es nicht so schnell vorangeht, wie erhofft.
Von formulieren Zielen und tatsächlichen Fortschritten
Die Diskrepanz zwischen formulierten Zielen und tatsächlichen Fortschritten wird für viele Unternehmen zunehmend eine Herausforderung. Einige berichten von Schwierigkeiten bei der Erfassung und Reduzierung ihrer Scope-3-Emissionen – einem Bereich, der besonders herausfordernd ist, weil er oft komplexe Lieferketten und Endnutzungsdaten umfasst. Gleichzeitig haben nur wenige Unternehmen klare Zwischenziele und eine konsistente Messung für ihre Fortschritte etabliert. Alleine die Messung und korrekte Zielformulierung ist schwierig. Und, wenn man die Ziele formuliert hat, müssen oft Werte angepasst werden, da die Erfassungsmethoden stetig besser werden.
Diese Entwicklungen sehe ich als Beobachter mit einer Mischung aus Verständnis und Skepsis. Es fällt auf, dass gerade große Unternehmen mit weit verzweigten Lieferketten zunehmend Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Ansprüche zu erfüllen. In den Gesprächen wird oft deutlich, dass einige bereits ihre Strategie anpassen und damit beginnen, realistischere, wenn auch weniger ambitionierte Ziele zu setzen. Dies kann zwar den Druck mindern, erfordert aber eine sorgfältige, transparente Kommunikation, damit es nicht als Greenwashing wahrgenommen wird.
Zielkorrekturen und ehrliche Kommunikation
Was also tun, wenn die Erfüllung der ambitionierten Klimaziele in weite Ferne rückt? Ein erster Schritt ist eine klare und ehrliche Kommunikation. Die Tatsache, dass selbst Branchengrößen wie Microsoft ihre Pläne justieren müssen, zeigt, dass die Herausforderungen oft nicht nur auf mangelnden Willen, sondern auf strukturelle Hürden oder Marktentwicklungen zurückzuführen sind. Hier gilt es, proaktiv auf Transparenz zu setzen, die Herausforderungen klar darzulegen und gegebenenfalls auch realistische Zielmarken zu formulieren.
Es wäre ein Fehler, allein auf das „Enddatum“ zu blicken – anstelle dessen sollte der Fokus auf einem kontinuierlichen Fortschritt liegen. Und ich glaube, immer mehr Unternehmenskommunikationsabteilungen haben verstanden, dass wir uns alle auf dem Weg befinden und ehrlicher sowie transparenter kommunizieren können.
Die Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel
Aus unternehmerischer Sicht ist Glaubwürdigkeit eine der wertvollsten Währungen. Wenn Unternehmen große Versprechen machen, diese aber nicht halten, stellt dies aber nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch die Legitimität der gesamten Klimabewegung infrage. Ambitionierte Klimaziele sind gut und wichtig, doch sollte das Augenmerk nicht nur auf dem finalen Ziel liegen. Vielmehr sollten Unternehmen und Branchen ihren Weg zu diesen Zielen offen und nachvollziehbar gestalten. Wer transparent kommuniziert und bereit ist, den Kurs, wenn nötig, zu korrigieren, kann seine Glaubwürdigkeit langfristig bewahren und das Vertrauen der Stakeholder stärken.
Wegweisend ist für mich der Moonshot von DHL: Wir setzen uns ein Ziel, wir wissen noch nicht, wie wir hinkommen, aber wir setzen alles daran, dass wir das Ziel erreichen. Und, wir sind dabei transparent, dass wir den Pfad dorthin nicht kennen. Wenn Ihr DHL seid, bitte korrigiert mich, aber diese Botschaften kommen bei mir als Stakeholder an. Ich finde sie super, da sie ehrlich sind und mich abholen.
Helfen Technologie und Kooperation weiter?
Einige Unternehmen zeigen, dass eine gezielte Kooperation mit Zulieferern und Branchenkollegen den Weg zu realistischeren Zielsetzungen und einer besseren Zielerreichung ebnen kann. Durch den Austausch von Wissen, Standards und Technologien könnte die Branche als Ganzes resilienter und fortschrittlicher werden.
Der Einsatz innovativer Technologien wie der Künstlichen Intelligenz zur Emissionsmessung und -verfolgung könnte ebenfalls entscheidend sein, um den Fortschritt im Bereich der Nachhaltigkeit zu beschleunigen und klimafreundliche Lösungen entlang der Lieferketten umzusetzen.
Vom Ziel zur Verpflichtung: Ein fortlaufender Weg
Letztlich zeichnet sich ein Umdenken ab, das ich nur befürworten kann. Klimaziele sind nicht als feste Endpunkte zu verstehen, sondern als Zielrichtung, die kontinuierlich gepflegt und deren Erreichen kommuniziert wird. Der Wandel zur Klimaneutralität ist kein Sprint, sondern ein langfristiger Prozess, bei dem es entscheidend ist, einen klaren Kurs zu verfolgen – und dabei flexibel zu bleiben.
Nur wenn Unternehmen die Klimaneutralität als fortlaufende Verpflichtung verstehen und die Bereitschaft zeigen, ihre Ziele pragmatisch und im Einklang mit realen Gegebenheiten anzupassen, kann die Wirtschaft tatsächlich den Wandel vollziehen, den wir für eine nachhaltige Zukunft benötigen. Der Druck wird weiter steigen, doch mit technologischer Innovation, strategischen Partnerschaften und ehrlicher Kommunikation könnte ein realistischer und nachhaltigerer Weg für Unternehmen möglich werden.
Ich bleibe gespannt.
Euer Alexander