„Alle reden über Nachhaltigkeit, aber wie fängt man an?“ Das ist der Titel eines Vortrags, den Clara Fernau vor gut drei Jahren bei der IHK Darmstadt gehalten hat. Und genau das war die Kernfrage, als sie 2021 den auf Zerspanung spezialisierten Betrieb von ihrem Vater übernahm. Fernau Präzisionstechnik dreht und fräst Teile aus Stahl, Edelstahl, Aluminium und Kunststoffen für Unternehmen, etwa aus dem Maschinenbau oder der Automatisierungs- und Messtechnik. Der 1995 gegründete Betrieb beschäftigt 15 Mitarbeitende und verfügt über zehn Maschinen.
Clara Fernau, 34, ist eigentlich Industrie-Designerin, preisgekrönt; sie war in der Start-up-szene unterwegs. Als Designerin beschäftigte sie sich mit Materialien aus Mikroorganismen. Dann fragte ihr Vater Theo Fernau, ob sie nicht das Familienunternehmen führen wolle. Sie wollte. Schon deshalb, weil sie als Geschäftsführerin eines Unternehmens in puncto Nachhaltigkeit viel bewirken kann. Doch schnell stand sie vor der Frage: Wo anfangen?
Clara Fernau setzt auf den Blick von außen
Bis dato hatte das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen keine Rolle gespielt. Die Stahlbranche gilt als schmutzig, energie- und ressourcenfressend. „Wir stellen Stahl nicht her, sondern verarbeiten ihn nur. Natürlich hat ThyssenKrupp einen viel, viel größeren Hebel als wir. Aber ich glaube daran, dass jede Firma ihren eigenen Wirkungsbereich hat“, sagt Clara Fernau.
Also hat sie einfach angefangen: Fernau ist dem Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) beigetreten, hat auf Ökostrom umgestellt und spart damit 26 Tonnen CO2-Emissionen im Jahr. Die Gummiringe stammen nun aus fairem Handel in Ecuador, es gibt jetzt Biokaffee und Hafermilch, einen gasbetriebenen Transporter – und bei gutem Wetter beliefert Vater Fernau regionale Kunden per Lastenfahrrad. Clara Fernau besucht Messen und nachhaltige Unternehmen, ist bei der IHK präsent und gründete ein eigenes kleines Netzwerk mit anderen Unternehmensnachfolgern. Sie setzt auf Wissenstransfer, Weiterbildung und Austausch. Das gibt ihr, sagt sie, „Zuversicht und Mut“.
Alles kleine Bausteinchen, Clara Fernau spricht von „low hanging fruits“. Sie wäre in puncto Nachhaltigkeit gern schon viel weiter, aber: Erstmal taten sich nach der Stabübergabe andere Baustellen auf: „Ich bin etwas blauäugig in meine neue Rolle als Geschäftsführerin gestartet und musste mich erst einmal einfinden – in die Rolle der Geschäftsführerin, in die Zerspanungstechnik und wie ich das Unternehmen nachhaltiger machen kann.“
Um kontinuierlich besser zu werden, holt sie sich, wann immer möglich, Unterstützung von außen. Zum Beispiel von jungen Leuten aus den Hochschulen der Region: So ermittelte ein Student für seine Master-Arbeit, was bei Fernau alles passieren muss, um den Betrieb klimaneutral zu machen. Eine studentische Projektgruppe der Hochschule Darmstadt nahm unter anderem den Energieverbrauch unter die Lupe, weshalb bei Fernau jetzt smarte Zeitschaltuhren laufen. Aktuell arbeitet das Unternehmen mit Berufsschülern aus Offenbach zusammen.
Eine neue Software soll valide Daten liefern
Ein Knackpunkt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit: Die Software war veraltet, weshalb einfach zugängliche Daten über Lieferketten, Stoffströme, Materialeinsatz und Energieverbrauch fehlten. Es sei „eine reine Nebelsuppe“ gewesen. „Eine gute Software ist die Grundlage, um überhaupt nachhaltig wirtschaften zu können“, ist Clara Fernau überzeugt.
Bei der Auswahl der neuen Lösung nahm sie ihr Team mit, und zwar auch physisch. Gemeinsam schauten sie sich in einem Unternehmen Software-Anwendungen an und definierten die Anforderungen. Das Land Hessen gewährte einen sogenannten DIGI-Zuschuss in Höhe von 10.000 Euro. Seit dem 12. Oktober läuft die neue Software. Sie soll digital abbilden, was in der Werkstatt passiert, also welche Materialien wann wo wie und mit welchem Energieverbrauch laufen. Prozesse sollen standardisiert, Arbeitsabläufe digitalisiert und damit letztlich die Maschinenleistung voll ausgeschöpft werden. Außerdem kann das neue Tool die CO2-Emissionen berechnen.
„Miteinander reden hilft“
Als Clara Fernau das erste Mal bei einem Kundentermin mitteilte, ihr Ziel sei eine transparente Aufschlüsselung aller Umweltkosten, ist einer ihrer Mitarbeiter aus allen Wolken gefallen. Sie verspreche Unmögliches, so sein Einwand. Tatsächlich ist es eine komplexe Aufgabe, alle relevanten Nachhaltigkeitskennziffern zu erheben und zu messen, Clara Fernaus Ziel aber bleibt: Transparenz.
Sie hat sich auch deshalb für die Unternehmensnachfolge entschieden, weil sie mehr für ihr „Herzensthema Nachhaltigkeit“ tun kann: „Ich habe einen viel größeren Nachhaltigkeitshebel in der Firma meines Vaters. Ich genieße an der Position, dass ich Entscheidungen treffen kann.“ Zu diesen Hebeln zählt sie die Weiterbildung ihres Teams. Das, sagt sie, sei dem Thema Nachhaltigkeit gegenüber insgesamt sehr aufgeschlossen, „wir haben insgesamt ein relativ junges Team, darunter viele junge Väter, und die sind ganz dankbar, dass wir das Thema angehen“.
Auch die Kunden reagieren positiv. So ist zum Beispiel der wichtigste Auftraggeber sehr daran interessiert, dass bei Fernau energieeffizient gearbeitet wird – was vermutlich dem Lieferkettengesetz geschuldet ist.
Derzeit plant Clara Fernau eine interne Klimakonferenz für Mitarbeitende und Lieferanten, auf der es um Nachhaltigkeit im Allgemeinen und bei Fernau im Besonderen gehen soll. Ihre Erfahrung zeigt: Miteinander reden hilft. Und: Viele sind offen für das Thema Nachhaltigkeit. Man muss nur anfangen.