Teil 4: Umsetzung nachhaltiger Innovationsstrategien


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Umsetzung nachhaltiger Innovationsstrategien

Der über den Grundnutzen von Produkten hinausgehende, „gefühlte“ Zusatznutzen, spielt bei innovativen CSR-Produkten eine bedeutende Rolle. Mit ihm bieten sich Unternehmen große Chancen bei der Umsetzung von nachhaltigen Innovationsstrategien. 

Die im dritten Teil angesprochenen emotionalen Nutzenaspekte von Produkten lassen sich oft bei Kaufentscheidungen beobachten, die manchmal geradezu irrational anmuten. Anstatt sich ausschließlich auf sachliche Informationen zu beschränken, kaufen wir Produkte, die in Bezug auf die objektiv messbaren Leistungsmerkmale nicht besser sind als die günstigere Alternative, aber bestimmte, eher auf der Gefühlsebene stattfindende Nutzeneigenschaften haben. Dies zeigt sich in einem bestimmten Design, einer besonderen Haptik oder auch in einer Markeneigenschaft oder Unternehmensimage, das uns ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe gibt – einen Status. Hierfür sind viele Menschen bereit, einen Aufpreis zu bezahlen, wobei diese Bereitschaft sich von Segment zu Segment unterscheidet.

Rationale, auf objektiv Messbares bezogene Eigenschaften einerseits, und emotionale Aspekte andererseits, gehen also – je nach individueller Disposition – in die Kaufentscheidung ein. In Bezug auf Luxusgüter und Statusmarken mag das befremdlich sein, aber diese Erkenntnis ist wertvoll. Oft bleibt es unklar, warum man bestimmte Produkte für sehr viel mehr Geld kauft, bei denen man „nur“ für die Marke oder das Image zahlt. Der Grund wird von den betreffenden Personen selbst oft nicht verstanden, denn auch hier sind latente, nicht artikulierbare Bedürfnisse im Spiel.

Für nachhaltige Innovationen ist dies ein wichtiger Punkt. Denn der Nutzen, den nachhaltige Produkte bieten, liegt zu einem großen Teil ebenfalls auf der emotionalen Ebene. Auch hier werden langfristige, außerhalb des unmittelbar spürbaren Konsumnutzens befindliche Bedürfnisse angesprochen und befriedigt, die z. B. im Zusammenhang mit gesellschaftlichen und ökologischen Problemen stehen, die vielen zu schaffen machen und auf das Gewissen drücken. Eine ausschließlich an direkt messbaren und objektiven Qualitätsmerkmalen orientierte Sicht auf Produkte und ihren Nutzen greift also zu kurz, auch wenn sich manche Nachhaltigkeitsmerkmale vielleicht direkt messen lassen.

Im Verständnis dieses Zusammenhangs liegt ein wesentlicher Schlüssel bei der Vermarktung von CSR-Innovationen. Für Unternehmen bedeutet es nämlich, dass die Einbeziehung des „gefühlten“ CSR-Nutzens, wenn er denn glaubwürdig kommuniziert wird, großes Potenzial hat, gerade wenn es darum geht, Nachhaltigkeit auch betriebswirtschaftlich rentabel zu machen – ein Punkt, der als „Business Case“ von CSR immer wieder lebhaft diskutiert wird.

Das Wissen um die Nutzenebenen von Produkten und ihre emotionalen Anteile lässt sich mit dem Wissen über die Verbreitung von Innovationen verknüpfen. CSR-Innovationen müssen sich ebenso wie „konventionelle“ Neuheiten über die Segmente hinweg ausbreiten, um erfolgreich zu sein; auch hier müssen die frühen Adoptergruppen den Anfang machen, wenn es um die Übersetzungsaufgabe geht. Die Tatsache, dass der Nutzen von Nachhaltigkeit auch, und manchmal nahezu ausschließlich, anderen zukommt (z. B. zukünftigen Generationen oder an der Wertschöpfung beteiligte Menschen in anderen Ländern), bedeutet, dass die Diffusion mit noch größeren Hindernissen verbunden ist als bei klassischen, nicht nachhaltigen Produkten. Denn die Bereitschaft, CSR zu konsumieren, ist über die Gesellschaft hinweg sehr ungleich verteilt, und viele, die Nachhaltigkeit propagieren, konsumieren dennoch auf herkömmliche, nicht nachhaltige Weise.  

Dieser Unterschied zu klassischen Produkten ist vielleicht entscheidend. Da sich die Segmente in ihrer Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse überhaupt in technisches Vokabular zu bringen, sehr stark unterscheiden, wie in Teil III gezeigt wurde, gilt die oben beschriebene Adopterdynamik umso mehr für innovative CSR-Produkte. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Bedürfnisse adressieren, die nicht ohne Weiteres mit denen vergleichbar sind, die durch klassische Konsumgüter bedient werden. Nachhaltigkeit ist verknüpft mit einem Bedürfnisaspekt, der nicht nur die Person betrifft, die tatsächlich konsumiert, sondern auch Personen, die durch den Konsum nur mittelbar betroffen sind. So ist es genau die Wirkung, die man über den eigenen, privaten Nutzen hinaus erzielt, sei sie nun positiv oder negativ, die den Konsum wünschenswert oder problematisch aus gesellschaftlicher oder ökologischer Sicht macht. Menschen, die sich um die Erhaltung der Natur Sorgen machen oder für die sozialen Auswirkungen ihres Konsums interessieren, nehmen diese Einstellungen bewusst in ihre täglichen Kaufentscheidungen auf. Die Motive können dabei stärker auf der individuellen Nutzenebene liegen, z. B. wenn es um langfristige Gesundheitsaspekte des eigenen Fleischkonsums geht, oder aber auf einer sozialen Ebene, d. h. echtem Altruismus entspringen, wie z. B. bei Fair-Trade-Produkten etc.

Angesichts dieser Überlegungen ist leicht zu erkennen, dass sich mit CSR-Innovationen ein emotionaler Zusatznutzen erzeugen lässt, der dem Produkt (und dem Unternehmen) ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal verschafft, ähnlich der schon erwähnten Luxusmarke, die der konsumierenden Person auf emotionaler Ebene Nutzen stiftet, den ein No-Name-Produkt nicht stiften könnte. Aber Nachhaltigkeitsprodukte bieten neben den Grundnutzenaspekten, die jedem Konsumgut zukommen, einen Zusatznutzen, der sich auf Aspekte bezieht, die außerhalb des momentanen, ja sogar außerhalb des individuellen Nutzens überhaupt liegen.

Nachhaltigkeit als Leitbild

Der besondere Charakter der CSR-Innovationen liegt zudem darin, dass diese nur dann von den betreffenden Segmenten als glaubwürdig wahrgenommen werden, wenn sich CSR auf die gesamte Wertschöpfungskette bezieht. Das bedeutet, dass die Umsetzung nachhaltiger Innovationsstrategien im Unternehmen hierarchisch sehr hoch angesiedelt sein muss. Die segmentspezifische, also über die verschiedenen Adoptergruppen heterogene Wahrnehmung von Nutzen und CSR-Qualität bedeutet, dass eine strategische Umsetzung nur im Sinne eines ganzheitlichen Nachhaltigkeitsleitbildes verwirklicht werden kann. Dies hat Auswirkungen auf Strategie und Struktur des Unternehmens.

Da die Maximen des kurzfristigen Profits zugunsten einer langfristigen, eben nachhaltigen, Sicht auf unternehmerisches Handeln aufgegeben werden müssen, sind Unternehmen hier einer echten Zerreißprobe ausgesetzt. Denn Nachhaltigkeitsziele stehen in einem nicht zu unterschätzenden Konflikt mit kurzfristigen ökonomischen Interessen; man braucht einen langen Atem, bis sich Erfolge einstellen, was der Kapitalgeberseite viel abverlangt – siehe hierzu Teil II („CSR als Lupe für Innovationen“). Da CSR allerdings, wie oben gezeigt, selbst ein Instrument der Bedürfnissuche darstellt, mit dem man nachhaltige Innovationsimpulse frühzeitig erkennt, wird dieser Widerspruch etwas abgemildert.

CSR-Scorecards und Nachhaltigkeits-Strategy-Maps

Für die Unternehmensführung sind strategische Tools, wie Balanced Scorecards (BSC) und Strategy-Maps nützlich, die auf Leitbilder der Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Dabei wird der klassische Ansatz der Balanced Scorecard auf die oben vorgestellten strategischen Suchpunkte bezogen, die sich mit Marketing und CSR realisieren lassen.

Ruhnke CSR-Scorecard

Die in der Abbildung dargestellte CSR-Scorecard bildet die Verbindung von objektiv messbaren Kriterien der Technologieseite und die segmentspezifische Wahrnehmung auf der Bedürfnisseite ab. Auf diese Weise werden die technischen und finanziellen Stellschrauben innerhalb des Unternehmens mit dem CSR-Nutzen, einschließlich der emotionalen Aspekte, sichtbar, und so eine Operationalisierung der innovationsstrategischen Übersetzung möglich.

Die Segment- und Gesellschaftsperspektive stellt die Kriterien und Ziele bei der Bedürfniserfassung bereit, sodass das Management die differenzierte Suche in strategischen Suchpunkten kontrollieren und auf eine ausgewogene Abstimmung in marktnahen und ‑fernen Bereichen achtet. Messgrößen sind hier die wahrgenommenen CSR-Ausprägungen, die mit Hilfe von einfachen oder tiefergehenden Methoden erfasst werden.

Spiegelbildlich hierzu steht die Perspektive der internen Prozesse für die Technologieseite. Gekoppelt an die auf der Bedürfnisseite erfasste Wahrnehmung von CSR-Innovationen auf der Segmentseite werden die technischen Stellschrauben selbst in ihrem Wirkungsgrad auf diese Wahrnehmung gemessen. Man versucht also die Zusammenhänge zwischen technischer Veränderung der innovativen Technologie und der daraus hervorgehenden wahrgenommenen Nutzenänderung zu erfassen.

Als Bindeglied zwischen diesen beiden Perspektiven fungiert die Perspektive der Innovation und des Lernens. Sie steht für die kontrollierte Kopplung beider Übersetzungsseiten, die mit zunehmendem Innovationsgrad immer weiter zu divergieren drohen. Die finanzielle Perspektive muss die genannten Konflikte, die sich zwischen lang- und kurzfristigem Kapital ergeben, durch diversifizierte CSR-Portfolios und innovative Methoden der Kapitalbeschaffung glätten.

Schlagworte zum Thema:  Innovationsmanagement, Innovation, CSR, Nachhaltigkeit