„Eklatantes Überwachungsdefizit“: IG Bau fordert Ausbau der Arbeitsschutzaufsicht
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) fordert eine übergeordnete Behörde zur schärferen Kontrolle der Sicherheit von Beschäftigten am Arbeitsplatz. „Wir haben beim staatlichen Arbeitsschutz in den Bundesländern seit Jahren ein eklatantes Überwachungsdefizit, das sich jetzt noch einmal verschärft hat“, warnte Carsten Burckhardt, zuständig für den Arbeitsschutz im IG BAU-Bundesvorstand. „Wir brauchen eine übergeordnete Behörde, die Kontrollen bündelt.“ Diese Behörde müsse die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten und Sozialvorschriften sicherstellen.
Arbeitsschutzaufsicht mit inakzeptablem Personalschlüssel
Aufhänger der Forderungen der Gewerkschaft ist der aktuelle Arbeitsschutzbericht der Bundesregierung. Danach sind für die Einhaltung der betrieblichen Sicherheitsvorschriften bundesweit 1.468 Aufsichtsbeamte verantwortlich. Rein rechnerisch sei damit, so die IG Bau, ein Kontrolleur für 23.085 Beschäftigte zuständig. Und das, obwohl die Internationale Arbeitsorganisation der Europäischen Union eigentlich eine Quote von einem Kontrolleur für maximal 10.000 Beschäftigte fordere.
Die Kritik der Gewerkschaften an der Arbeit der Gewerbeaufsichtsämter und ihre personelle Ausstattung ist nicht neu. So meinte 2021 bereits Wolfgang Hien, ehemals Referatsleiter für Gesundheitsschutz beim DGB-Bundesvorstand, dass die Gewerbeaufsicht die Betriebe der Bauwirtschaft erst dann aufsuche, wenn bereits ein Unfall passiert ist. Schuld daran sei aus seiner Sicht insbesondere der sogenannte „Bürokratieabbau“ seit der Schröder-Ära, in dessen Folge das Personal der Gewerbeämter von 4.400 auf 3.000 Beamte reduziert wurde. Allein für das Bauwesen müssten, so Hein weiter, die Behörden eigentlich auf 10.000 Personen aufgestockt werden.
Dänemark – Positivbeispiel bei der Arbeitsschutzaufsicht
Viele Experten meinen, dass die deutsche Arbeitsschutzaufsicht von den europäischen Nachbarn lernen kann. Letztendlich hängt eine Verbesserung des Systems aber vom politischen Willen ab, den Kontrollbehörden genügend Ressourcen zur Verfügung zu stellen. So wie beispielsweise in Dänemark. Allein um eine bessere Kontrolle von psychosozialen Gefährdungen in den Betrieben möglich zu machen, investiert die dänische Regierung rund 9,5 Millionen Euro im Jahr. Dies ermöglichte, die Anzahl von Aufsichtspersonen stetig zu erhöhen und entsprechende Schulungen durchzuführen.
Die Besonderheit des dänischen Systems ist, dass während des ganzen Kontrollprozesses großer Wert auf Dialog und gegenseitige Konsultation zwischen den verantwortlichen staatlichen Stellen einerseits sowie den Aufsichtsämtern und den Betrieben andererseits gelegt wird. Die Inspektoren beginnen mit einem sogenannten „Screening-Besuch“. Finden sie hierbei Mängel und Defizite, folgt eine weitere Inspektion, bei der Daten wie beispielsweise Krankheits- und Fluktuationsraten genauer angesehen werden.
Wichtig ist den Dänen die intensive Kommunikation zwischen Inspektoren und Betrieb und die aktive Rolle des Unternehmens dabei. So führen die Behördenvertreter mehrere Treffen mit den jeweiligen betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzbeauftragten durch. Die Unternehmen können sogar eigene Aktionspläne entwickeln, auf deren Basis psychosoziale Gefährdungen im Betrieb unterbunden werden sollen, und die mit den Behörden beraten werden. Bei Bedarf werden diese dann in Kooperation mit den Inspekteuren der Behörden im Laufe des Kontrollprozesses weiterentwickelt.
Digitalisierung der Arbeitsschutzaufsicht
Aber auch in Hinsicht auf die Digitalisierung sind Arbeitsschutzaufsichtsbehörden in einigen europäischen Ländern schon weiter. Ein Vorsprung, der von den deutschen Stellen nicht so leicht aufgeholt werden kann, wie 2020 ein von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) organisierter internationaler Workshop befand: Für eine Big-Data-/KI-unterstützte Steuerung von Betriebsbesichtigungen würde, so die Schlussfolgerung der Teilnehmer, eine gut abgestimmte und verfügbare Informations- und Datenbasis benötigt. Lösungen, wie sie etwa in Dänemark oder Norwegen eingesetzt werden, ließen sich derzeit nur sehr begrenzt auf Deutschland übertragen, da in diesen Ländern eine weit umfassendere und systematischere Vernetzung von betrieblichen Daten zu Sicherheit und Gesundheit möglich ist.
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