Simulation und Szenarien-Modellierung: Controllinginstrument in Krisenzeiten und darüber hinaus
Simulation und Szenarien-Modellierung zur proaktiven Gestaltung der Zukunft
Viele Unternehmen haben in der Corona-Krise die Notwendigkeit von Simulationen und Szenarien im Rahmen der Unternehmensplanung erkannt und kurzfristig entsprechende Modelle aufgesetzt. Die Modellierung von Szenarien ist jedoch nicht nur in Zeiten hoher Unsicherheit essenziell. Das Erstellen von unterschiedlichen Zukunftsentwürfen zwingt zum Denken in Alternativen und bildet so die ideale Basis für eine proaktive Unternehmenssteuerung.
Auch wenn die Wichtigkeit von Simulation und Szenarien-Modellierung weitgehend anerkannt ist, zeigt die Erfahrung, dass dieses Instrument von der Mehrheit der Unternehmen nur vereinzelt und insbesondere ad-hoc bei Krisen genutzt wird. Dies hat vor allem zwei Gründe:
- Zum einen hat die Szenarien-Modellierung in der Regel Projektcharakter und ist nicht in die Regelprozesse eingebunden. Entsprechend wird sie nach einer Krise regelmäßig wieder aufgegeben.
- Zum anderen besteht teilweise ein diffuses Verständnis einer „Szenario-Planung“ im Sinne einer ausschließlich langfristigen und qualitativen („strategischen“) Zukunftsbetrachtung. Solche akademisch anmutenden Versuche können das Management aufgrund ihres begrenzten Mehrwerts oft nur eingeschränkt überzeugen.
Modernes Verständnis von Szenarien-Modellierung als Basis für einen kontinuierlichen Einsatz
Viele Unternehmen nutzen für ihre Simulationen im Krisenmodus reine Finanzmodelle. Solche Modelle greifen zu kurz und sind vom operativen Geschäft entkoppelt. Wir empfehlen hingegen eine moderne Interpretation der Szenarien-Modellierung, in deren Mittelpunkt Geschäftstreiber und Maßnahmen stehen.
Abbildung 1: Aufbau des Treibermodells – Logik und Bestandteile
Quelle: Horváth & Partner GmbH
Basis-Szenarioanalyse als Ausgangspunkt für Treibermodell
Ausgangspunkt für die Modellierung ist ein möglichst automatisiert hergeleiteter „Base Case“ bzw. Basis-Szenario. Dieses basiert auf einer existierenden Planung oder wird wie ein Forecast mittels Fortschreibungslogiken wie Predicitve Analytics oder grober Treiber erzeugt.
Dieses Basis-Szenario wird anschließend über ein Treibermodell angepasst, so dass alternative Szenarien entstehen. Ein solches veränderungsbasiertes Vorgehen sichert Effizienz und vermeidet eine aufwendige Neuplanung. Zentrale Eingangsgrößen sind verschiedene operative Treiber bzw. Parameter (z. B. Veränderungen von Mengen und Produktivitäten), die in finanzielle Größen übersetzt werden. Die Treiber müssen grundsätzlich so integriert sein, dass sich eine Treiberveränderung auf alle zugehörigen Größen auswirkt: Beispielsweise muss eine Veränderung der Absatzmenge sowohl eine Veränderung der Umsatzerlöse als auch der variablen Kosten nach sich ziehen.
Szenarioanalysen auf Basis von Business Cases für operative Maßnahmen entwerfen
Neben den Treibern bilden Maßnahmen den zweiten, zentralen Modellierungsbaustein für die Simulation. Diese können zum Beispiel größere Projekte oder organisatorische Veränderungen sein. Je Maßnahme muss die finanzielle Wirkung für den relevanten Horizont in Form eines „Business Case“ vorliegen. So wird eine Art Maßnahmenvorrat für das Unternehmen aufgebaut. Die Modellierung erfolgt dann über die flexible Zuordnung der Effekte einzelner Maßnahmen zu den Szenarien („on-off“). Wo es sinnvoll erscheint, können pro Szenario Schwellwerte für zentrale Steuerungsgrößen (Absatz, Profitabilität und Liquidität) definiert werden, bei deren Überschreitung die entsprechenden Maßnahmen stufenweise ausgelöst werden.
Um ihre volle Wirkung zu entfalten, muss die Modellierung und Betrachtung von Szenarien zum kontinuierlichen Begleitinstrument von Management und Controlling werden und in die Steuerungsprozesse integriert werden. Hier lassen sich verschiedene Anlässe unterscheiden.
- Im Rahmen der Top-down-Planung werden alternativ mögliche Entwicklungen diskutiert, mit dem Fokus auf die jeweils zugehörigen Maßnahmen. Deuten sich unterjährig Umfeldänderungen an (z. B. ein ungeregelter Brexit, der Ausfall eines strategischen Lieferanten oder der Eintritt eines Wettbewerbers), so sollten die definierten Szenarien aktualisiert und ggf. einschließlich angepasster bzw. neuer Maßnahmenpläne erweitert werden.
- Die Szenarien-Modellierung sollte zudem Teil des Risikomanagements im Sinne eines Stresstests sein. Hier wird betrachtet, wie sich unterschiedliche Negativ-Szenarien („downside“) auf die finanzielle Stabilität des Unternehmens auswirken.
- Auch bei wichtigen Investitionsentscheidungen (z. B. Automatisierung von Teilen der Produktion), Make-or-buy-Entscheidungen sowie M&A-Entscheidungen sollte standardmäßig eine Szenarien-Betrachtung erfolgen.
Abbildung 2: Zentrale Steuerungsprozesse – erweitert um Szenarien-Betrachtungen
Quelle:^Horváth & Partner GmbH
Moderne Cloud-Plattformen als Basis für umfangreiche Simulationsmodelle
Um den Aufbau eines umfangreichen Simulationsmodells zu gewährleisten bedarf es einer professionellen Toolunterstützung. Die Mehrheit der Unternehmen führt – zumindest bisher – ihre Simulationen auf Basis von MS Excel durch. Das ist grundsätzlich möglich, erweist sich aber für eine konsistente, dauerhafte Nutzung als schwierig. Was für einfache ad-hoc-Modellierungen durchaus vertretbar ist, wird bei komplexeren Geschäftszusammenhängen und dem Bedarf für flexible Anpassungen schnell aufwendig und fehleranfällig.
Moderne Cloud-Tools wie z. B. Anaplan oder SAP Analytics Cloud hingegen ergänzen Excel um zentrale Funktionen (S. Abb. 3) und ermöglichen auch komplexe und flexible Simulationen. Auf diese Weise verschiebt sich der Fokus des Controllings von der Modell-Erstellung auf die Modell-Nutzung, also auf Entscheidungsunterstützung im Sinne eines Business Partnering.
Abbildung 3: Gegenüberstellung Tabellenkalkulation („Excel“) und moderne Cloud-Plattform als technologische Basis für Szenarien-Modellierung anhand zentraler Anforderungen
Quelle: Horváth & Partner GmbH
Szenarien-Modellierung als das entscheidende Instrument der Unternehmenssteuerung der Zukunft
Der Einsatz von Szenarien-Modellierung bietet klare Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen: Bessere und schnellere Entscheidungen sowie ein generell stärker vorausschauendes Handeln. Auch für das Controlling erweist sich eine Szenarien-basierte Unternehmenssteuerung als vorteilhaft: gestützt auf die Modellierung von Szenarien kann das Controlling seinen Anspruch als Business Partner überzeugend verwirklichen. Entsprechend wird sich die Szenarien-Modellierung zunehmend als Standardinstrument im Controlling durchsetzen.
Dabei wird die zunehmende Nutzung von Szenarien-Modellen durch die fortschreitende Digitalisierung der Unternehmenssteuerung gestützt. Der Aufbau integrierter, Cloud-basierter Steuerungsplattformen ist hierfür ein entscheidender Schritt. Die flexible Modellierung unternehmensweiter, integrierter Szenarien erhält so die notwendige technologische Basis.
Die Investition in moderne Steuerungsplattformen ist dabei aber nur eine der zentralen Voraussetzungen. Auch der Aufbau von Modellierungs-Kompetenzen im Controlling, der richtige Umgang mit Szenarien in der Unternehmenskommunikation und ggf. notwendige Anpassungen in der Incentivierung bedarf einiger Anstrengungen. Der Übergang auf eine kontinuierliche Szenarien-basierte Unternehmenssteuerung kann daher realistischerweise nicht in wenigen Wochen erfolgen; es ist aber auch kein jahrelanger Prozess. Die Richtigkeit eines solchen Schrittes dürfte sich spätestens in der nächsten Krise zeigen, in der ein so vorbereitetes Unternehmen seine Vorteile voll ausspielen kann.
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