Menschsein und Intelligenz
Muss unterschieden werden zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz? Ist der Mensch der Maschine überlegen, wenn es um die Entwicklung von Empathie und Bewusstsein geht? Oder ist die oft beschworene menschliche Souveränität und Vormachtstellung im Umgang mit Emotionen und Vernunft lediglich ein weit verbreiteter Trugschluss?
Auf diese spannenden Fragen möchte Dr. Mario Herger, seines Zeichens Technologietrendforscher und Autor im Silicon Valley, in seinem Vortrag „Künstliche Intelligenz versus natürliche Dummheit“ Antworten geben. Schon seit mehr als 20 Jahren forscht der gebürtige Österreicher zu den Themen der (nicht ganz so fernen) Zukunft und hilft Unternehmen, innovativer zu werden und sie mit den Denkern und Entscheidungsträgern aus der kalifornischen Tech-Hochburg zu vernetzen. Einen besonderen Fokus legt er in seiner Arbeit auf die Frage, wie Big Data und künstliche Intelligenz unsere Welt bereits verändert haben und dies auch künftig tun werden. Auch die Rolle des Menschen im Zeitalter der Automatisierung wird von ihm diskutiert. Herger zeichnet dabei keinesfalls das Bild eines dystopischen Maschinenzeitalters, sondern zeigt Chancen und Möglichkeiten auf, sich clever der Vorteile von künstlicher Intelligenz in Gesellschaft und Wirtschaft zu bedienen.
Intelligenz wird gemeinhin als die Möglichkeit verstanden, sowohl komplexe Aufgaben planen und absolvieren zu können als auch im Nachgang über diese zu reflektieren. Lange Zeit wurden nur dem Menschen selbst diese kognitiven Fähigkeiten zugesprochen. Empathie, die Benutzung von Sprache oder Werkzeugen und das Entwickeln eines Bewusstseins sei das, was ihn von Tieren oder Maschinen unterscheide. Moderne wissenschaftliche Untersuchungen beweisen jedoch das Gegenteil. So berichtet Herger etwa von Affen, denen es möglich wurde, über die Verwendung von Zeichensprache mit Menschen zu kommunizieren. Oder von Maschinen, die dem Menschen in Strategiespielen wie Schach oder Go turmhoch überlegen seien. Was bliebe sei die Frage, ob der Mensch vielleicht doch nicht so einzigartig sei, wie er zu sein meint. Eines stehe jedoch fest: über Intelligenz nachzudenken bewirke vor allem, sich des Menschseins bewusst zu werden.
„Affen, die von Affen lernen“
Laut Herger äußert sich Intelligenz vor allem in der Möglichkeit, individuelle Fähigkeiten kollaborativ und kollektiv zusammenzubringen. Intelligenz trete in unterschiedlichen Ausprägungen für die jeweilige Spezies angepasst auf. Diese zu bündeln und zu einem gemeinsamen Vorteil einzusetzen sei das, was Denkvermögen und Verstand wirklich auszeichne.
Der Mensch habe sein Wissen und seine Fähigkeiten bisher aus dem entwickelt, was er von Vorfahren oder aus Erfahrungen gelernt habe. „Affen, die von Affen lernen“, nennt der Trendforscher dieses Prinzip, ohne dabei despektierlich werden zu wollen. Schließlich habe diese Form der Informationsvermittlung und der Akquise von Wissen zu dem Fortschritt geführt, von dem wir als Gesellschaft heute profitieren. Um aber auch im 21. Jahrhundert und in der Zukunft das volle geistliche Potenzial auszuschöpfen, bedarf es eines Paradigmenwechsels.
Kognitive Maschinen können unsere Intelligenz erweitern
Herger appelliert daran, künstliche Intelligenz nicht nur als das Werkzeug zu sehen, das uns bei unseren täglichen Aufgaben hilft. Vielmehr solle die Chance in der Technologie gesehen werden, von ihr zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Dadurch müsse sich auch das Begriffsverständnis wandeln. „Wir befinden uns in einer Phase der Erweiterung von physischen Maschinen zu Maschinen, die unsere Intelligenz erweitern, also kognitiven Maschinen“, erklärt er.
Ethisches Handeln: Mehr Anforderungen an die Maschine als an den Menschen?
Spannend sei zu beobachten, so Herger, dass der Mensch Erwartungen an Maschinen stelle, die im Umkehrschluss die vermeintliche Intelligenz dieser schmälern soll. Er illustriert diesen Punkt anhand von selbstfahrenden Autos, wie er sie selbst im Silicon Valley beobachtet habe. Über Kameras, Umgebungsscanner und Sensoren wird das Verkehrsgeschehen erfasst und der Wagen ohne menschliches Einschreiten gesteuert. Immer wieder würde die Frage gestellt, ob und wie die neuronalen Netze der künstlichen Intelligenz im Hinblick auf ethische Fragestellungen im Straßenverkehr geschult seien. Herger glaubt, dass wir als Menschen nicht in der Position seien, verlangen zu können, dass die Maschine moralisch komplexer als wir handeln würde. Die Diskussion zeige jedoch, dass der Mensch sich bisher erfolgreich davor gedrückt habe, die Frage für sich selbst zu beantworten. Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz zwinge uns also dazu, eigene Entscheidungen zu überdenken und sich seiner selbst bewusst zu werden. Entwicklung und Fortschritt zeige auch hier wieder, wie wir jederzeit unser eigenes Menschsein kritisch reflektieren müssen.
Maschinen sollten auch Emotionen zeigen können
Die Debatte führt nach Meinung des Autors und Trendforschers jedoch auch zu der Frage, ob wir Maschinen als Spezies mit eigenen Emotionen konzipieren sollten. Diese so zu programmieren, dass Stimmungen erkannt und interpretiert werden können, fällt bisher noch schwer. Aber die Maschine Gefühle zeigen zu lassen sei umso bedeutsamer, wolle man die Beziehung zwischen Menschen und Maschine stärken.
Eine Sache, die laut Dr. Mario Herger dem Menschen auch in den nächsten Jahren ganz sicher nicht durch die Maschine abgenommen werden kann, ist die Möglichkeit, Fragen zu stellen. „Maschinen können Fragen beantworten, Fragen so wie Einstein aber nicht formulieren“, erklärt er. Vielleicht sei dies der Grund, warum wir Menschen überhaupt existieren. Wenigstens hier sei die Intelligenz des Menschen also unbestritten.