Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollwertbemessung bei Nichteinhaltung der zeitlichen Toleranz und Übernahme von Lagerkosten durch einen Alleinvertreter
Leitsatz (NV)
1. Zur Verlängerung der Toleranzfrist des Art. 10 ZWVO 1968 wegen außergewöhnlicher Umstände.
2. Zollwertrechtliche Behandlung nach der ZWVO 1968 von Lagerhaltungskosten eines Alleinvertreters.
Normenkette
ZWVO 1968 Art. 1, 9-10
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte vom 1. Januar 1974 bis 31. August 1976 Waren von einer in den USA ansässigen Firma (im folgenden: Lieferfirma) ein und ließ sie zum freien Verkehr abfertigen. Aufgrund einer Betriebsprüfung forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) von der Klägerin mit Bescheid vom 22. Dezember 1978 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 1981 insgesamt 66 559,91 DM Zoll mit folgender Begründung nach: Die Klägerin habe in vielen Fällen die zeitliche Toleranz für die Abwicklung der Kaufverträge - die bis 31. Dezember 1976 sechs Monate und danach zwölf Monate betragen habe - nicht eingehalten (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a, Art. 10 Abs. 1 der Verordnung EWG Nr. 803/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über den Zollwert der Waren - ZWVO 1968 -; die letztgenannte Vorschrift auch in der Fassung der Verordnung EWG Nr. 1735/75 - VO Nr. 1735/75 - des Rates vom 24. Juni 1975, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 183/1). Die Toleranzfrist sei nicht nach Art. 10 Abs. 6 (bzw. ab 1. Januar 1976 Abs. 5) ZWVO 1968 zu verlängern, weil die Klägerin keine außergewöhnliche Umstände geltend gemacht habe (Nacherhebung von 46 625,76 DM Zoll). Die Klägerin habe außer dem Rechnungspreis noch zusätzliche Leistungen an den Verkäufer erbracht (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, Art. 1 Abs. 2 Buchst. b und Art. 6 ZWVO 1968); im Schätzungswege sei der Gegenwert dieser Leistungen mit einem Zuschlag von 10 v. H. zu den Rechnungspreisen bemessen worden (Nacherhebung von 10 847,76 DM).
Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, die Zollnacherhebung in der Höhe von insgesamt 57 473,52 DM sei nicht gerechtfertigt. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:
Zum Normalpreis gehöre hier außer dem zu zahlenden Preis auch ein Wertansatz für tatsächliche Leistungen. Die Klägerin habe sich im Alleinvertretervertrag verpflichtet, selbst und jederzeit auf dem Vertragsgebiet in dem Umfang ein Lager für die Vertragserzeugnisse zu unterhalten, wie es die Lieferfirma für angemessen halte. Diese Lagerhaltung stelle eine Leistung nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a ZWVO 1968 dar. Die Klägerin habe auch tatsächlich ein Lager mit den vom Vertrag erfaßten Erzeugnissen unterhalten. Erfüllten Alleinvertreter beim Vertrieb von eingeführten Waren bestimmte Verpflichtungen, ohne daß ihnen die Aufwendungen dafür besonders vergütet würden, so sei davon auszugehen, daß ihnen ein diesen Aufwendungen entsprechender Preisnachlaß gewährt worden sei, der wertzollrechtlich berücksichtigt werden müsse. Der Wert der Lagerhaltung, bezogen auf die einzelnen Einfuhren, sei nicht feststellbar. Der Wert als Besteuerungsgrundlage sei daher nach § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) zu schätzen. Die Schätzung auf 10 v. H. des jeweiligen ,,ab Werk"-Preises bzw. ,,frei Karlsruhe"-Preises bei Postsendungen sei eine zulässige griffweise Schätzung und nicht zu beanstanden.
Die Zeitspannen des Art. 10 Abs. 1 ZWVO 1968 seien bei den von den geänderten Bescheiden erfaßten Einfuhren um die in den Anlagen 6 bis 9 zum Betriebsprüfungsbericht genannten Zeitspannen überschritten worden. Die zeitliche Toleranz könne zwar verlängert werden, wenn nachgewiesen werde, daß die Frist für die Lieferung die Toleranzfrist wegen höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände überschreite (Art. 10 Abs. 5 ZWVO 1968). Die Klägerin habe diesen Nachweis jedoch nicht erbracht. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Einfuhrgeschäfte, auf welche die Klägerin besonders nachdrücklich hingewiesen habe, seien in der ZWVO 1968 nicht als Ermäßigungstatbestand vorgesehen.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend:
Die Festsetzung der Zollnachforderung in Höhe von 46 625,76 DM wegen Überschreitung der zeitlichen Toleranzgrenzen verletze Art. 9 Abs. 1, Art. 10 und Art. 5 ZWVO 1968. Auch der Zuschlag wegen angeblich verdeckter Preisvorteile im Zusammenhang mit der Lagerhaltung sei ungerechtfertigt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet, soweit sie sich auf den Teilbetrag von 46 625,76 DM des Nachforderungsbescheides bezieht. Im übrigen aber - d. h. für den restlichen Teilbetrag von 10 847,76 DM - führt die Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Das HZA hat zu Recht die Festsetzung des Zollwerts auf der Grundlage der jeweiligen Rechnungspreise in jenen Fällen abgelehnt, in denen der Tag des Vertragsabschlusses mehr als sechs bzw. zwölf Monate vor dem Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Abfertigung zum freien Verkehr lag. Denn nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a ZWVO 1968 darf der Rechnungspreis als Zollwert nur anerkannt werden, wenn u. a. der Kaufvertrag in einem in Art. 10 ZWVO 1968 bestimmten Zeitraum durchgeführt worden ist. Dieser Zeitraum (zeitliche Toleranz) betrug bis 31. Dezember 1975 sechs Monate und danach (vgl. VO Nr. 1735/75, ABlEG L 183/1) zwölf Monate zwischen Vertragsabschluß und Antragstellung. In den streitbefangenen Fällen war nach den Feststellungen des FG im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Abfertigung zum freien Verkehr die Toleranzfrist verstrichen.
Nach Art. 10 Abs. 5 ZWVO 1968 kann die Toleranzfrist verlängert werden, wenn nachgewiesen wird, daß die Frist für die Lieferung wegen höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände die zugelassene Frist überschreitet. Auf diese Vorschrift beruft sich die Klägerin zu Unrecht. Es ist zweifelsfrei, daß kein Fall von höherer Gewalt vorliegt. Die Klägerin hat aber auch nicht nachgewiesen, daß außergewöhnliche Umstände im Sinne der genannten Vorschrift gegeben sind, wie das FG zu Recht entschieden hat.
,,Außergewöhnliche Umstände" i. S. des Art. 10 Abs. 5 ZWVO 1968 sind nur solche, die ähnlich gewichtig sind wie Umstände, die auf höherer Gewalt beruhen. Die von der Klägerin vorgebrachten Verzögerungsgründe (ständige Nichteinhaltung der vereinbarten Lieferfristen durch die Lieferfirma) zählen nicht dazu. Nicht von der Lieferfirma zu vertretende objektive Gründe für die Nichteinhaltung der Toleranzfrist hat die Klägerin dagegen nicht vorgetragen.
Die Richtigkeit dieser (engen) Auslegung des Art. 10 Abs. 5 ZWVO 1968 ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Regelung. Zollwert ist grundsätzlich der Kaufpreis des Idealgeschäfts, d. h. eines Zug-um-Zug-Geschäfts im maßgebenden Bewertungszeitpunkt (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 5 ZWVO 1968; Senatsurteil vom 23. Juli 1974 VII R 13/72, BFHE 113, 323, 326). Durch diese zeitliche Festlegung soll eine einheitliche, auch Wettbewerbsverzerrungen verhindernde Bewertung sichergestellt werden. Das ergibt sich auch aus der Erläuternden Anmerkung 5 zur Begriffsbestimmung des Zollwerts in Art. 1 der Anlage zum Abkommen über den Zollwert der Waren (Brüsseler Abkommen; BGBl II 1969, 1947, 1951), wonach die Anwendung der Begriffsbestimmung des Brüsseler Abkommens ,,die Kenntnis der im Zeitpunkt der Bewertung gängigen Preise" erfordert. Grundsätzlich kann daher auch ein Rechnungspreis nur anerkannt werden, wenn er im Bewertungszeitpunkt gilt. Da das aber wegen der häufigen Preisänderungen zwischen dem Zeitpunkt des Kaufabschlusses und dem maßgebenden Bewertungszeitpunkt praktisch bedeuten würde, daß der Rechnungspreis nur selten als Bemessungsgrundlage für den Zollwert in Betracht käme - was insbesondere erhebliche praktische Nachteile für Einführer und Verwaltung hätte (vgl. Schwarz/Wockenfoth, Zollgesetz, 1. Aufl., Art. 9 ZWVO 1968 Anm. 11; Zepf/Recker/Krockauer, Wertverzollung, 3. Aufl., Art. 9 ZWVO 1968 Anm. 3.1) -, war es praktisch unumgänglich, zollwertrechtlich eine zeitliche Toleranz einzuräumen. Im Avis XVII des Brüsseler Zollrats (Zepf/Recker/Krockauer, a. a. O., Teil IV S. 15) heißt es daher, daß die Anwendung der Erläuternden Anmerkung 5 eine gewisse Toleranz erfordere hinsichtlich der Anerkennung von Verträgen, die zu anderen Zeitpunkten als den für die Bewertung der betreffenden Waren maßgebenden abgeschlossen worden seien; im allgemeinen bestehe aber keine Veranlassung, Verträge anzuerkennen, deren Abschluß erhebliche Zeit vor dem Bewertungszeitpunkt erfolgt sei, es sei denn, daß die zwischen diesen beiden Zeitpunkten liegende Spanne in der betreffenden Branche als normal angesehen werden könne.
Art. 10 ZWVO 1968 ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Die Vorschrift ist eine Abweichung von dem Grundsatz, daß nur Preise der Zollwertbemessung zugrunde gelegt werden können, die auf den maßgebenden Bewertungszeitpunkt bezogen sind. Die besondere Ausnahme des Art. 10 Abs. 5 ZWVO 1968 muß daher eng ausgelegt werden, zumal sich weder im Brüsseler Abkommen noch im genannten Avis konkrete Hinweise darauf finden, daß nach der Ansicht der Vertragspartner dieses Abkommens eine solche Regelung geboten ist. Für eine enge Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Die Einfügung des Begriffs ,,außergewöhnliche Umstände" in die Regelung bei der Ausarbeitung der ZWVO 1968 ist offenbar darauf zurückzuführen, daß der Begriff ,,höhere Gewalt" in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich verstanden wird und auch Fälle, die bei enger Auslegung nicht zur höheren Gewalt zählen, abgedeckt werden sollten (vgl. Zepf/Recker/Krockauer, a. a. O., Art. 10 Anm. 5.1). Das macht aber deutlich, daß jedenfalls allein vertragswidrige verspätete Lieferungen selbst dann, wenn sie zur Regel werden, nicht zu den außergewöhnlichen Umständen zählen (Zepf/Recker/Krockauer, a. a. O., Art. 10 Anm. 5.3; so wohl auch Schwarz/Wockenfoth, a. a. O., Art. 10 ZWVO 1968 Anm. 8).
Diese Auffassung ist mit dem Sinn und Zweck der Regelung der ZWVO 1968 vereinbar, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und die Gleichbehandlung der Importeure sicherzustellen (vgl. auch Schwarz/Wockenfoth, a. a. O., Art. 5 ZWVO 1968 Anm. 2). Da der Normalpreis auf den maßgebenden Bewertungszeitpunkt bezogen ist, sind Gleichbehandlung und Wettbewerbsgleichheit der Einführer grundsätzlich nur sichergestellt, wenn auch bei der Bewertungsmethode nach dem Rechnungspreis (Art. 9 ZWVO 1968) von den Preisen eines Zug-um-ZugGeschäfts im maßgebenden Bewertungszeitpunkt ausgegangen wird. Wenn schon abweichend von diesem Grundsatz im wesentlichen aus praktischen Gründen und in der Absicht, den Einführern möglichst eine Kalkulationsgrundlage für die Berechnung der Zollbelastung zu eröffnen, eine zeitliche Toleranzfrist gewährt worden ist, so ist es jedenfalls ein Gebot der Gleichbehandlung, die Abweichung von diesem Grundsatz in den oben dargelegten engen Grenzen zu halten.
Dadurch erleidet die Klägerin gegenüber ihren Konkurrenten keine Nachteile. Denn auch diese unterliegen den gleichen Regeln. Zwar führen diese Regeln im Fall von Preissteigerungen dazu, daß Einfuhren, die früher als andere durchgeführt werden, auch in den Genuß eines niedrigeren Zollwerts gelangen. Aber das liegt im System der Zollwertbemessung nach der ZWVO 1968, wonach ein bestimmter Zeitpunkt für die Ermittlung des Zollwerts maßgebend ist (Art. 5). Daraus folgt zwangsläufig die unterschiedliche Behandlung von Einfuhren zu unterschiedlichen Bewertungszeitpunkten. Gerade das stellt die Wettbewerbsgleichheit und die Gleichbehandlung der Einführer sicher. Schon gar nicht ermöglichen es die Vorschriften der ZWVO 1968, durch eine davon abweichende günstigere Zollwertbemessung Nachteile auszugleichen, die dem Einführer durch vertragswidriges Verhalten seines ausländischen Lieferanten erwachsen sind.
Wegen Nichteinhaltung der Toleranzgrenze des Art. 10 ZWVO 1968 können die der Klägerin in den streitigen Fällen in Rechnung gestellten Rechnungspreise nicht ohne weiteres anerkannt werden. Das HZA konnte daher als Zollwert nur Preise anerkennen, die der Begriffsbestimmung des Normalpreises (Art. 1 ZWVO 1968) entsprachen (vgl. Senatsurteile vom 10. April 1979 VII R 18/76, BFHE 128, 275, und vom 12. November 1980 VII R 94/76, BFHE 131, 569, 572; Zepf/Recker/Krockauer, a. a. O., Art. 10 Anm. 3.1; Schwarz/Wockenfoth, a.a.O., Art. 1 ZWVO 1968 Anm. 128, Art. 9 ZWVO 1968 Anm. 74). Es unterliegt keinen rechtlichen Bedenken, daß das HZA als Normalpreis den der Klägerin in Rechnung gestellten Preis deswegen nicht hat gelten lassen, weil er niedriger als der im maßgebenden Zeitpunkt gültige Listenpreis der Lieferfirma war. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das HZA bei der Zollwertbemessung von den letztgenannten Listenpreisen ausging. Auch die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß diese Preise solche waren, die nicht den Preisen i. S. von Art. 1 ZWVO 1968 entsprachen.
Damit aber erweisen sich die angefochtenen Bescheide jedenfalls insoweit als rechtlich zutreffend, als das HZA in den hier streitigen Fällen Zoll in Höhe von 46 625,76 DM nachgefordert hat.
2. Dagegen gestatten es die Feststellungen des FG dem Senat nicht, darüber zu entscheiden, ob die restliche Nacherhebung in Höhe von 10 847,76 DM wegen angeblicher den Kosten der Lagerhaltung durch die Klägerin entsprechenden Preisnachlässen der Lieferfirma rechtens ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats zur Rechtslage im hier maßgebenden Zeitraum ist bei der Ermittlung des Normalpreises i. S. des Art. 1 ZWVO 1968 - der auch Maßstab für eine etwaige Berichtigung des Rechnungspreises ist (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 ZWVO 1968) - davon auszugehen, daß der Verkäufer alle Kosten trägt, die sich auf das Kaufgeschäft beziehen. Diese sind also vom Normalpreis umfaßt (Art. 1 Abs. 2 Buchst. b ZWVO 1968). Zu den Verkaufskosten, die in voller Höhe zum Normalpreis rechnen - ohne Rücksicht darauf, ob sie vor oder nach der Lieferung am Ort des Verbringens entstanden sind -, gehören nach der genannten Rechtsprechung alle Kosten, die sich aus der normalen Vertriebsfunktion des Verkäufers ergeben. Solche Kosten sind auch dann einzubeziehen, wenn die entsprechende Vertriebsfunktion tatsächlich nicht vom Verkäufer, sondern vom Käufer getragen - auf ihn verlagert - worden ist und dieser die entsprechenden Kosten getragen hat (vgl. Urteile des Senats vom 15. Oktober 1959 VII 74/58 S, BFHE 69, 630, BStBl III 1959, 495, und vom 26. November 1985 VII R 89/82, BFH/NV 1986, 567, 568, mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des Senats; vgl. auch Avis XIX und XXXVI des Brüsseler Zollrats, abgedruckt bei Zepf/Recker/Krockauer, a. a. O., Teil IV S. 18 und 39).
Klägerin und Lieferfirma haben nach den Feststellungen des FG einen Alleinvertretervertrag abgeschlossen, und die Klägerin hat sich dabei verpflichtet, in dem Umfang ein Lager für die Vertragserzeugnisse zu unterhalten, wie es die Lieferfirma für angemessen hält. Das FG konnte aus dieser Vereinbarung den Schluß ziehen, daß damit eine grundsätzlich der Lieferfirma obliegende, d. h. im wesentlichen in ihrem Interesse liegende, Vertriebsfunktion - nämlich eine über das für einen Alleinvertreter übliche Maß hinausgehende Lagerhaltung - auf die Klägerin verlagert werden sollte (vgl. auch Schwarz/Wockenfoth, a. a. O., Art. 2 ZWVO 1968 Anm. 20). Da man bei Geschäften der vorliegenden Art (Lieferfirma in den USA, Abnehmer in Europa) nicht jede Lagerhaltung des Abnehmers und Alleinvertreters als die Übernahme einer Vertriebsfunktion des Herstellers ansehen kann, liegt in der genannten Vertragsklausel die Verlagerung einer solchen Vertriebsfunktion nur in dem Umfang, in dem sich die Klägerin zu einer über das zwangsläufig erforderliche Maß hinausgehenden Lagerhaltung verpflichtet und dann diese auch tatsächlich durchgeführt hat. Ist dem so, so ist davon auszugehen, daß bei der Festlegung der Rechnungspreise die Lieferfirma die Mehrkosten, die der Klägerin für die über die als normal anzusehende Lagerhaltung hinausgehende Lagerung entstanden sind bzw. entstehen würden und die normalerweise ein Kalkulationselement der Lieferfirma hätten sein müssen, nicht berücksichtigt hat, diese Rechnungspreise um diesen Betrag - verglichen mit dem Normalpreis - also zu niedrig sind. Nur ein entsprechend berichtiger Rechnungspreis kann daher der Zollwertbemessung zugrunde gelegt werden (vgl. BFHE 69, 630, BStBl III 1959, 495).
Einer solchen Berichtigung bedarf es allerdings dann nicht, wenn aus besonderen Gründen davon auszugehen wäre, daß bereits die unberichtigten Rechnungspreise insoweit den Anforderungen der Begriffsbestimmung des Normalpreises entsprechen (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. c ZWVO 1968: Berichtigung nur, ,,falls erforderlich"). Aus den Feststellungen des FG kann nicht entnommen werden, ob das der Fall ist. Die Klägerin hat in der Vorinstanz sinngemäß vorgetragen, daß die Lieferfirma weltweit ihren Abnehmern die genannten Listenpreise berechnet, unabhängig davon, ob diese zu einer besonderen Lagerhaltung verpflichtet sind oder nicht. Erweist sich das bei vergleichbaren Geschäften (d. h. bei Verträgen mit in der Gemeinschaft ansässigen Käufern; vgl. Schwarz/Wockenfoth, a. a. O., Art. 9 ZWVO 1968 Anm. 6) als richtig (vgl. in diesem Zusammenhang § 76 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 90 Abs. 2 AO 1977 sowie BFHE 69, 630, BStBl III 1959, 495 letzter Absatz der Gründe), so ist davon auszugehen, daß die Rechnungspreise Preisermäßigungen auch i. S. des Art. 9 Abs. 2 Buchst. b ZWVO 1968 nicht enthalten und die Zahlung dieser Preise die einzigen tatsächlichen Leistungen der Klägerin darstellen (vgl. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a ZWVO 1968). Eine Berichtigung ist dann nicht ,,erforderlich" (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. c ZWVO 1968).
4. Da die Festellungen des FG, die Vorentscheidung in diesem Punkt nicht tragen, war diese insoweit aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Bei seiner neuerlichen Entscheidung wird das FG folgendes zu beachten haben:
Ergeben die Feststellungen des FG, daß die Kosten der Lagerhaltung der Klägerin in der Tat (teilweise) als ,,verlagerte Verkaufskosten" anzusehen sind und die Rechnungspreise deswegen eine entsprechende Preisermäßigung beinhalten, so können diese Preise sowohl in den Fällen der Bewertung nach Art. 9 ZWVO 1968 als auch in jenen der Bewertung nach Art. 1 ZWVO 1968 (in Fällen der Überschreitung der Toleranzfrist) nur unter Berücksichtigung eines entsprechenden Zuschlages Grundlage der Zollwertbemessung sein. Die Höhe dieses Zuschlages ist zu schätzen. Bei dieser Schätzung ist in erster Linie von den für die besondere Lagerhaltung der Klägerin entstandenen oder voraussichtlich entstehenden Kosten auszugehen. Lassen sich solche Kosten nicht oder nur in einer nicht zumutbaren Weise feststellen, so ist auch die vom HZA angewendete Schätzmethode nicht von vornherein auszuschließen, die Höhe der auf die Klägerin verlagerten Kosten für die Lagerung anhand von bekannten entsprechenden Kosten in vergleichbaren Fällen zu schätzen. Dabei bedarf aber die Frage der Vergleichbarkeit sowie die Frage, wie hoch diese Vergleichskosten sind, einer besonderen Prüfung. Das FG wird sich jedenfalls nicht damit begnügen können, so wie in der Vorentscheidung das Schätzungsergebnis des HZA ohne weiteres zu bestätigen. Eine solche Entscheidung ließe zumindest die nach § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO erforderliche Begründung dafür vermissen, weswegen das FG zu der Überzeugung gelangt ist, daß die Schätzung des HZA zutrifft.
Fundstellen
Haufe-Index 415464 |
BFH/NV 1988, 607 |