Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweistufiges Prüfungsschema bei Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen. Darlegungslast des Arbeitgebers bezüglich des ordnungsgemäß eingeleiteten Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). Anforderungen an die ordnungsgemäße Einladung des Arbeitnehmers zum BEM
Leitsatz (amtlich)
1. Bestreitet der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess, dass ein BEM-Verfahren ordnungsgemäß eingeleitet und durchgeführt wurde, so muss der Arbeitgeber dies entsprechend darlegen.
2. Es liegt keine ordnungsgemäße Einladung des Arbeitnehmers zum BEM-Verfahren vor, wenn im Einladungsschreiben mitgeteilt wird, dass sich der Arbeitnehmer vor dem BEM-Termin beim Werksarzt einzufinden hat zur Erstellung eines positiven Leistungsprofils ohne Aufklärung darüber, dass der Arbeitnehmer auch auf den Besuch beim Werksarzt verzichten kann.
Leitsatz (redaktionell)
Zur gerichtlichen Überprüfung einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen hat die Rechtsprechung ein zweistufiges Prüfungsschema entwickelt. Zunächst ist eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen (erste Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in den zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen (zweite Stufe).
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; SGB IX § 167 Abs. 2, § 168
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 24.01.2019; Aktenzeichen 10 Ca 6765/17) |
Tenor
I. Die Berufung gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 24.01.2019 - 10 Ca 6765/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen und krankheitsbedingten Kündigung.
Die am 11.10.1977 geborene, ledige und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist seit dem 01.07.1999 bei der Beklagten als gewerbliche Mitarbeiterin in der Qualitätssicherung in Vollzeit mit 35 Wochenstunden beschäftigt mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 3.578,00 € in der Entgeltgruppe EG 05 nach ERA-TV. Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Sie leidet an einem endogenen Asthma bronchiale sowie einem leichtgradigen Schlafapnoe-Syndrom (Schlafstörung). Die Klägerin wird am Standort H... eingesetzt. Dort werden knapp 11.000 Mitarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie Anwendung jedenfalls kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung.
Die Klägerin arbeitet in Wechselschicht in einem Schichtsystem mit einer ersten Schicht von 06:00 bis 14:00 Uhr, einer zweiten Schicht von 14:00 bis 22:00 Uhr und einer dritten Schicht von 22:00 bis 06:00 Uhr mit der Möglichkeit des Gleitens bis 09:00 Uhr in der Frühschicht. Die Klägerin wird zweischichtig in Früh- und Spätschicht eingesetzt.
Nach der unstreitig gebliebenen Auflistung der Beklagten war die Klägerin in den letzten Jahren wie folgt arbeitsunfähig erkrankt:
2011 an 32 Arbeitstagen
2012 an 25 Arbeitstagen
2013 an 42 Arbeitstagen
2014 an 52 Arbeitstagen
2015 an 209 Arbeitstagen
2016 an 197 Arbeitstagen
2017 an 201 Arbeitstagen bis zur Einleitung des Kündigungsverfahrens.
Das endogenen Asthma bronchiale und die Schlafstörungen sind die wesentlichen Ursachen der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit. Ferner war die Klägerin länger arbeitsunfähig erkrankt wegen eines Bauchwanddeckenrisses mit erster Operation und Nachoperation im Zeitraum von November 2015 bis Oktober 2016.
Bei der Beklagten findet eine Konzernbetriebsvereinbarung vom 05.06.2016 zu "Einheitlichen Rahmenbedingungen im Betrieblichen Eingliederungsmanagement" Anwendung. Zur Einladung des Mitarbeiters zum BEM-Verfahren sieht die KBV in Ziffer 2.1. Abs. 2 vor:
"Dazu wird der betroffene Beschäftigte vom Unternehmen angeschrieben und zum BEM-Verfahren eingeladen (Anlage 2a). In der Einladung ist auf die Erforderlichkeit eines vorherigen Werkarztbesuchs zur Erstellung eines positiven Leistungsprofiles hinzuweisen und dieser nach Erforderlichkeit zu terminieren (Erstellfrist 14 Tage bei eigenem örtlichen Werksarzt, ansonsten zeitnah). Dabei soll der Beschäftigte möglichst durch Vorlage geeigneter Nachweise (z. B. Befunde, Arztbriefe) seiner behandelnden Ärzte gegenüber der Arbeitsmedizin zur Klärung seines Gesundheitszustandes beitragen."
Mit Schreiben vom 28.10.2016 wurde die Klägerin zu einem Informationsgespräch über das BEM-Verfahren eingeladen. In dem Einladungsschreiben wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass es sich noch nicht um ein BEM-Gespräch handelt, sondern um ein persönliches Informationsgespräch mit einem Mitarbeiter der Personalabteilung, zu dem auf Wunsch der Klägerin auch ein Vertreter des Betriebsrates und die Schwerbehindertenvertretung hinzugezogen werden können. Die Kläger...