Prof. Dr. Michael Dusemond, Prof. Christoph Hell
Rn. 4
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Gewissenhaftigkeit konkretisiert die nach § 276 Abs. 2 BGB im Umkehrschluss geltende, allg. vertragsrechtliche Sorgfaltspflicht für die AP (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 323 HGB, Rn. 11). Gewissenhaftigkeit beinhaltet grds. zwei Merkmale. Ein Aspekt ist die Sorgfalt, der andere das Handeln nach bestem Wissen und Gewissen (vgl. Gerhard (1961), S. 79). Sorgfalt bedeutet die sorgfältige Beachtung der für die AP geltenden, gesetzlichen und fachlichen Regelungen. Handeln nach bestem Wissen und Gewissen beinhaltet den Imperativ, im Einzelfall zu beurteilen, ob und wie diese Regelungen anzuwenden sind. Sorgfältige Beachtung ist also durch das eigenverantwortliche Urteil des AP zu ergänzen (vgl. WP-HB (2021), Rn. A 221). Mit den näheren Erläuterungen in § 4 BS WP/vBP konkretisiert die WPK den Grundsatz der Gewissenhaftigkeit (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 323 HGB, Rn. 14). Obwohl die BS WP/vBP der WPK grds. nur im Innenverhältnis zwischen der Kammer und ihren Mitgliedern unmittelbare Rechtsverbindlichkeit entfaltet (vgl. MünchKomm. HGB (2020), § 323, Rn. 38), dürfte ihr gleichwohl eine Ausstrahlungswirkung auf die Auslegung der auch für die vertraglichen Pflichten geltenden unbestimmten Rechtsbegriffe zukommen. § 4 BS WP/vBP nennt die folgenden Elemente der Gewissenhaftigkeit:
Rn. 5
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Bindung an das Gesetz und Beachtung der für die Berufsausübung geltenden Bestimmungen sowie fachlichen Regelungen (vgl. § 4 Abs. 1 BS WP/vBP). Gesetze und mithin auch GoB sind in ihrer Auslegung durch die Gerichte zu beachten. Fachliche Regelungen sind speziell die aus der Facharbeit des IDW entstandenen Standards, Stellungnahmen und Hinweise zur AP und RL sowie die Verlautbarungen des DRSC (vgl. etwa WP-HB (2021), Rn. A 211ff.; ADS (2000), § 323, Rn. 21; Beck Bil-Komm. (2022), § 323 HGB, Rn. 12). Von herausgehobener Bedeutung sind dabei die folgenden Verlautbarungen:
IDW PS 200 (2015): "Ziele und allgemeine Grundsätze der Durchführung von Abschlussprüfungen";
IDW PS 201 (2021): "Rechnungslegungs- und Prüfungsgrundsätze für die Abschlussprüfung";
IDW PS 400 (2021): "Bildung eines Prüfungsurteils und Erteilung eines Bestätigungsvermerks";
IDW PS 450 (2021): "Grundsätze ordnungsmäßiger Erstellung von Prüfungsberichten".
In diesem Kontext sind auch IDW QMS 1 (2022) "Anforderungen an das Qualitätsmanagement in der Wirtschaftsprüferpraxis" sowie IDW QMS 2 (2022) "Auftragsbegleitende Qualitätssicherung" zu nennen, die zusammen mit ISA [DE] 220 (2022) "Qualitätsmanagement bei einer Abschlussprüfung" den Qualitätssicherungsstandard IDW QS 1 (2017) ersetzt haben (vgl. IDW QMS 1 (2022), Rn. 5; IDW QMS 2 (2022), Rn. 2) und wichtige Grundsätze zur Organisation der Berufstätigkeit des WP enthalten (vgl. hierzu auch IDW PS 201 (2021), Rn. 1ff.; IDW QMS 1 (2022), Rn. 1ff.; IDW QMS 2 (2022), Rn. 1ff.; ADS (2000), § 323, Rn. 21). |
Rn. 6
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Die Beachtung fachlicher Regelungen erfordert, dass der WP sie kennen und sich mit ihnen sorgfältig auseinandersetzen muss. Abweichungen können ihm bei der Haftung zum Nachteil ausgelegt werden, wenn dafür im Einzelfall keine sachliche Begründung angeführt werden kann (vgl. IDW PS 201 (2021), Rn. 34; WP-HB (2021), Rn. A 213; Beck Bil-Komm. (2022), § 323 HGB, Rn. 12). Beachtung fachlicher Regelungen bedeutet jedoch nicht die verbindliche Anwendung im Einzelfall. Handeln nach bestem Wissen und Gewissen hat zur Folge, dass die eigene fachliche Überzeugung nicht durch Direktiven Dritter unterhalb der Schwelle der Gesetzgebung ersetzt werden kann (vgl. WP-HB (2021), Rn. A 214; Sigloch, in: HWRev (1992), Sp. 713 (718); Beck Bil-Komm. (2022), § 323 HGB, Rn. 12). |
Rn. 7
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Die von der IFAC erlassenen International Standards on Auditing (ISA) sind nach § 317 Abs. 5 anzuwenden, soweit sie von der EU-KOM im Zuge eines Komitologieverfahrens angenommen worden sind. Die Verbindlichkeit internationaler Standards für AP in den Mitgliedstaaten der EU geht aus Art. 26 Abs. 1 der AP-R 2006/43/EG (ABl. EU, L 157/87ff. vom 09.06.2006; ABl. EU, L 158/196ff. vom 27.05.2014) hervor. Voraussetzung hierfür ist allerdings das abgeschlossene Verfahren zur Umsetzung der Standards in EU-Recht nach Art. 26 Abs. 3 der AP-R. Solange keine Umsetzung erfolgt ist, können die nationalen Standards weiter angewandt werden (vgl. Art. 26 Abs. 1 AP-R). Diese Situation entspricht dem Status quo; gegenwärtig hat noch kein abgeschlossenes Komitologieverfahren stattgefunden. Wesentliche Inhalte der ISA haben allerdings bereits weitgehend Eingang in die vom IDW formulierten Prüfungsstandards gefunden (vgl. beispielhaft IDW PS 200 (2015), Rn. 32; IDW PS 201 (2021), Rn. 33ff.; IDW PS 400 (2021), Rn. 6f.; überdies HdR-E, HGB § 322, Rn. 1f.) und sind damit auch für den deutschen AP bereits Maßstab zur Konkretisierung der Gewissenhaftigkeit. Die Ausarbeitung weiterer IDW-Standards erfolgt, soweit dies i. R.d. deutschen Gesetzeslage möglich ist, ebenfalls im Einklang ... |