Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bei Angabe eines falschen Aktenzeichens.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Beschluss vom 05.11.2002) |
AG Karlsruhe |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der IX. Zivilkammer des LG Karlsruhe v. 5.11.2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG Karlsruhe zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.067,75 Euro.
Gründe
I.
Der Kläger hat den Beklagten in dem Verfahren - 3 C 37/02 AG Karlsruhe - auf Zahlung rückständiger Mietzinsen und Nebenkosten sowie in dem Verfahren - 4 C 597/01 AG Karlsruhe - auf Räumung der Mietsache in Anspruch genommen. In dem Räumungsverfahren hat das AG Karlsruhe die Klage durch das dem Kläger am 15.8.2002 zugestellte Urt. v. 26.7.2002 abgewiesen. Der Kläger hat mit Schriftsatz v. 16.9.2002 dagegen Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren wird beim LG Karlsruhe unter dem Aktenzeichen 9 S 222/02 geführt.
In der Forderungssache hat das AG Karlsruhe die Klage mit Urt. v. 27.8.2002, das dem Kläger am 29.8.2002 zugestellt worden ist, abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger gleichfalls Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren wird beim LG Karlsruhe unter dem Aktenzeichen 9 S 237/02 geführt.
Am 15.10.2002 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen Fristverlängerungsantrag in dem Räumungsverfahren gestellt. Er enthält jedoch irrtümlich das Aktenzeichen 9 S 237/02 der Zahlungsklage. In dem Fristverlängerungsantrag heißt es:
"... bitte ich höflich darum, die heute ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 15.11.2002 zu verlängern."
Am 17.10.2002 ging dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Verfahren auf Zahlung rückständiger Mietzinsen - 9 S 237/02 eine Fristverlängerungsverfügung v. 16.10.2002 mit dem Vermerk zu, dass die Berufungsbegründungsfrist erst am 29.10.2002 abgelaufen wäre. Daraufhin beantragte der Kläger in dem vorliegenden Räumungsverfahren mit Schriftsatz v. 17.10.2002 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Den Antrag verband er mit einem erneuten Fristverlängerungsantrag und wies darauf hin, dass sein Antrag v. 15.10.2002 das Verfahren - 9 S 222/02 betreffe.
Mit Verfügung v. 17.10.2002 wies das LG den Kläger darauf hin, dass es beabsichtige, die Berufung in dem Räumungsverfahren - 9 S 222/02 mangels fristgerechtem Eingang der Begründung als unzulässig zu verwerfen. In der Verfügung heißt es zudem:
"Im Zusammenhang mit der Vorlage dieser Akten wurde festgestellt, dass die in dem weiteren Verfahren derselben Parteien - 9 S 237/02 beantragte und mit Verfügung v. 16.10.2002 gewährte Fristverlängerung möglicherweise das vorliegende Verfahren hätte betreffen sollen."
Der Kammervorsitzende hat nunmehr in dem Räumungsverfahren durch Verfügung v. 18.10.2002 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.11.2002 vorbehaltlich der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag verlängert. Die Berufungsbegründung des Klägers ist am 15.11.2002 beim LG eingegangen.
Das LG hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i. V. m. § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), form- und fristgerecht eingelegt (§ 575 ZPO) und auch begründet.
1. Das LG hat ausgeführt:
Die Berufung des Klägers sei als unzulässig zu verwerfen, da er das Rechtsmittel nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet habe. Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist sei am 15.10.2002 abgelaufen. Die Frist sei auch nicht durch das vom Prozessbevollmächtigten unter dem falschen Aktenzeichen des ebenfalls bei der Kammer anhängigen Parallelverfahrens der Parteien eingereichte Gesuch auf Fristverlängerung gewahrt. Für die Fristwahrung durch das Fristverlängerungsgesuch sei ebenso wie bei Berufungsschrift und Berufungsbegründung eine hinreichend klare Zuordnung des Schriftsatzes zum konkreten Verfahren erforderlich. Der Schriftsatz v. 15.10.2002 sei aber angesichts des angegebenen Aktenzeichens eines anderen anhängigen Verfahrens weder eindeutig noch hinreichend sicher der Berufung zuzuordnen.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Berufung ist fristgerecht am 15.11.2002 begründet worden, so dass es auf den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers nicht ankommt. Der Annahme des Berufungsgerichts, der Antrag des Klägers auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist v. 15.10.2002 betreffe die Forderungssachen der Parteien und nicht das vorliegende Räumungsverfahren, kann nicht gefolgt werden.
Die Auslegung von Prozesshandlungen unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des BGH freier revisionsrechtlicher Nachprüfung. Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (BGH, Urt. v. 24.11.1999 - XII ZR 94/98, NJW-RR 2000, 1446; BGH, Urt. v. 17.5.2000 - VIII ZR 210/99, MDR 2000, 1092 = NJW 2000, 3216 unter II 1). Die Anwendung dieses Grundsatzes führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 15.10.2002 einen Fristverlängerungsantrag in dem vorliegenden Räumungsverfahren gestellt hat. Das in diesem Antrag angegebene Aktenzeichen - 9 S 237/02 wies zwar auf das unter diesem Aktenzeichen geführte Forderungsverfahren derselben Parteien vor derselben Berufungskammer hin. Da aber in dem Schriftsatz um Verlängerung der "heute ablaufenden Berufungsbegründungsfrist" gebeten wurde, wobei das Wort "heute" und das Enddatum, bis zu dem die "um einen Monat" zu verlängernde Frist erstreckt werden sollte, der 15.11.2002, fett gedruckt wiedergegeben sind, bezog sich dieser Antrag objektiv auf das Räumungsverfahren. Nur in dem vorliegenden Räumungsverfahren derselben Parteien vor diesem Gericht endete ohne Verlängerung die Berufungsbegründungsfrist am 15.10.2002.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war nicht allein auf das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens abzustellen. Für den Eingang einer Berufungsbegründungsschrift ist allein entscheidend, dass diese vor Ablauf der Frist an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt war. Das Gesetz schreibt in den §§ 129 Abs. 1, 130 ZPO - die gem. § 520 Abs. 5 ZPO auf die Berufungsbegründung anzuwenden sind - die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist (BGH, Beschl. v. 15.4.1982 - IVb ZB 60/82, VersR 1982, 673 unter II). Das gilt grundsätzlich auch für den Antrag auf Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung. Auch wenn durch die Angabe des falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit darüber herbeigeführt wurde, in welcher Sache um Fristverlängerung gebeten wurde, ist der Antrag, wie dargetan, nach dem Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen des Anwalts dem Räumungsverfahren zuzuordnen.
Der Kläger hat mithin die Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist durch seinen am 15.10.2002 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz rechtzeitig beantragt. Da die Frist zur Berufungsbegründung durch Verfügung des Vorsitzenden der Berufungskammer am 18.10.2002 bis 15.11.2002 verlängert worden ist, ist diese Verlängerung auch wirksam. Voraussetzung für eine wirksame Verlängerung ist nämlich, dass der Verlängerungsantrag bis zum Ablauf des letzten Tages der Frist bei Gericht eingegangen ist (BGH v. 18.3.1982 - GSZ 1/81, BGHZ 83, 217 [221, 222] = MDR 1982, 637). Der Kläger hat deshalb mit seinem am 15.11.2002 bei der Berufungskammer eingegangenen Schriftsatz die Berufung in dem vorliegenden Räumungsverfahren rechtzeitig begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 982569 |
NJW 2003, 3418 |
BGHR 2003, 1371 |
EBE/BGH 2003, 330 |
AnwBl 2004, 59 |
MDR 2003, 1434 |
VersR 2004, 1286 |
WuM 2003, 635 |
MietRB 2004, 6 |
PA 2003, 155 |
BRAK-Mitt. 2004, 26 |
KammerForum 2003, 417 |
KammerForum 2004, 67 |