Verfahrensgang
LG Paderborn (Entscheidung vom 28.05.2020; Aktenzeichen 5 T 75/20) |
AG Paderborn (Entscheidung vom 14.02.2020; Aktenzeichen 11 XIV(B) 18/20) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 28. Mai 2020 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein ghanaischer Staatsangehöriger, reiste am 19. April 2015 in das Bundesgebiet ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan: Bundesamt) mit Bescheid vom 29. Dezember 2017 als offensichtlich unbegründet ab. Zugleich forderte es den Betroffenen unter Androhung der zwangsweisen Abschiebung zur Ausreise nach Ghana auf. Ein verwaltungsgerichtliches Verfahren des Betroffenen blieb ohne Erfolg. Am 19. Dezember 2019 wurde der Betroffene festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht Dinslaken am 20. Dezember 2019 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis 11. März 2020 an. Hiergegen legte die anwaltliche Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen Beschwerde ein, die mit Beschluss des Landgerichts Duisburg vom 31. Januar 2020 zurückgewiesen wurde.
Rz. 2
Auf weiteren Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht Paderborn mit Beschluss vom 14. Februar 2020 die Haft bis zum 1. April 2020 verlängert. Die hiergegen eingelegte, nach der Haftentlassung des Betroffenen mit dem Feststellungsantrag weiterverfolgte Beschwerde ist erfolglos geblieben. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
Rz. 3
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat die Anordnung der Haftverlängerung für rechtmäßig gehalten. Der Haftverlängerungsantrag sei formell nicht zu beanstanden. Auch habe das Amtsgericht zutreffend angenommen, dass der Betroffene nach den §§ 50, 58 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sei und ein Haftgrund vorgelegen habe. Die Haftanordnung sei auch verhältnismäßig gewesen. Das Amtsgericht habe zudem nicht von Amts wegen prüfen müssen, ob sich für den Betroffenen im Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt habe. Anders liege es nur, wenn dem Haftrichter bekannt sei, dass der Betroffene in einem vorausgegangenen Verfahren anwaltlich vertreten wurde. Dann sei dieser zu fragen, ob eine weitere Vertretung durch den Rechtsanwalt und Teilnahme an der Anhörung gewünscht werde. Vorliegend ergebe sich dies aber weder aus der Gerichtsakte noch aus der Ausländerakte. So sei die Verfahrensbevollmächtigte schon im Beschluss des Amtsgerichts Dinslaken nicht aufgeführt gewesen. Auch sei weder die Beschwerdebegründung der Verfahrensbevollmächtigten im Haftanordnungsverfahren noch die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Duisburg in der Akte gewesen.
Rz. 5
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 6
a) Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Haftanordnung ein zulässiger Haftantrag zugrunde lag.
Rz. 7
aa) Ein zulässiger Haftantrag ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7 mwN; vom 20. Dezember 2022 - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7).
Rz. 8
bb) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag gerecht. Insbesondere bedurfte es keiner weiteren Ausführungen dazu, aufgrund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder Zustellungsfiktion des vollziehbaren Bescheides des Bundesamts auszugehen war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 2 BvR 1064/10, InfAuslR 2012, 186, juris Rn. 11, 24; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 - XIII ZB 87/19, juris Rn. 10). Denn im Haftantrag wird konkret ausgeführt, dass das Bundesamt mit Bescheid vom 29. Dezember 2017 den Asylantrag des Betroffenen als offensichtlich unbegründet abgelehnt und dieser gegen den Bescheid am 8. Januar 2018 - erfolglos - Klage erhoben sowie einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht gestellt hat. Hieraus ergibt sich zwangsläufig, dass dem Betroffenen der Bescheid des Bundesamts auch zugegangen ist. Die ausdrückliche Benennung eines Zustellnachweises ist nicht erforderlich.
Rz. 9
cc) Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, der Haftantrag habe einen zeitlichen Puffer für potentielle Unwägbarkeiten vorgesehen, für die keine konkreten Anhaltspunkte bestanden hätten, greift dies - auch vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - nicht durch. Unabhängig davon, dass der Senat einen kurzen zeitlichen Puffer für allfällige Verzögerungen anerkennt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 85/19, juris Rn. 20), war der Hinweis im Haftantrag auf einen solchen für die Begründung der Dauer der beantragten Haftverlängerung schon nicht tragend, da in dem Haftantrag konkret dargelegt wurde, warum für die Buchung des Fluges eine Haftdauer bis 1. April 2020 erforderlich war.
Rz. 10
b) Die Haft durfte nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG auch für einen Zeitraum, der eine Haftdauer von drei Monaten übersteigt, angeordnet werden.
Rz. 11
aa) Frühere Haftzeiten sind in die Gesamtdauer der Sicherungshaft mit einzubeziehen, wenn diese auf die Durchsetzung derselben - auf einem einheitlichen Sachverhalt beruhenden - Ausreisepflicht zurückgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 18). Sicherungshaft ist hier erstmals durch Beschluss des Amtsgerichts Dinslaken ab 20. Dezember 2019 angeordnet und durch den Beschluss des Amtsgerichts Paderborn bis 1. April 2020, mithin über einen Zeitraum von drei Monaten hinaus, verlängert worden.
Rz. 12
bb) Nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Zu vertreten hat der Ausländer nicht nur solche Umstände, die für die Behebung des Abschiebungshindernisses von Bedeutung sein können, sondern auch Gründe, die - von ihm zurechenbar veranlasst - dazu geführt haben, dass ein Hindernis für seine Abschiebung überhaupt erst entstanden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 2018 - V ZB 54/17, InfAuslR 2018, 339 Rn. 5; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 21). Der Ausländer, der keine Ausweispapiere besitzt und der auch bei der Passersatzbeschaffung nicht mitwirkt, muss Verzögerungen hinnehmen, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaates um die Feststellung seiner Identität und die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, juris Rn. 20).
Rz. 13
cc) So liegt es hier. Der Betroffene besaß keine Ausweispapiere und hat auch an einer Passersatzpapierbeschaffung, die für eine Abschiebung nach Ghana erforderlich war, nicht mitgewirkt. Die Passersatzbeschaffung setzt eine persönliche Vorstellung bei einem Vertreter der Botschaft von Ghana voraus (Anhörungsverfahren). Der Betroffene ist bei der zuständigen Vertretung nicht selbst vorstellig geworden und trotz eines vorausgehenden Terminhinweises am 24. September 2019 in seiner Unterkunft nicht angetroffen worden, so dass er zur geplanten Sammelanhörung an diesem Tag nicht vorgeführt werden konnte. Der nächstmögliche Sammelanhörungstermin nach Festnahme des Betroffenen fand erst am 26. Februar 2020 statt, was aufgrund der danach noch erforderlichen Bearbeitungsschritte eine Haftanordnung bis zum 1. April 2020 erforderlich machte. Wäre der Betroffene im Vorfeld seiner Verhaftung seiner Mitwirkungsverpflichtung an der Passersatzpapierbeschaffung nachgekommen, wäre eine so lange Haftdauer nicht notwendig geworden.
Rz. 14
c) Auch die Rüge der Verletzung des Rechts des Betroffenen auf ein faires Verfahren hat keinen Erfolg.
Rz. 15
aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.; vom 31. August 2021 - XIII ZB 58/20, juris Rn. 7). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 28. Februar 2023 - XIII ZB 70/21, juris Rn. 9). Das gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungshaft, auf die nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über den Erstantrag, also auch diejenigen über die Anhörung, uneingeschränkt anzuwenden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2019 - V ZB 144/17, InfAuslR 2020, 30 Rn. 7).
Rz. 16
bb) Das Amtsgericht muss einen Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zum Anhörungstermin aber nur laden und ihn über die Ladung des Betroffenen zu diesem Termin nur unterrichten, wenn der Bevollmächtigte sich in dem Verfahren zur Entscheidung über den Haftantrag der beteiligten Behörde bestellt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, FGPrax 2010, 154 Rn. 18; vom 22. August 2019 - V ZB 144/17, InfAuslR 2020, 30 Rn. 9). Eine solche Bestellung ist auch nicht entbehrlich, wenn der Verfahrensbevollmächtigte Beschwerde gegen die Erstanordnung von Sicherungshaft eingelegt hat. Hieraus folgt nicht zwingend eine Bestellung auch für das Verfahren über einen Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2018 - V ZB 230/17, Asylmagazin 2018, 387 Rn. 7; vom 22. August 2019 - V ZB 144/17, InfAuslR 2020, 30 Rn. 10).
Rz. 17
cc) Zutreffend hat das Beschwerdegericht auch angenommen, dass das über einen Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft entscheidende Amtsgericht nicht verpflichtet ist, von Amts wegen zu prüfen, ob sich für den Betroffenen im Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung bei einem anderen Amtsgericht ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2019 - V ZB 144/17, InfAuslR 2020, 30 Rn. 12). Anders liegt es, wenn dem Haftrichter bekannt wird, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde; dann muss er den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch im Verfahren über die Haftverlängerung vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. August 2019 - V ZB 39/19, juris Rn. 7 f. und V ZB 144/17, InfAuslR 2020, 30 Rn. 12).
Rz. 18
dd) Vorliegend ist aber nicht festgestellt und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Amtsgericht Paderborn bei der Anhörung bekannt war, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren vor dem Amtsgericht Dinslaken von einer Rechtsanwältin vertreten wurde. Soweit die Rechtsbeschwerde darauf verweist, dies habe sich aus der beigezogenen Ausländerakte ergeben, übersieht sie, dass die Ausländerakte auf Anforderung des Amtsgerichts Paderborn bereits am 21. Januar 2020 als PDF übersandt worden ist. Der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Dinslaken vom 28. Januar 2020 und die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Duisburg vom 31. Januar 2020, aus denen die den Betroffenen im Beschwerdeverfahren gegen die erstmalige Haftanordnung vertretende Rechtsanwältin ersichtlich war, konnten in der bereits zuvor beigezogenen Ausländerakte somit noch nicht enthalten sein.
Rz. 19
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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Fundstellen
Dokument-Index HI16225171 |