Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 11.11.2004; Aktenzeichen 2 L 339/98) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 11. November 2004 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Kläger beansprucht seine Teilhabe an den finanziellen Leistungen, die das Land Sachsen-Anhalt aufgrund eines Staatsvertrages mit der „Jüdischen Gemeinschaft” in Sachsen-Anhalt an den beklagten Landesverband erbringt.
Der Kläger ist nicht Mitglied des beklagten Landesverbandes; anders als der Beklagte gehört er auch nicht dem Zentralrat der Juden in Deutschland an. Der Kläger forderte den Beklagten erfolglos auf, ihn bei der Verteilung der Mittel zu berücksichtigen, die das Land nach dem Staatsvertrag für die Jüdische Gemeinschaft zahlt. Auf seine deshalb erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten antragsgemäß verpflichtet, den Kläger anteilig an den Staatsleistungen zu beteiligen.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage durch Urteil vom 3. März 2000 abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Revision des Klägers dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen (Urteil vom 28. Februar 2002 – BVerwG 7 C 7.01 – BVerwGE 116, 86). Das Bundesverwaltungsgericht hat dabei die Rechtsauffassung vertreten, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV entziehe den staatlichen Gerichten nicht die Entscheidung darüber, ob der Kläger zur Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt gehöre. Rechtlicher Maßstab sei allein der Staatsvertrag. Der Beklagte verstoße gegen seine Pflicht zur Umsetzung des Staatsvertrages, wenn er den dort umschriebenen Kreis förderungswürdiger Jüdischer Gemeinden von einer auf der Grundlage seines eigenen Selbstverständnisses ausgesprochenen Anerkennung abhängig mache. Zur „Jüdischen Gemeinde” im Sinne des Staatsvertrages gehöre vielmehr jede jüdische Vereinigung, die sich selbst als Jüdische Gemeinde verstehe und unbeschadet der jeweiligen Art ihres Glaubensverständnisses innerhalb des Judentums Aufnahme und Anerkennung als Jüdische Gemeinde gefunden habe.
Das Oberverwaltungsgericht hat auf der Grundlage dieser Revisionsentscheidung durch das nunmehr angefochtene Urteil die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen: Der Kläger habe innerhalb der „Union progressiver Juden” nach einer Überprüfung durch Angehörige dieser innerjüdischen Glaubensrichtung förmliche Aufnahme gefunden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Das Oberverwaltungsgericht ist nicht im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 – 2 BvR 1703, 1718/83 und 856/84 – (BVerfGE 70, 138) abgewichen.
Der Beklagte entnimmt dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts den abstrakten Rechtssatz, aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV folge, dass bei der Auslegung von Verträgen nach Maßgabe des staatlichen Rechts und durch staatliche Gerichte religiöse Vor- oder Teilfragen ausschließlich nach dem Selbstverständnis der als Vertragspartei auftretenden Religionsgemeinschaft zu beurteilen seien. Er hält dem einen abstrakten Rechtssatz entgegen, den er aus der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und der ihr zugrundeliegenden Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hergeleitet hat: Wenn eine Religionsgemeinschaft einen Vertrag schließe, der nach staatlichem Recht zu beurteilen sei oder – wie hier – in staatliches Recht erwachse, sei die Auslegung religiöser Vor- oder Teilfragen nicht am Selbstverständnis der als Vertragspartner auftretenden Religionsgemeinschaft, sondern an Maßstäben zu orientieren, die die staatlichen Gerichte durch Auslegung selbst bestimmen bzw. deren Bestimmung sie delegieren; das Selbstbestimmungsrecht der den Vertrag schließenden Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV werde dadurch nicht berührt.
Der Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und dem auf ihr beruhenden Urteil des Oberverwaltungsgerichts lässt sich indes ein solcher Rechtssatz weder wörtlich noch sinngemäß entnehmen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der bezeichneten Entscheidung den behaupteten Rechtssatz jedenfalls in dieser Form nicht aufgestellt.
Auch sonst ist nicht erkennbar, dass das angefochtene Urteil mit einem abstrakten Rechtssatz von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abweicht. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt vielmehr nichts für die Frage her, die hier zu entscheiden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit privatrechtlichen Verträgen befasst, welche die Kirche zur Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten im Sinne des Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV abschließt. Darum geht es hier gerade nicht. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Revisionsentscheidung näher dargelegt hat, nimmt der Beklagte mit der Verteilung der Staatsleistungen an die begünstigten Jüdischen Gemeinden keine eigene Angelegenheit wahr, sondern eine staatliche Aufgabe, die ihm durch Landesgesetz zur selbständigen Erledigung übertragen worden ist. Diesen wesentlichen Unterschied zwischen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einerseits sowie dem angegriffenen Urteil und der ihr zugrundeliegenden Revisionsentscheidung andererseits hat der Beklagte bei der Formulierung der angeblich einander widersprechenden abstrakten Rechtssätze und auch in der weiteren Darlegung der angeblichen Abweichung ausgeblendet. Ob bestimmte in dem Vertrag verwendete Begriffe unter maßgeblicher Berücksichtigung des Selbstverständnisses der am Vertrag beteiligten Religionsgemeinschaft auszulegen sind, hängt aber entscheidungserheblich davon ab, ob die beteiligte Religionsgemeinschaft diesen Vertrag zur Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten abgeschlossen hat.
Im Übrigen lässt sich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht entnehmen, dass ein Vertrag, an dem eine Religionsgemeinschaft als Vertragspartei beteiligt ist, immer und in allen seinen Bestimmungen der Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft dient.
2. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
a) Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf im Sinne dieses Zulassungsgrundes ergibt sich nicht daraus, dass – wie der Beklagte behauptet – das angefochtene Urteil von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. Februar 2000 – V ZR 271/99 – (NJW 2000, S. 1555) abweicht. Die behauptete Abweichung liegt nicht vor. Auch insoweit übersieht der Beklagte, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs sich nur zu einer für die staatlichen Gerichte maßgeblichen Vorfrage verhält, deren Beantwortung sich nach Bestimmungen richtete, welche die Religionsgemeinschaft zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten im Sinne des Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV erlassen hatte. Darum geht es hier gerade nicht.
b) Der Beklagte hält ferner die Frage für klärungsbedürftig,
ob die Zugehörigkeit zur nach dem Staatsvertrag anspruchsberechtigten „Jüdischen Gemeinschaft” notwendig den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts voraussetzt.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht beantwortet werden könnte. Der Beklagte will aus § 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Regelung des Kirchensteuerwesens (= Anlage II Kapitel IV Abschnitt I Nr. 5 zu § 9 Abs. 2 des Einigungsvertrages, BGBl II 885, 1194) herleiten, dass zur „Jüdischen Gemeinschaft” im Sinne des Staatsvertrages nur Jüdische Gemeinden mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gehören können. § 2 des Kirchensteuergesetzes gilt aber als Landesrecht fort und ist deshalb nicht revisibel. Das Bundesverwaltungsgericht ist deshalb an die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts gebunden, dass sich aus dieser Bestimmung nichts für die Frage herleiten lässt, ob zur Jüdischen Gemeinschaft im Sinne des Staatsvertrages nur eine Jüdische Gemeinde mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gehören könne.
c) Der Beklagte möchte schließlich die Frage geklärt wissen,
ob der Verweis auf die Aufnahme in einen bestimmten Verband zum Nachweis der Ernsthaftigkeit einer Religionsgemeinschaft im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie sich einer über den Einzelfall hinausweisenden Beantwortung entzieht. Die Antwort hängt vielmehr von den tatsächlichen Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalles ab. Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb in dem zurückverweisenden Revisionsurteil vom 28. Februar 2002 auch nur allgemeine Hinweise geben können, unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen hier die Aufnahme des Klägers in die Union progressiver Juden in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine ausreichende Grundlage für die Annahme sein kann, dass ein solches Mitglied eine Jüdische Gemeinde im Sinne des Staatsvertrages ist. Weitere verallgemeinerungsfähige rechtliche Aussagen könnten in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht getroffen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Sailer, Herbert, Neumann
Fundstellen