Entscheidungsstichwort (Thema)
Luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit. Zuverlässigkeitsüberprüfung. Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs. Zugangsberechtigung. sicherheitsempfindliche Bereiche eines Flughafens. Verordnungsermächtigung. Ermächtigung zum Erlass materiellrechtlicher Vorschriften. Regelvermutung. islamistischer Verein. Milli Görüs. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs. verfassungsfeindliche Bestrebungen. Gewaltbereitschaft
Leitsatz (amtlich)
- Die Anordnung von Regelvermutungstatbeständen für das Fehlen der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit in § 5 Abs. 2 LuftVZÜV ist mangels einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung unwirksam.
- Allein die Mitgliedschaft in einer Vereinigung, die verfassungsfeindliche Bestrebungen i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG verfolgt, ohne gewaltbereit zu sein, schließt die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit nicht aus.
Normenkette
GG Art. 80 Abs. 1 Sätze 1-2; LuftVG §§ 29d, 32 Abs. 2b; LuftVZÜV § 5; BVerfSchG § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 16.07.2003; Aktenzeichen 20 BV 02.2747) |
VG München (Urteil vom 29.08.2002; Aktenzeichen 1124 K 02/2483) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. August 2002 und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Juli 2003 geändert. Der Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 26. April 2002 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Zuverlässigkeit des Klägers gemäß § 29d des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) und seine Zugangsberechtigung zu den nicht allgemein zugänglichen bzw. sicherheitsempfindlichen Bereichen und Anlagen des Flughafens M….
Der im September 1974 in Augsburg geborene Kläger ist seit dem 1. Juli 2000 als Arbeiter im Ladedienst des Flughafens M.… beschäftigt. Im Hinblick auf die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Zutrittsberechtigung des Klägers durch den Beklagten ist das Arbeitsverhältnis im Frühjahr 2003 einvernehmlich beendet worden. Der Arbeitgeber hat jedoch zugesagt, den Kläger wieder einzustellen, wenn er die Zutrittsberechtigung wiedererlangt.
Von Juli 1994 bis Oktober 1998 war der Kläger Mitglied der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) – Augsburg-Merkez. In dieser Zeit war er für ein bis zwei Jahre im Auftrag des Vorstandes als Ansprechpartner für Jugendliche tätig. Die Mitgliedschaft endete durch Austritt des Klägers. Am 19. August 1999 beantragte der Kläger die Einbürgerung; am 2. August 2001 wurde ihm die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen.
Nach Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung erteilte die Regierung von O.… – Luftamt S.… – dem Kläger am 10. Januar 2000 die Zutrittsberechtigung für alle nicht allgemein zugänglichen bzw. sicherheitsempfindlichen Bereiche und Anlagen des Flughafens M…. Im Rahmen “anlassbezogener Wiederholungsprüfungen” im Nachgang zu den Ereignissen vom 11. September 2001 teilte das Landesamt für Verfassungsschutz dem Luftamt mit Schreiben vom 18. Oktober 2001 mit, der Kläger sei in der Vergangenheit Vorsitzender der IGMG-Augsburg-Merkez gewesen. Ob er auch heute noch Vorsitzender sei, könne nicht gesagt werden. Die IGMG sei als islamistisch-extremistisch eingestuft und Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. Sie erstrebe zunächst die Abschaffung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei zugunsten einer islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung mit dem Koran als Grundlage des Staatsaufbaus und als Verhaltenskodex des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Fernziel sei eine weltweite Islamisierung im Sinne eines doktrinären Islamverständnisses.
Im Rahmen seiner Anhörung erklärte der Kläger, er sei lediglich einfaches Mitglied des Vereins gewesen, um seine Religion auszuüben und um mit Freunden Freizeitaktivitäten zu entfalten. Vorsitzender sei er zu keiner Zeit gewesen. Er sei ausgetreten, weil er sich der Familie habe widmen müssen. Die politische Entwicklung in der Türkei interessiere ihn nicht. Er sei in Deutschland geboren, hier aufgewachsen, habe Kindergarten und Schulen besucht und sei zum CNC-Frästechniker ausgebildet worden.
Trotz Vorlage eines Auszuges aus dem Vereinsregister und einer gegenteiligen Stellungnahme des Vorsitzenden der IGMG-Augsburg-Merkez blieb das Landesamt für Verfassungsschutz auf erneute Anfrage dabei, der Kläger sei Vorsitzender dieser Gemeinschaft gewesen.
Mit Bescheid vom 26. April 2002 widerrief das Luftamt die Feststellung der persönlichen Zuverlässigkeit des Klägers und entzog ihm die Zutrittsberechtigung zu den nicht allgemein zugänglichen bzw. sicherheitsempfindlichen Bereichen und Anlagen des Flughafens M…. Die Entscheidung war darauf gestützt, dass der islamische Fundamentalismus nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden eine große Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik, insbesondere im Hinblick auf seine weltweiten Expansionsbestrebungen, bedeute. Diese islamistisch-extremistischen Gruppierungen wollten die in ihren Heimatländern bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnungen durch ein auf der Scharia basierendes islamisches Gesellschaftssystem ersetzen. Die IGMG sei als islamistisch-extremistisch einzustufen. Sie stehe in enger Beziehung zu der in der Türkei verbotenen Tugendpartei. Durch die langjährige Aufgabenerfüllung, insbesondere als Vorsitzender im Ortsverein, habe der Kläger Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unterstützt. Gründe, die eine Abweichung von der Regelvermutung der Luftverkehr-Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung (LuftVZÜV) rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.
Mit seiner Anfechtungsklage hat der Kläger geltend gemacht, er sei in Augsburg Mitglied bei Milli Görüs wegen seiner Freizeitgestaltung gewesen. An die Beseitigung der türkischen Staatsordnung habe er zu keiner Zeit gedacht. Die Organisation bei IGMG sei locker. Erkenntnisse über staatsgefährdende Strukturen seien nicht auffindbar. Die IGMG verzichte bewusst auf agitatorische Aussagen. Insbesondere strebe Milli Görüs kein Ziel mit Gewalt an.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Vertreter des Landesamtes für Verfassungsschutz eingeräumt, dass der Kläger zu keiner Zeit Ortsvorsitzender der IGMG gewesen sei.
Mit Urteil vom 29. August 2002 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Dazu hat es ausgeführt, der angefochtene Bescheid stelle die Rücknahme der Feststellung der Zuverlässigkeit des Klägers und der erteilten Zutrittsberechtigung dar, da die der neuen Entscheidung zugrunde liegenden Umstände bereits bei Erlass des seinerzeitigen Bescheides vorgelegen hätten und diesen Bescheid rechtswidrig machten. Die Feststellung der Zuverlässigkeit des Klägers hätte bereits im Jahre 2000 unterbleiben müssen. Grundlage für die Rücknahme sei nach § 9 Abs. 2 Satz 2 LuftVZÜV der Art. 48 BayVwVfG. Die Maßstäbe für die Rücknahme der Zuverlässigkeitsfeststellung seien dieselben wie für ihre Erteilung. Es bestünden Anhaltspunkte, dass der Kläger in den letzten zehn Jahren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gerichtete Bestrebungen unterstützt habe. Die IGMG verfolge gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen. Sie sei ein Sammelbecken von Anhängern der seit 1998 in der Türkei verbotenen Wohlfahrtspartei und der inzwischen ebenfalls verbotenen Tugendpartei. Sie erstrebe die Abschaffung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei. Die IGMG verfolge die Einführung der Scharia; führende Vertreter der IGMG publizierten dies mit dem Ziel der Einführung der Todesstrafe für Ehebrecherinnen, für Prostituierte, Mörder und sonstige Verbrecher. Der Kläger habe diesen Kreisen nahe gestanden und sie durch seine Tätigkeit als Ansprechpartner für Jugendliche des Vereins in Augsburg unterstützt. Bei objektiver Betrachtung habe er somit verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt. Ob ihm diese Bestrebungen bekannt gewesen seien, sei unerheblich, denn § 5 Abs. 2 Nr. 2 LuftVZÜV enthalte kein subjektives Tatbestandselement. Die Einbürgerung des Klägers im Jahre 2001 sei kein atypischer Umstand, der die Regelvermutung entfallen lasse.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Berufung hat der Kläger vorgetragen, der Bayerische Verfassungsschutz trage alles nur Erdenkliche zusammen, um Milli Görüs zu belasten. Gleichwohl gelinge es nicht, hinreichende Belege für die Verfassungsfeindlichkeit der IGMG beizubringen und ein Verbotsverfahren zu eröffnen. Es komme hinzu, dass die IGMG seit längerem kein einheitliches Bild mehr biete. Konservativen Strömungen stünden liberale Gruppen gegenüber.
Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hat Auszüge aus den Verfassungsschutzberichten verschiedener Länder über die IGMG vorgelegt. Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung einen Vertreter des Landesamtes für Verfassungsschutz als sachkundige Auskunftsperson gehört.
Durch Urteil vom 16. Juli 2003 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 und 2 Satz 2 LuftVZÜV i.V.m. Art. 48 BayVwVfG. Die Regelung der Luftverkehr-Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung trage der Tatsache Rechnung, dass die Risiken bei einer Gefährdung des Luftverkehrs besonders hoch seien. Es sei daher sachgerecht, in dem von den Luftfahrtbehörden beherrschbaren Gebiet wie bei der Zulassung zu den nicht allgemein zugänglichen Bereichen und Anlagen eines Flughafens einen strengen Maßstab anzulegen. Das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG werde dadurch nicht verletzt. Gründe, die der Feststellung der Zuverlässigkeit i.S. von § 5 Abs. 1 LuftVZÜV entgegenstünden, müssten nicht zwingend im Rahmen der beruflichen Tätigkeit selbst gegeben sein. Zu fordern bleibe aber stets, dass die Zuverlässigkeit gerade im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit und damit auf die Sicherheit des Luftverkehrs in Frage stehe. Es bestünden tatsächliche Anhaltspunkte für eine Unterstützung oder Verfolgung von Bestrebungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 LuftVZÜV durch den Kläger, was infolge der Regelvermutung seine Unzuverlässigkeit indiziere. Die IGMG bzw. deren Mitgliedsvereine verfolgten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen, wobei sie durch ihre islamistische Ausrichtung darauf ziele, im Grundgesetz verfasste Menschenrechte – in Bezug auf die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) und in Bezug auf die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) – außer Geltung zu setzen.
Es stünden zwar keine Bestrebungen im Bundesgebiet im Raum, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 BVerfSchG). Es lägen aber ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass von der IGMG Bestrebungen ausgingen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG). Die Äußerungen des Mitarbeiters des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz in der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts ließen keinen Zweifel, dass seitens der IGMG in einer Endstufe auch die Einführung einer auf der Scharia beruhenden Gesellschaftsordnung in Deutschland verfolgt werde. Diese Aussagen fänden ihre Entsprechung in den vom Beklagten vorgelegten Unterlagen. Die IGMG erstrebe danach die Abschaffung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei und die Einführung eines islamistischen Staats- und Gesellschaftssystems. Als Fernziel werde die weltweite Übernahme dieses Systems, somit auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem großen türkischstämmigen Bevölkerungsanteil, verfolgt. Die IGMG verschleiere nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ihre verfassungsfeindlichen Ziele und vermeide in der Öffentlichkeit extremistische Äußerungen, die auf einer islamistischen Interpretation von Koran und Scharia basierten und gegen demokratische Grundwerte gerichtet seien. Ergänzt würden die Bestrebungen von grob antisemitischen Äußerungen in der Milli Gazette, einer türkischen Tageszeitung. Wenn das Erstgericht somit in seiner Entscheidung feststelle, dass die IGMG verfassungsfeindliche Ziele kämpferisch-aggressiv verfolge und die verfassungsmäßige Ordnung auch mit der Einführung der Scharia als “das bessere Modell” untergraben wolle, könne dem nicht widersprochen werden. Die vom Kläger angesprochenen neuen liberalen Bestrebungen in der IGMG seien für deren inhaltliche Ausrichtung derzeit noch nicht prägend.
Besondere Umstände, die im Fall des Klägers die Annahme der Unzuverlässigkeit entgegen der Regelvermutung ausnahmsweise entkräften könnten, seien weder im Verwaltungsverfahren noch vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen worden. Bis auf weiteres könne die Behörde daher zu Recht davon ausgehen, dass der Kläger aufgrund seiner Verbindungen zur IGMG weiterhin deren Bestrebungen unterstütze bzw. sie unterstützt habe und ggf. Einflussnahmen bis hin zu Erpressungen unterliege, die zur Durchsetzung der inlandsbezogenen Ziele der IGMG auch gegen die Sicherheit des Luftverkehrs gerichtete Aktionen zum Ziel hätten.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht verletze in mehrfacher Hinsicht materielles und formelles Recht. Er sei in seinen Grundrechten auf Menschenwürde, Willkürfreiheit und Berufsfreiheit verletzt, weil er seinen Arbeitsplatz nicht wegen persönlicher Unzuverlässigkeit verlieren solle, sondern wegen Vorwürfen, die gegen die IGMG als Dritten gerichtet seien und zu denen er sich von vornherein nicht adäquat äußern könne. Die Verordnung stelle auf tatsächliche Anhaltspunkte ab, die per se regelmäßig “unwiderlegbar” seien. Das Gericht hätte, da der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit die Organisation betreffe, die IGMG notwendig zum Verfahren beiladen müssen. Dies gelte umso mehr, weil der Kläger selbst nicht mehr Mitglied der IGMG sei und daher keinen Zugriff auf deren Informationen habe. Soweit der Kläger dies überblicke, verfolge die IGMG keine verfassungsfeindlichen Ziele.
Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu der Ausrichtung der IGMG seien unbeachtlich, weil sie auf völlig unzureichenden Grundlagen beruhten. Das Berufungsgericht habe keinen der vom Kläger angebotenen Beweise erhoben. Stattdessen habe es sich lediglich auf Erkenntnisse des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz gestützt.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. In Übereinstimmung mit der Bundesregierung hält er die Revision für unbegründet. Dazu trägt er vor, angesichts des Bedrohungspotentials, dem die Luftfahrt ausgesetzt sei, seien die Maßstäbe, die das Berufungsgericht an das Merkmal der erforderlichen Zuverlässigkeit angelegt habe, nicht zu beanstanden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil er gegen §§ 29d, 32 Abs. 2b des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) verstößt. Er ist daher aufzuheben.
Als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides zieht das Berufungsgericht § 9 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf dem Gebiet des Luftverkehrs (Luftverkehr-Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung – LuftVZÜV) vom 8. Oktober 2001 – BGBl I S. 2625, geändert durch Art. 19a des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 9. Januar 2002 – BGBl I S. 361 – i.V.m. Art. 48 BayVwVfG heran. Da § 9 Abs. 2 Satz 3 LuftVZÜV für die Rücknahme von Zuverlässigkeitsfeststellungen und Zutrittsberechtigungen uneingeschränkt auf Art. 48 BayVwVfG verweist, ist die im Folgenden zu erörternde Frage, ob der Verordnungsgeber zum Erlass materiellrechtlicher Regelungen ermächtigt ist, insoweit nicht relevant. Maßstab ist in jedem Falle Art. 48 BayVwVfG.
Zu Recht gehen die Vorinstanzen davon aus, dass es sich bei dem angefochtenen Bescheid entgegen seiner Bezeichnung als Widerruf um eine Rücknahmeentscheidung handelt. Die Umstände, aus denen der Beklagte die Unzuverlässigkeit des Klägers herleitet, lagen schon vor Feststellung seiner Zuverlässigkeit am 10. Januar 2000 vor, so dass diese Feststellung aus der Sicht des Beklagten von Anfang an nicht hätte ergehen dürfen.
Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides setzt mithin voraus, dass der Bescheid vom 10. Januar 2000, mit dem die Zuverlässigkeit des Klägers festgestellt und ihm die Zutrittsberechtigung für die sicherheitsempfindlichen Bereiche des Flughafens erteilt wurde, rechtswidrig war. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.
Das Berufungsgericht leitet die Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheides aus § 5 Abs. 2 Nr. 2 LuftVZÜV her. Danach fehlt es in der Regel an der erforderlichen Zuverlässigkeit, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Betroffene Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) verfolgt oder unterstützt oder innerhalb der letzten zehn Jahre verfolgt oder unterstützt hat. Die hier in Bezug genommene Nr. 1 des § 3 Abs. 1 BVerfSchG erfasst Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben. Die Nr. 3 richtet sich gegen Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.
§ 5 Abs. 2 LuftVZÜV ist jedoch keine geeignete Grundlage, die Rechtswidrigkeit eines Bescheides herbeizuführen. Die Bestimmung ist unwirksam, weil für sie die nach Art. 80 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG erforderliche gesetzliche Ermächtigung fehlt. § 5 Abs. 2 LuftVZÜV enthält eine Regelvermutung. Eine solche Regelvermutung ist ebenso wie sonstige Beweislastregeln Teil des materiellen Rechts (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. März 1974 – BVerwG V C 27.73 – BVerwGE 45, 131, 132 und vom 30. März 1978 – BVerwG 5 C 20.76 – BVerwGE 55, 288, 297; Pietzner in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 132 Rn. 91). Die Verordnungsermächtigung des § 32 Abs. 2b LuftVG umfasst aber nicht den Erlass materiellrechtlicher Regelungen.
Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 15. Juli 2004 – BVerwG 3 C 33.03 – UA S. 11/12 ausgesprochen, dass sich die materiellen Anforderungen für die Feststellung der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit allein aus § 29d LuftVG ergeben. Zu einer näheren Bestimmung des materiellen Begriffs der Zuverlässigkeit ermächtige § 32 Abs. 2b LuftVG nicht; hierzu habe auch kein Anlass bestanden, da der Begriff der Zuverlässigkeit aus sich heraus genügend bestimmt sei. Bei erneuter Überprüfung besteht kein Anlass, von diesen Aussagen abzugehen.
§ 32 Abs. 2b des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) in der bei Erlass der Verordnung geltenden Fassung vom 27. März 1999 – BGBl I S. 550 – ermächtigte das Bundesministerium für Verkehr, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Einzelheiten der Überprüfung nach § 29d Abs. 2 und 3 sowie die Anlässe und Fristen für eine Wiederholung der Überprüfungen zu bestimmen. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz hat diese Ermächtigung dahin gefasst, dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten der Zuverlässigkeitsüberprüfung nach § 29d regelt, insbesondere 1.) die Frist für eine Wiederholung der Überprüfung, 2.) die Einzelheiten der Erhebung personenbezogener Daten und die Löschungsfristen, 3.) das Verfahren einschließlich der Beteiligung der Stellen nach § 29d Abs. 2 und 3 und der Zuständigkeit sowie schließlich 4.) Ausnahmen und Einschränkungen von § 29d Abs. 1 Satz 1.
Schon der Wortlaut der ursprünglichen Ermächtigung spricht dafür, dass dem Verordnungsgeber nicht der Überprüfungsmaßstab zur näheren Ausgestaltung überlassen wurde. Die in der Bestimmung angesprochene Überprüfung ist ein Vorgang, ein Tun, und kein Entscheidungsmaßstab. Auch der Begriff der Einzelheiten weist im Kontext mit der Überprüfung auf formale Vorgänge und nicht auf eine Konkretisierung der materiellrechtlichen Vorgaben hin. Zu einer Ermächtigung, den materiellrechtlichen Prüfungsmaßstab festzulegen, bestand, wie im Urteil vom 15. Juli 2004 bereits ausgeführt ist, auch kein Anlass, weil der Begriff der Unzuverlässigkeit im Gewerbe- und Berufsrecht seit langem einen bestimmten Bedeutungsgehalt hat.
Diese Überlegungen werden durch die Neufassung der Ermächtigung im Terrorismusbekämpfungsgesetz zusätzlich bestätigt. Der Gesetzgeber hat hier durch die Hinzufügung von Beispielsfällen die Ermächtigung konkretisiert und damit verdeutlicht, welche Zielrichtung sie hat. Alle dort aufgeführten Beispiele betreffen ausschließlich die Verfahrensseite der Zuverlässigkeitsüberprüfung. Das lässt den Schluss zu, dass sich die Ermächtigung auch in dem Bereich, der nicht durch die ausdrücklich genannten Fälle abgedeckt ist, nur auf dieses Verfahren bezieht.
Schließlich misst sich die Verordnung selbst in ihrer Überschrift nur die Aufgabe zu, das Verfahren der Zuverlässigkeitsüberprüfung zu regeln. Offenbar ist auch der Verordnungsgeber davon ausgegangen, dass sich die ihm erteilte Ermächtigung nur auf das Verfahren der Überprüfung bezieht. Dabei ist ihm anscheinend entgangen, dass die Statuierung von Regelvermutungen dem materiellen Recht zugehört und keine Verfahrensregelung ist.
Da das angefochtene Urteil die Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Bescheides allein aus § 5 Abs. 2 LuftVZÜV herleitet, diese Bestimmung durch die Ermächtigung des § 32 Abs. 2b LuftVG aber nicht gedeckt ist, verletzt es Bundesrecht.
Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als zutreffend (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Bescheides kann nicht unmittelbar aus § 29d LuftVG hergeleitet werden, der die gesetzliche Grundlage der Zuverlässigkeitsprüfung bildet, da kein Anlass bestand und besteht, an der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers zu zweifeln.
2.1. Wie der Senat im Urteil vom 15. Juli 2004 ausgeführt hat, ist zuverlässig i.S. des § 29d LuftVG nur, wer die Gewähr dafür bietet, die ihm obliegenden Pflichten zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs, insbesondere vor Flugzeugentführungen und Sabotageakten (§ 29c Abs. 1 Satz 1), jederzeit in vollem Umfang zu erfüllen. Diese Definition bezieht sich zwar auf die Bestimmung in der Fassung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 9. Januar 2002. Es gibt aber keinen Grund, den Begriff der Zuverlässigkeit in der bei Erlass des zurückgenommenen Bescheides geltenden Fassung des Luftverkehrsgesetzes vom 27. März 1999 – BGBl I S. 550 – anders auszulegen. Auch die weitere Aussage im Urteil vom 15. Juli 2004, dass die Zuverlässigkeit i.S. des § 29d LuftVG bereits dann zu verneinen ist, wenn hieran auch nur geringe Zweifel bestehen, steht angesichts des gerade beim Luftverkehr hohen Gefährdungspotentials und der Hochrangigkeit der zu schützenden Rechtsgüter außer Zweifel. Schließlich ist daran festzuhalten, dass Bezugspunkt der Überprüfung der Zuverlässigkeit nach § 29d LuftVG sein muss, ob Grund für die Annahme besteht, beim Überprüften sei aktuell oder künftig ein Verstoß gerade gegen die Anforderungen zur Wahrung der Sicherheit des Luftverkehrs zu befürchten. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht sämtlich ausdrücklich zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Insoweit besteht kein Grund zur Beanstandung.
Bei der Konkretisierung dieser Maßstäbe im Rahmen der Rechtsanwendung kommt den in § 5 Abs. 2 LuftVZÜV genannten Tatbeständen nur ein begrenzter Erkenntniswert zu. Es fehlt nicht nur – wie dargelegt – die wirksame normative Anordnung einer Regelvermutung. Die aufgezählten Sachverhalte sind auch nicht geeignet, etwa eine tatsächliche Vermutung für das Fehlen der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit oder generelle Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen, die von diesem widerlegt werden müssten, zu begründen. Das folgt aus dem sehr weiten Rahmen, den der Verordnungsgeber in § 5 Abs. 2 LuftVZÜV gezogen hat. So soll nach Ziffer 1 die Verurteilung wegen jeder beliebigen Straftat in einem Zeitraum von zehn Jahren regelmäßig zur Verneinung der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit führen, obwohl auf der Hand liegt, dass viele Straftaten keine Beziehung zur Gefährdung der Luftverkehrssicherheit haben. Auch verfassungsfeindliche Bestrebungen, auf die die Ziffer 2 abstellt, sind nicht ohne weiteres mit Gewaltbereitschaft verbunden, wie sie typischerweise für Anschläge auf den Luftverkehr vonnöten ist. Richtig ist lediglich, dass Straftaten des Betroffenen ebenso wie eine Verstrickung in verfassungsfeindliche Bestrebungen Anlass geben, die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit in Frage zu stellen und im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung des Einzelfalles festzustellen, ob sich aus solchen Vorgängen Bedenken ergeben, der Betroffene könne aus eigenem Antrieb oder aufgrund fremder Manipulation die Sicherheit des Luftverkehrs beeinträchtigen. Dabei ist das Gewicht der in § 5 Abs. 2 LuftVZÜV angesprochenen Verfehlungen und ihre indizielle Aussagekraft ebenso in den Blick zu nehmen wie den Betroffenen entlastende oder möglicherweise sogar in ein gutes Licht stellende Vorgänge (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Juni 2002 – 8 S 1194/02 – NVwZ-RR 2003 S. 116 f.).
2.2. Das Berufungsgericht hat angenommen, die IGMG verfolge verfassungsfeindliche Bestrebungen i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind. Hiervon hat das Revisionsgericht auszugehen. Der Kläger greift die hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen zwar mit verschiedenen Verfahrensrügen an. Diese gehen jedoch sämtlich fehl.
Der Kläger rügt, die IGMG hätte zum Verfahren beigeladen werden müssen, da nur so eine ordnungsgemäße Aufarbeitung des Prozessstoffes gewährleistet gewesen wäre. Der Fall einer notwendigen Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor, da die Entscheidung nicht in Rechte der IGMG eingreift. Ob eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO in Betracht gekommen wäre, kann offen bleiben, da ihr Unterbleiben jedenfalls keinen in der Revisionsinstanz rügefähigen Verfahrensfehler darstellt. Das gilt insbesondere für den Vortrag des Klägers, die fehlende Beiladung der IGMG habe ihn in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt. Das Instrument der Beiladung dient dazu, die Belange des beizuladenden Dritten zu schützen, nicht die der Prozessparteien.
Soweit der Kläger rügt, das angefochtene Urteil beruhe auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage, weil es sich im Wesentlichen auf Verfassungsschutzberichte und vergleichbare Quellen berufe, kann darin eine zulässige Verfahrensrüge nicht gesehen werden. Der Kläger hat von der in § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Möglichkeit, einen förmlichen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung zu stellen, entgegen seiner schriftsätzlichen Ankündigung keinen Gebrauch gemacht, obwohl die dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen umfassend bekannt waren. Unter diesen Umständen kann er mit der Rüge einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht gehört werden.
Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann die rechtliche Wertung des Berufungsgerichts, die IGMG verfolge verfassungsfeindliche Ziele i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG, weil sie langfristig die Einführung eines islamistischen Staats- und Gesellschaftssystems in der Bundesrepublik Deutschland unter Missachtung der Grundrechte der Menschenwürde, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Religionsfreiheit anstrebe, revisionsgerichtlich nicht beanstandet werden. Ob das der Öffentlichkeit dargebotene Bild der Verfassungstreue nur vorgeschoben ist und ob sich dahinter die von den Vorinstanzen diagnostizierten Zielsetzungen verbergen, ist eine Tatsachenfrage, deren Beantwortung nach § 137 Abs. 2 VwGO den Tatsachengerichten obliegt. Auch der Hinweis des Klägers, dass der IGMG jede Gewaltbereitschaft abgehe und sie ihre Ziele ausschließlich mit demokratischen Mitteln durchsetzen wolle, führt insoweit nicht auf einen Rechtsfehler. Gewaltbereitschaft ist kein notwendiges Element verfassungsfeindlicher Bestrebungen i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG.
2.3. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass eine Mitgliedschaft in der IGMG, sei sie gegenwärtig oder zurückliegend, berechtigten Anlass zu der Frage gibt, ob der Betreffende über die erforderliche luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit verfügt. Die danach notwendige Prüfung ergibt aber, dass das Bild der IGMG, das von den Vorinstanzen gezeichnet wird, keinen Anlass zu der Annahme bietet, die Gemeinschaft oder jedenfalls Teile ihrer Mitglieder könnten Akte zur Beeinträchtigung der Sicherheit des Luftverkehrs begehen. Auf dieser Ebene ist die Frage, wie die IGMG zur Gewalt steht, von zentraler Bedeutung. Das Berufungsgericht hat sich zu dieser Frage nicht ausdrücklich verhalten. Es hat allerdings auf Seite 10 in einem Klammerzusatz ausgeführt, Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BVerfSchG stünden nach Bekunden des Beklagten nicht im Raum. Die angeführte Bestimmung betrifft Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Der Sache nach bedeutet dies, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die IGMG zur Veränderung der Verhältnisse in der Türkei keine Gewalt anzuwenden bereit ist. Dies ist schon deshalb bemerkenswert, weil die Veränderung der Verhältnisse in der Türkei nach den Aussagen beider Vorinstanzen das primäre Ziel der IGMG ist. Wenn schon diese Zielsetzung nicht mit Gewalt verfolgt wird, besteht erst Recht kein Anlass zur der Annahme, das Erreichen des Fernziels, ganz Europa mit einer islamistischen Staats- und Gesellschaftsordnung zu überziehen, werde durch Einsatz von Gewalt angestrebt. Dass dies auch die Überzeugung des Berufungsgerichts ist, ergibt sich daraus, dass es für die Einschätzung der IGMG ausdrücklich den Ausführungen des Verwaltungsgerichts beitritt. Dieses hat in seinen Urteilsgründen festgestellt, die IGMG verfolge ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen nicht mit gewaltsamen Mitteln. Das deckt sich im Übrigen mit dem Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten. Auf dieser Grundlage ist es unverständlich, wie das Berufungsgericht zu dem Schluss kommen kann, bis auf weiteres könne die Behörde zu Recht davon ausgehen, dass der Kläger aufgrund seiner Verbindungen zur IGMG Einflussnahmen (bis hin zu Erpressungen) unterliege, die zur Durchsetzung der inlandsbezogenen Ziele der IGMG auch gegen die Sicherheit des Luftverkehrs gerichtete Aktionen zum Ziel haben. Die festgestellten Tatsachen lassen einen solchen Schluss nicht zu. Nirgendwo in den Akten und im angefochtenen Urteil gibt es einen Anhaltspunkt dafür, dass Milli Görüs seine Ziele durch Gewaltaktionen, und solche sind Eingriffe in die Sicherheit des Luftverkehrs, verfolgen würde. Ebenso unerfindlich ist, wieso die – frühere – Mitgliedschaft bei Milli Görüs Ansatzpunkte für eine Erpressung bieten soll.
2.4. Die Annahme des Berufungsgerichts, aus der zeitweisen Mitgliedschaft des Klägers bei der IGMG ergebe sich seine luftverkehrsrechtliche Unzuverlässigkeit, kann auch abgesehen hiervon unter den gegebenen Umständen keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht geht wie das Verwaltungsgericht davon aus, dass die IGMG sich nach außen um eine rechtsstaatliche und verfassungstreue Fassade bemüht. Der Kläger meint, im Hinblick darauf könne bei ihm schon nicht von einer Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen i.S. des § 5 Abs. 2 Nr. 2 LuftVZÜV die Rede sein, weil er von solchen Bestrebungen nichts gewusst und sich auch nicht dafür interessiert habe. Das Verwaltungsgericht hat diesen Einwand mit der Begründung zurückgewiesen, das Ordnungsrecht, zu dem auch die genannte Bestimmung gehöre, ziele auf objektive Gefahrenabwehr und nicht auf subjektive Tatbestandsmerkmale. Dem ist zwar bei der Auslegung des Begriffs “unterstützen” zu folgen.
Der “nützlice Idiot”, der nicht merkt, wofür er missbraucht wird, kann für die Sicherheit des Luftverkehrs genauso gefährlich sein wie der Überzeugungstäter. Das entbindet aber im Rahmen der Gesamtbetrachtung des Einzelfalls nicht von der Feststellung, ob von dem zu Überprüfenden tatsächlich wegen seiner Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation eine Gefahr für den Luftverkehr ausgeht. Dies gilt besonders, wenn, wie vom Berufungsgericht festgestellt, die Organisation verschiedene Strömungen aufweist, die unter dem Aspekt der Verfassungsfeindlichkeit unterschiedlich zu bewerten sind. In einem solchen Fall erscheint es problematisch, aus der Tatsache der Mitgliedschaft undifferenziert eine Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen herzuleiten. Es liegt nahe, unter diesen Bedingungen Feststellungen dazu zu fordern, für welche Richtung der zu Überprüfende eingetreten ist. Lässt sich dies nicht klären, so geht das allerdings zu seinen Lasten.
Die angesprochene Fassade gewinnt im Hinblick auf den Kläger besondere Bedeutung dadurch, dass er bei der IGMG keine herausgehobene Position bekleidete und die Mitgliedschaft aufgrund eigener Entscheidung nach verhältnismäßig kurzer Zeit durch Austritt beendet hat. Er war in einem Ortsverein vier Jahre lang Mitglied und ein bis zwei Jahre Ansprechpartner für Jugendliche. Dabei bekleidete er nicht den in der Satzung des Vereins vorgesehenen Posten des Vorsitzenden des Jugendausschusses, dem Entscheidungskompetenzen zukommen. Nach seiner eigenen Schilderung – andere Erkenntnisse gibt es dazu nicht – war er so etwas wie ein Jugendbetreuer. Auch wenn dies durchaus eine wichtige Funktion ist, gibt sie keine hinreichende Grundlage für die Annahme, der Betreffende habe Einblick in die wahre Zielsetzung der Vereinigung. Auch der Austritt des Klägers ist ein Beleg für seine Behauptung, die Ideologie der IGMG habe ihn nie interessiert. Wäre es anders, so hätten die für den Austritt geltend gemachten Gründe (Zeitmangel und Familienpflichten gegenüber der Ehefrau und zwei Kindern) vielleicht zu einem reduzierten Einsatz, aber keinesfalls zu einem Austritt geführt.
Schließlich ist in diesem Zusammenhang die Einbürgerung des Klägers unter Aufgabe seiner türkischen Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen. Ein solcher Vorgang ist regelmäßig ein Akt der Identifikation mit dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit man erwirbt, zumal wenn es auch das Land der Geburt ist. Diesem Vorgang kann die Relevanz nicht deshalb abgesprochen werden, weil die IGMG inzwischen ihren Mitgliedern angeblich die Stellung von Einbürgerungsanträgen empfiehlt, um ihrem Fernziel der Islamisierung näher zu kommen. Weder war der Kläger bei Stellung des Einbürgerungsantrages Mitglied der IGMG noch gehörte seinerzeit der Aufruf zur Einbürgerung zu ihrem Programm.
Unverständlich ist, dass der Beklagte die offenkundige Integration des Klägers in die deutsche Gesellschaft (Geburt, Schulbesuch, Berufsausbildung, Berufstätigkeit, Familiengründung, Einbürgerung) mit dem Hinweis als verdächtig darstellt, auch die Terroristen des 11. September 2001 seien während ihres Aufenthaltes in Hamburg völlig unauffällig gewesen und hätten keinerlei Verdacht erregt. Dies kann nicht dazu führen, dass bereits die Integration als solche verdächtig macht.
Die zeitweilige Mitgliedschaft bei Milli Görüs bietet hiernach keine hinreichende Grundlage für die Annahme, beim Kläger gebe es ein besonderes Gefährdungspotential für die Sicherheit des Luftverkehrs. Andere Anhaltspunkte hierfür sind im gesamten Verfahren nicht erkennbar geworden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen
BVerwGE 2005, 182 |
GewArch 2005, 191 |
VRS 2005, 307 |
ZLW 2005, 426 |
BayVBl. 2005, 601 |
DVBl. 2005, 637 |
NordÖR 2004, 479 |