Verfassungsschutz: AfD als Verdachtsfall

Die AfD ist mit dem von ihr geführten Verfahren gegen ihre nachrichtendienstliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz wegen rechtsextremer Bestrebungen beim VG Köln gescheitert. Die Partei hat vor Gericht allerdings auch Teilerfolge erzielt.

Die mit Spannung erwartete Entscheidung des VG Köln zur Einstufung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als Verdachtsfall hat für die AfD erhebliche praktische Folgen. Nach dem Urteil darf der Verfassungsschutz nun bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (G-10 Gesetz) u.a. die Kommunikation der Partei überwachen. Darüber hinaus hat der Verfassungsschutz das Recht, V-Leute zum Zwecke der Beobachtung in die Partei einzuschleusen.

Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen

Das VG stellte in der AfD „ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei“ fest. Eine wichtige Rolle für diese Erkenntnis spielte der sogenannte „Flügel“, eine Gruppierung innerhalb der Partei, die in der Vergangenheit mit besonders radikalen Äußerungen aufgefallen war und deshalb bereits 2020 vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. In der Folge hatte sich die Gruppierung aufgelöst. Ihre Protagonisten, die immer wieder durch rassistische und völkische Äußerungen auffallen, spielen nach den Feststellungen des Gerichts weiterhin in der Partei eine tragende Rolle.

AfD verfolgt ethnischen Volksbegriff

Nach den Feststellungen des Gerichts vertritt die AfD zumindest in Teilen einen „ethnisch verstandenen Volksbegriff“. Die Partei verfolge das Ziel, zum Zweck der Erhaltung des deutschen Volkes Fremde auszuschließenEs existierten Verlautbarungen, in denen Vorwürfe der „Umvolkung“ und des „Volkstodes“ erhoben würden. Dies gelte in besonderem Maße auch für die Jugendorganisation der Partei „Junge Alternative“ (JA). Dieses völkische Verständnis widerspricht nach der Bewertung des Gerichts dem freiheitlichen Volksbegriff des GG.

Ausländerfeindliche Agitation

Durch „ausländerfeindliche Agitation“ und die Verwendung von Begrifflichkeiten wie „Kopftuchmädchen“ oder “Messer-Migranten“ schüre die Partei Fremdenfeindlichkeit. Dies gelte insbesondere für ehemalige Mitglieder der aufgelösten Parteigruppierung „Flügel“. Für die Einstufung als Verdachtsfall sei es nicht erforderlich, dass die gesamte Partei von diesen verfassungsfeindlichen Grundtendenzen beherrscht wird.

Gesamtbild von völkischen Äußerungen geprägt

Im Ergebnis waren die vom BfV vorgetragenen Erkenntnisse für das VG eine tragfähige Grundlage, um die gesamte AfD als Verdachtsfall einzustufen. Die Gesamtpartei werde ebenso wie die JA von einer Vielzahl völkischer Äußerungen einzelner Mitglieder geprägt. Das Gericht hat daher sowohl die Klage der AfD gegen die Einstufung der Gesamtpartei als Verdachtsfall als auch die Klage gegen die Einstufung der Jugendorganisation JA als Verdachtsfall abgewiesen.

Teilerfolge der AfD

Das Gericht rügte in den Nebenverfahren aber auch die Vorgehensweise des BfV. Dieses hatte die Ziele des „Flügel“ als „gesichert extremistisch“ eingestuft. In dieser Weise gesicherte Erkenntnisse existieren jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht: Nach der formalen Auflösung des Flügels seien die Feststellungen des BfV eher Vermutungen als gesicherte Fakten. Auch die vom BfV genannte angebliche Mitgliederzahl dieser Parteigruppierung „Flügel“ von 7.000 sei eher grobe Schätzung denn faktenbasierte Tatsache und dürfe daher der Öffentlichkeit auch nicht als angeblich gesicherte Erkenntnis mitgeteilt werden. Mit ihren diesbezüglichen Anträgen gegen die Feststellungen des BfV war die AfD vor Gericht erfolgreich.

AfD kann noch Rechtsmittel einlegen

Im März 2021 hatte das VG dem Bundesamt per Eilbeschluss untersagt, die AfD als Verdachtsfall einzustufen. Diesen Beschluss muss das VG noch formal aufheben. Danach könnte die nachrichtendienstliche Beobachtung der AfD grundsätzlich beginnen. Dies gilt auch für den Fall, dass die Partei gegen das noch nicht rechtskräftige Haupturteil Berufung eingelegt. Über die Einlegung von Rechtsmitteln will die Partei erst nach Eingang der schriftlichen Urteilsbegründungen entscheiden.


(VG Köln, Urteile v. 8.3.2022, 13 K 326/21 - Einstufung der Gesamtpartei als Verdachtsfall; 13 K 207/20 - Einstufung des Flügels; 13 K 208/20 - Einstufung der JA; 13 K 325/21 - Mitgliederzahl des Flügels)


Hintergrund

Die jetzige Entscheidung des VG Köln war nicht selbstverständlich und ist erst nach zehnstündiger Verhandlung gefallen. Immerhin ist die AfD keine verbotene Partei. Sie ist in allen Landtagen und im Bundestag vertreten. Das BVerfG hat in diversen Entscheidungen wiederholt die hohe Bedeutung der Parteien für die Demokratie betont und die Hürden für einschränkende Maßnahmen gegenüber politischen Parteien hoch gesetzt.

Gefährdung der demokratischen Grundordnung

In einem Grundsatzurteil zum Verbot der rechtsextremen Partei NPD hat das höchste deutsche Gericht klargestellt, dass eine Partei erst dann als verfassungsfeindlich einzustufen ist, wenn nach ihrem Konzept eine spürbare Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgeht. Die Äußerungen einzelner müsse sich eine Partei nur insoweit zurechnen lassen, als diese Äußerungen repräsentativ für die Haltung vieler in der Partei - nicht notwendigerweise der Gesamtpartei - seien. Entgleisungen einzelner Mitglieder reichten hierfür nicht (BVerfG, Urteil v. 17.1.2017, 2 BvB 1/13).

Rechtliche Folgen für Parteimitglieder unklar

Ein nicht gelöstes Problem ist die sich an das Verfahren anschließende Frage, inwieweit die Entscheidung des VG Rechtsfolgen für Mitglieder der AfD hat, die in Berufen mit vorausgesetzter Verfassungstreue tätig sind, beispielsweise als Beamte, Richter und Polizisten. Die reine Parteimitgliedschaft dürfte hier für disziplinarische Maßnahmen nicht ausreichen. Dennoch befürchtet die Partei nach dieser Entscheidung eine große Zahl an Parteiaustritten, insbesondere von Beamten.