Leitsatz (amtlich)
1. Für Baden-Württemberg ist daran festzuhalten, dass eine Haftung wegen Verletzung der (Straßen-)Verkehrssicherungspflicht ausscheidet, wenn die Gefahrenstelle für den Verkehrsteilnehmer, der die er-forderliche Sorgfalt wahrt, rechtzeitig erkennbar ist und er sich auf sie rechtzeitig einzurichten vermag.
2. Soweit der BGH in seinem Urteil vom 5.7.2012 (III ZR 240/11) eine Haftung des Straßen-verkehrssicherungspflichtigen unabhängig von der Frage der Erkennbarkeit der Gefahrenstelle bejaht hat (a.a.O., Tz. 10), ist diese Entscheidung auf Baden-Württemberg nicht übertragbar. Sie beruht darauf, dass das dort einschlägige Berliner Straßenrecht als Teil der Straßenbau- und -unterhaltungslast eine dem Straßenbaulastträger obliegende Pflicht enthält, alsbald einen verkehrssicheren Zustand wiederherzustellen (§ 7 Abs. 2 Satz 5 BerlStrG) und es diese Pflicht zum Gegenstand der Straßenverkehrssicherungspflicht macht (§ 7 Abs. 6 Satz 2 BerlStrG). Eine derartige Regelung kennt das baden-württembergische Straßen-recht nicht.
3. Im Rahmen der Beurteilung der rechtzeitigen Erkennbarkeit einer in Rissen und/oder Unebenheiten der Fahrbahn einer Straße bestehenden Gefahrenstelle für einen Radfahrer ist zu berücksichtigen, dass dieser grundsätzlich das Sichtfahrgebot (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO) und das Gebot, die Geschwindigkeit den (be-sonderen) Sichtverhältnissen anzupassen, einzuhalten hat.
Normenkette
BGB § 839 Abs. 1; GG Art. 34; Straßengesetz Baden-Württemberg §§ 9, 59; StVO § 3 Abs. 1 S. 2, § 3 S. 4
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 11.01.2013; Aktenzeichen 15 O 358/11) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 11.1.2013 (Az.: 15 O 358/11) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 440.000 EUR
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der beklagten Gemeinde (i. F.: Beklagte) Schadensersatz (Ersatz materieller Schäden und Schmerzensgeld) aus Amtshaftung und nach dem Haftpflichtgesetz wegen Verletzungen, die er infolge eines Sturzes vom Fahrrad erlitten habe (insb. Bruch der Halswirbel 4 und 5). Er behauptet, zum Sturz sei es infolge von Fahrbahnunebenheiten der in der Straßenbaulast der Beklagten stehenden Straße gekommen. Er vertritt die Auffassung, die Beklagte habe hinsichtlich des Zustands der Straße ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt.
1. Für die weiteren Einzelheiten des Sacherhalts und des Vorbringens in erster Instanz einschließlich der Antragstellung wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils verwiesen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
2. Das LG hat die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Ein Anspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 Grundgesetz bestehe nicht.
Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt.
Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht aus §§ 44 und 9 des Straßengesetzes richte sich danach, für welche Art von Verkehr ein Weg nach seinem äußeren Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und nach der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet sei. Die Beklagte sei nur verpflichtet gewesen, Maßnahmen zu ergreifen, die objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar gewesen seien.
Die Straße, auf welcher der Kläger zu Fall gekommen sei, sei nicht mit dem Zeichen X als Radweg gekennzeichnet und auch nicht aufgrund ihrer baulichen Gestaltung als solcher erkennbar. Ob der Radwanderweg an der Unfallstelle verlaufe, könne dahinstehen. An die Sicherung von Radwanderwegen seien grundsätzlich keine höheren Anforderungen zu stellen als sie für die Fahrbahnbenutzung durch Kraftfahrzeuge gelten, auch dann, wenn Radfahrer besonderen Sturzgefahren ausgesetzt sein könnten.
Der Verkehrssicherungspflichtige müsse nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für einen Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lasse, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar seien und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermöge.
Neben der Erkennbarkeit der Gefahren müsse darüber hinaus die Möglichkeit bestehen, der gut erkennbaren Gefahrenquelle auszuweichen.
Aufgrund der vorgelegten Lichtbilder und der Schilderungen des Klägers und der des Zeugen Y seien sowohl Unebenheiten auf der Fahrbahn als auch die Schachtdeckel ohne weiteres erkennbar gewesen. Dem Kläger, der die Straße häufig befahren habe, sei der Zustand des Belages bekannt gewesen. Nach seiner Schilderung seien die Schachtdeckel und Straßenschäden sowohl rechts als auch links umfahrbar gewesen. Rec...