Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Anscheinsbeweis für das Verschulden des Auffahrenden bei (behauptetem) Fahrstreifenwechsel

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 475/05)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch aus einem Verkehrsunfall am 7.3.2005 auf der Straße Alt-Friedrichsfelde in Berlin; die Kollision zwischen dem im Eigentum der Klägerin stehenden und von ihrem Arbeitnehmer ... geführten Pkw VW Passat (...) und dem von der Erstbeklagten gehaltenen und geführten und bei der Zweitbeklagten versicherten Pkw BMW (...) ereignete sich im gleichgerichteten Verkehr im linken Fahrstreifen in Höhe der Hausnummer ... (Schadenstellen am klägerischen VW links hinten, am Beklagtenfahrzeug rechts vorne).

Das LG hat der Klage nach Beweisaufnahme am 10.7.2008 - unter Abzügen in der Höhe des Anspruchs - nach einer Quote von 100 % stattgegeben mit der Begründung, die Erstbeklagte habe den Unfall allein verschuldet, weil sie unter Verstoß gegen die einschlägigen Sorgfaltsgebote (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1, 1 Abs. 2 StVO) auf das vor ihr befindliche Klägerfahrzeug aufgefahren sei; dies stehe zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Aussage des als Zeugen vernommenen ... sowie des Unfallrekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. ...

Dagegen sei der Unfalldarstellung der persönlich angehörten Erstbeklagten nicht zu folgen, das Klägerfahrzeug habe unmittelbar vor der Kollision die Spur nach links gewechselt, so dass die Fahrzeuge kollidiert seien; denn dies sei mit den Erkenntnissen des technischen Sachverständigen nicht in Einklang zu bringen.

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung, mit der sie die Haftung dem Grunde nach zu 50 % akzeptieren, aber im Übrigen die Abweisung der Klage erstreben.

Sie machen geltend: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Unfallhergang als ungeklärt anzusehen, so dass der Schaden hälftig zu teilen sei.

Das LG sei zu Unrecht von einem gegen die Erstbeklagte sprechenden Anscheinsbeweis ausgegangen, denn einen solchen gäbe es nicht bei einer nicht nachgewiesenen ausreichenden Dauer des Hintereinanderfahrens, wenn eine Partei einen Spurwechsel als Unfallursache angegeben habe (S. 10 der Berufungsbegründung).

Auch sei das für einen Auffahrunfall typische Schadensbild an den Fahrzeugen nicht vorhanden; vielmehr sei aus den Schadensstellen (BMW der Erstbeklagten an der vorderen rechten Ecke, Klägerfahrzeug an der hinteren linken Ecke) ersichtlich, dass sich die Fahrzeuge im Kollisionszeitpunkt nicht in einer Fluchtlinie befunden hätten.

Die persönliche Unfalldarstellung der Erstbeklagten werde auch nicht durch das Sachverständigengutachten widerlegt, so dass der Unfallhergang ungeklärt sei und eine Haftung 50:50 verbleibe.

Zu diesem Ergebnis sei auch schon das AG Mitte in seinem Urt. v. 17.2.2006 - 8 C 3217/05 - im Rechtsstreit der Erstbeklagten gegen die Klägerin und den Fahrer ihres Fahrzeuges, ..., gelangt. Ebenso habe die Einzelrichterin des LG im dem von der Erstbeklagten betriebenen Berufungsverfahren - 58 S 50/06 - nach Kenntnisnahme des hier in erster Instanz eingeholten Gutachtens ... mitgeteilt, dass auch danach der Unfallhergang ungeklärt sein dürfte, woraufhin die hiesige Erstbeklagte und dortige Klägerin ihre Berufung zurückgenommen habe.

II. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist nicht der Fall.

1. Die Feststellung des Sachverhalts durch das LG ist nicht zu beanstanden.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. KG, Urt. v. 8.1.2004 - 12 U 184/02, KGReport Berlin 2004, 269; vgl. auch KG [22. ZS], KGReport Berlin 2004, 38 = MDR 2004, 533).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Pr...

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