Kein Wunder, dass Frauen die Führung übernehmen
"Glückwunsch, Sie haben die 100 Prozent Männerquote erreicht!" Begleitet von Fanfarentusch hätte diese Ansage in der Immobilien- und Tech-Branche bis vor wenigen Jahren häufig verkündet werden können. Warum das nicht gut ist: Reine Männerrunden vermitteln eine einseitige Lebens- und Businessrealität. Ist die Idee einer Frau schlechter, nur weil sie anders gedacht wurde? Nein! Manchmal ist es genau das, was in der aktuellen Krise fehlt: ein Perspektivenwechsel. Gerade in volatilen Zeiten sind neben Fach- und Technikwissen auch Empathie und Teamgeist gefragt. Eigenschaften, die Studien zufolge bei Frauen stärker ausgeprägt sind.
Studien: Vielfalt fördert die Unternehmensleistung
In Krisen sei es wichtig, die Menschen zu verstehen, betont Anke Tsitouras, Vorstand Landmarken AG. Emotionaler, nachgiebiger, einfühlsamer: Das seien die häufigsten Nennungen, wie sich weibliche Führungskräfte von ihren Kollegen unterscheiden. Vieles sei ein Klischee, aber ein Quäntchen Wahrheit sei doch dabei. Immerhin sind es auch Eigenschaften, die von der Gesellschaft Frauen zugeschrieben und von ihr auch zusätzlich befördert werden.
Dass gemischte Teams erfolgreicher sind, wurde inzwischen nicht nur von der Wissenschaft bewiesen, sondern auch in der Politik und Wirtschaft erkannt. Inga Carboni, Professorin an der William & Mary Mason School of Business, hat Netzwerke untersucht. "Wir sind längst über den Punkt hinaus, an dem die CEOs vom Wert der Vielfalt überzeugt werden müssen. Vielfalt fördert die Unternehmensleistung – Punkt." Der Grund dafür sei, dass unterschiedliche Stimmen und Denkweisen für Innovationen und effektive Problemlösungen entscheidend seien.
Netzwerke würden dabei eine wichtige Rolle spielen. Tijen Onaran, CEO und Gründerin von Global Digital Women, betont daher: "Wir brauchen die unterschiedlichen Sichtweisen am Tisch. Und um das zu erreichen, benötigen wir Vorbilder und zwar viele! Denn Vielfalt heißt nicht eine, Vielfalt heißt viele!" Das gilt nicht nur für Geschlechterrollen, sondern auch für verschiedene Altersgruppen oder kulturelle Hintergründe.
Immobilienwirtschaft: Gläserne Decke für Frauen
Beim Begriff "viele" hakt es bereits. Nach jahrelanger kontroverser Debatte wurde zwar 2015 die Frauenquote gesetzlich verankert, doch gut ist damit längst nicht alles. Häufig sind Frauen in Führungspositionen in den kommunikativen und kreativen Bereichen wie Human Resources, PR und Kommunikation zu finden, und erst langsam erobern sie sich die Bereiche Finanzen und Technik. In der Immobilienbranche sind Frauen in Führungspositionen noch deutlich unterrepräsentiert. Die empirische Datengrundlage dafür liefern die Frauen in der Immobilienbranche e.V., kurz Immofrauen, in ihrer Studie aus dem Jahr 2022.
Das ernüchternde Ergebnis: Nur jede fünfte Führungsposition wird von einer Frau wahrgenommen, im Topmanagement nur jede zehnte. Über alle Branchen hinweg liegt in Deutschland der Anteil an weiblichen Führungskräften bei 29 Prozent. Die noch relativ niedrige Quote steht der Immobilienwirtschaft schon allein aus Imagegründen nicht gut zu Gesicht. Angesichts der viel - fältigen Herausforderungen stellt sich die Frage, ob sich die Branche dieses Ungleichgewicht noch lange leisten kann und darf.
Aygul Özkan: Weibliche Führungskräfte keine exotischen Figuren mehr
"Gemessen daran, wie die Immobilienwirtschaft noch vor zehn Jahren aufgestellt war, hat sich aber enorm viel getan", sagt Aygül Özkan. Sie ist Geschäftsführerin beim ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., Aufsichtsrätin, Ministerin a.D. und Rechtsanwältin. Frauen in Führungspositionen würden mittlerweile nicht mehr als exotische Figuren betrachtet, die zum großen Erstaunen aller irgendwie in eine Männerriege geraten seien und wie durch ein Wunder Führungsverantwortung übernommen hätten.
Der Blick richtet sich zunehmend darauf, wie Diversität das Unternehmen voranbringen könne und was diese Frauen tatsächlich leisten würden – und das sei genau die richtige Perspektive. In Anbetracht der Forderung nach mehr Frauen ist der Spruch "Lieber Qualität statt Parität" immer mal wieder zu hören. Aber aufgepasst: Es gibt sie, die interessanten, kompetenten, erfolgreichen Architektinnen, Bauingenieurinnen, Gründerinnen, IT-Spezialistinnen, Finanzvorständinnen, Justiziarinnen und Immobilienfachfrauen.
Signalwirkung: Klara Geywitz als Schirmherrin der "Frauen in Führung"
Das zeigen nicht nur Veranstaltungen von Frauennetzwerken wie den Immofrauen oder der Initiative Frauen in Führung (F!F), sondern auch der Tag der Immobilienwirtschaft. Zwar gelang noch nicht die 50:50-Challenge, aber die Richtung ist gut. "Wir sind in der Immobilienwirtschaft deutlich weiter als vor zehn Jahren, aber eben auch noch nicht am Ziel", gibt sich Özkan realistisch. Die Frauen in der Immobilienwirtschaft und die Initiative Frauen in Führung (F!F) beispielsweise kämpften hartnäckig dafür, dass der Einsatz für mehr Frauen in leitenden Positionen weiter vorangehe. Es habe Signalwirkung, dass Bundesbauministerin Klara Geywitz die Schirmherrschaft bei F!F übernehme.
Noch sei auf diesem Feld einiges zu tun. Frauen gelten beruflich oft als zurückhaltender und schüchterner als Männer, da dieses Sozialverhalten oft durch gesellschaftliche Konventionen antrainiert wurde. Gerade in männerdominierten Branchen setzen sie häufig auf Fachkenntnis und bauen diese weiter aus, um fehlende Kontakte auszugleichen, statt wie viele Männer auf Netzwerke zu bauen. Genau diese aber verhelfen zu Kontakten, bieten Zugang zu Informationen, die sonst schwerer zugänglich wären, bringen in Verbindung zu Frauen mit ähnlichen Herausforderungen, geben Sichtbarkeit und emotionale Unterstützung.
Immofrauen, F!F und Co. – warum es Frauen-Netzwerke braucht
Nun stellt sich die Frage: Braucht es beim Netzwerken Geschlechtertrennung? Manchmal schon, denn die Erfahrungen und benötigten Hilfestellungen sind unter Frauen mitunter besser nachvollziehbar. "Ich habe immer den Eindruck, dass ich in einer großen Gemeinschaft bin", sagt Iris Schöberl, eine der Gründerinnen der Immofrauen, Managing Director Germany und Head of Institutional Clients bei Columbia Threadneedle Investments Real Estate Partners, vormals BMO Real Estate Partners.
An dem Frauen-Netzwerk schätzt sie besonders: "Es gibt eine hohe Verbindlichkeit, mit ganz vielen tollen und inspirierenden Ideen." Mit jeder Frage könne sie sich an ihr Netzwerk wenden und bekomme dann oft in Echtzeit eine fachlich fundierte Antwort – per Whatsapp, im Zoom-Call oder auch mal bei einem Kaffee. Wie wichtig Netzwerke gerade für junge Frauen sind, wissen Julia Kehmeyer und Annekathrin Wurz von der EBZ. Mit ihrem Ladies Lunch, bei dem sich Studentinnen und Expertinnen aus der Immobilienwelt informell treffen, haben sie den Nerv der Zeit getroffen. Das Programm sei breit aufgestellt und reiche von Immobilienexpertinnen bis hin zur Stimmtrainerin, so Wurz. Der Zuspruch sei sehr gut.
Immobilienwirtschaft: Mentoring-Programme für junge Frauen
Mit dem dritten Mentoring-Jahrgang ist Kehmeyer gerade gestartet. 20 Studentinnen bekamen Sparringspartnerinnen aus der Immobilienbranche, mit denen sie sich regelmäßig austauschen. Begleitet wird dies von der Hochschule mit Workshops und Veranstaltungen. Das Ergebnis sei bisher sehr erfreulich, so Kehmeyer, es habe Karrieresprünge und Jobwechsel gegeben; aber es sei auch ein persönliches Reifen der Mentees festzustellen gewesen, freut sich die Organisatorin. Unterstützt wird dieses Programm auch von den Immofrauen. Xenia Krause-Dünow, stellvertretende Regionalleiterin der Immofrauen Hamburg und Gründerin der Personalvermittlung Fits for future, engagiert sich ebenfalls dafür, die Zahl der Entscheidungsträgerinnen in der Branche zu steigern.
Sich gegenseitig zu unterstützen ist das erklärte Ziel der studierten Juristin und Headhunterin. Geboten werden den Mitgliedern ein interessantes Programm zu Immobilienthemen, Netzwerktreffen und Veranstaltungen wie kürzlich zum Thema "Frauen und Finanzen". Mit über 50 Immofrauen war es ein großer Erfolg, so Krause-Dünow. Mit über 120 Mitgliedern allein in Hamburg und über 1.000 in Deutschland habe das Netzwerk in der Branche auch eine wichtige Stimme.Happy Immo: Für "Working Moms" und finanzielle Unabhängigkeit
Einen ganz anderen Fokus wählten Anaïs Cosneau und Maya Miteva mit ihrem Start-up Happy Immo. Cosneau hatte nach ihrem Architektur-Master in REM + CPM als Projektentwicklerin in China gearbeitet, danach leitete sie unter anderem bei der Landmarken AG den Bereich Akquisition Büro- und Spezialimmobilien und die Niederlassung von Becken in Frankfurt. Miteva war bei der Arminius Group, der Vonovia, Centerscape und Summit Real Estate tätig. Zusammen gründeten sie 2019 die erste Immobilien-Lernplattform für Frauen. Ihr Ziel: Frauen den Immobilienkauf zu erklären, damit sie ein passives Einkommen aufbauen können.
Hören Sie rein in unseren L'Immo-Podcast mit den Gründerinnen des Happy Immo Club
Aus dem digitalen Happy Immo Circle sei inzwischen ein Netz von regionalen Gruppen entstanden, so die Gründerinnen. Die Teilnehmerinnen würden sich in mehr als zwölf Städten zum Happy Immo Circle treffen und ihre Pläne und Sorgen besprechen. Es werde über berufliche Themen, aber auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie diskutiert, so die Architektin. Habe jemand eine fachliche Frage, könne er sie in die Handy-Chatgruppe des Netzwerkes stellen. Happy Immo sei so zu einer Bewegung für mehr finanzielle Freiheit durch Immobilieninvestments für Frauen geworden.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Die Politik ist gefragt
Außerdem veranstalteten die beiden Immobilien-Fachfrauen im März ihr erstes Bootcamp. Dabei führten sie Frauen an ihr erstes Immobilieninvestment heran. Das Ergebnis: Über 50 Prozent der Frauen kauften innerhalb von 90 Tagen ihre erste Immobilie. Ein oft genannter Grund, warum nicht mehr weibliche Führungskräfte in das Topmanagement aufsteigen, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Glaubenssätze wie "Arbeitnehmerinnen im gebärfähigen Alter engagieren sich bald nur noch für ihre Familie" sind Handschellen, die gesprengt werden müssen, fordert Anaïs Cosneau. Kleine Menschen auf ihrem Weg in die Zukunft zu begleiten sei etwas Tolles: "Eltern lernen Empathie und Führung. Beides können Unternehmen prima für sich nutzen."
Auch Iris Schöberl ist dies ein Anliegen. Ihre Forderung an die Politik: "Gebt mehr Geld für die Kinderbetreuung aus und schafft das Ehegattensplitting ab." Sie weiß, wovon sie spricht. In ihrem Unternehmen gibt es 17 unter schiedliche Teilzeitmodelle bei 70 Angestellten. Allerdings schränkt sie ein: Jung, weiblich und gut ausgebildet allein reiche nicht aus, um Führungskraft zu werden, es gehörten auch Durchhaltevermögen, Stressresistenz und die Fähigkeit, dem Unternehmen einen Mehrwert zu liefern, dazu.
Was ist das Fazit? Dazu noch einmal Carboni: "Erfolgreiche Netzwerkerinnen spielen ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und ihre Leistungen nicht herunter; sie zeigen, dass sie etwas können. Aber sie nutzen auch Humor, Präsenz und kleine Gesten, um Fürsorge und Positivität zu signalisieren, und sie setzen ihre Fähigkeiten zum Zuhören ein, um das kreative Denken ihrer Kollegen anzuregen." Klingt doch eigentlich perfekt – auch für die Männer.
Dieser Beitrag erschien im Fachmagazin "Immobilienwirtschaft", Ausgabe 6/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Immobilienwirtschaft-App.
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