Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Jahressonderzahlung. Dauernde Arbeitsunfähigkeit im Bezugszeitraum

 

Normenkette

BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 24.02.1997; Aktenzeichen 9 Sa 989/96)

ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 16.07.1996; Aktenzeichen 5 Ca 216/96)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer tariflichen Jahressonderzahlung für das Jahr 1995.

Die bei der Beklagten als Schuhfabrikarbeiterin beschäftigte Klägerin ist seit dem 7. November 1994 arbeitsunfähig krank. Ihr letzter Bruttomonatsstundenlohn betrug 17,76 DM. Nach ihrer Aussteuerung durch die Krankenkasse zum 18. April 1996 beantragte die Klägerin beim Arbeitsamt Arbeitslosengeld und stellte einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente. Am 10. April 1996 hatte ihr die Beklagte eine Arbeitsbescheinigung gemäß § 133 AFG erteilt. In dieser ist angegeben, daß das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin wegen der Aussteuerung am 18. April 1996 beendet ist, das Arbeitsverhältnis jedoch fortbesteht. Die Klägerin bezog daraufhin Arbeitslosengeld.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz und damit auch der Tarifvertrag über eine Jahressonderzahlung – 13. Monatseinkommen – für gewerbliche Arbeitnehmer und Auszubildende der Schuhindustrie vom 3. Februar 1992 (im folgenden: TV 13. ME-Schuhindustrie) Anwendung.

Dieser Tarifvertrag lautet – soweit vorliegend von Interesse:

“§ 2

1. Gewerbliche Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am Auszahlungstag in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis bzw. in einem ungekündigten Ausbildungsverhältnis stehen und am 15.11. dem Betrieb ununterbrochen mindestens 1 Jahr angehören, haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 60 % eines Monatseinkommens.

Bei einer Betriebszugehörigkeit am 15.11. von weniger als einem Jahr, mindestens aber 6 Monaten, wird ein Zwölftel der tariflichen Leistung für jeden vollen Kalendermonat der Betriebszugehörigkeit gewährt.

2. Das Monatseinkommen errechnet sich aus dem Durchschnittsstundenlohn der Monate Juli bis Oktober × 169.

3. Der Berechnung der Leistungen sind zugrunde zu legen:

a) für Arbeitnehmer:

der durchschnittliche Stundenverdienst.

Er errechnet sich aus dem Gesamtverdienst des Arbeitnehmers in dem betreffenden Zeitraum einschließlich Zuschläge für Mehrarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit, Nachtarbeit sowie Schichtarbeit, jedoch ohne Auslösung, Krankenlohn, die Urlaubsvergütung und das zusätzliche Urlaubsgeld, die vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers und ähnliche Zahlungen sowie einmalige Zuwendungen geteilt durch die Zahl der bezahlten Stunden, ohne Kranken- und Urlaubsstunden;

5. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistung; ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung gem. Ziff. 1 Abs. 2.

…”

Die Klägerin erhielt für das Jahr 1995 kein 13. Monatseinkommen nach diesem Tarifvertrag.

Sie ist der Auffassung, ein Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung stehe ihr deshalb zu, weil der TV 13. ME-Schuhindustrie bei dauernder Arbeitsunfähigkeit im Bezugszeitraum keinen Ausschluß von der Leistung vorsehe und ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses weder kraft Gesetzes eingetreten noch zwischen den Parteien vereinbart worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.740,02 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 3. Februar 1996 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie ist der Ansicht, der Klägerin stehe ein Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung nicht zu, weil sie krankheitsbedingt im ganzen Jahr 1995 und somit auch nicht im Berechnungszeitraum für die Höhe des 13. Monatseinkommens (Juli bis Oktober 1995) Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis erhalten habe. Außerdem sei das Arbeitsverhältnis faktisch beendet. Zumindest sei von einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum auf Grund einer konkludenten Vereinbarung zwischen den Parteien auszugehen, da die Klägerin beim Arbeitsamt Arbeitslosengeld beantragt habe und sie – die Beklagte – durch die Erteilung einer Arbeitsbescheinigung nach § 133 AFG auf ihr Direktionsrecht gegenüber der Klägerin verzichtet habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und im Urteil die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihr steht für das Jahr 1995 Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung gemäß § 2 des TV 13. ME-Schuhindustrie zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe deshalb keinen Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung, weil sie in den Monaten Juli bis Oktober 1995 wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit keinen Lohn erhalten habe. Gemäß § 2 Ziff. 2 und 3 des TV 13. ME-Schuhindustrie sei aber Voraussetzung für einen Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen, daß der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum tatsächlich einen Arbeitsverdienst erzielt habe.

II. Dem Landesarbeitsgericht kann nicht gefolgt werden.

1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, daß der Anspruch der Klägerin nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil sie im gesamten Kalenderjahr 1995 auf Grund ihrer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitsleistung erbracht hat.

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung (BAGE 71, 78 = AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – AP Nr. 162 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 10. April 1996 – 10 AZR 600/95 – AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bergbau; Urteil vom 25. Februar 1998 – 10 AZR 298/97 – n.v.) davon aus, daß eine tarifliche Regelung über die Gewährung einer Sonderzahlung im einzelnen bestimmen kann, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen und daß über solche Bestimmungen hinaus einer tariflichen Regelung nicht der Rechtssatz entnommen werden kann, Voraussetzung für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung sei auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

Ausgehend von diesen Grundsätzen läßt sich dem TV 13. ME-Schuhindustrie nicht entnehmen, daß eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers Voraussetzung für den Anspruch auf die Jahressonderzahlung ist.

2. Dem Landesarbeitsgericht ist des weiteren darin zu folgen, daß der Anspruch der Klägerin auf ein 13. Monatseinkommen für das Jahr 1995 auch nicht durch § 2 Nr. 5 TV 13. ME-Schuhindustrie ausgeschlossen ist. Nach dieser Tarifnorm erhalten Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, keine Leistung.

a) Die seit dem 7. November 1994 fortlaufend bestehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin führt für sich alleine nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Davon geht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung aus (BAGE 66, 34 = AP Nr. 93 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie und zuletzt: BAG Urteil vom 25. Februar 1998, aaO).

b) Die Parteien haben auch ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses im Jahre 1995 weder ausdrücklich noch konkludent vereinbart.

Die vom Senat in mehreren Verfahren entschiedene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beantragung von Arbeitslosengeld nach § 105a AFG durch einen Arbeitnehmer, der fortlaufend arbeitsunfähig erkrankt ist, verbunden mit einem Antrag auf Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente und der Erteilung einer Arbeitsbescheinigung gemäß § 133 AFG durch den Arbeitgeber zu einer konkludenten Vereinbarung über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt oder aus anderen Gründen einen Gratifikationsanspruch ausschließt (vgl. BAG Urteile vom 9. August 1995 – 10 AZR 485/94 – n.v.; vom 9. August 1995 – 10 AZR 539/94 – BAGE 80, 308 = AP Nr. 181 zu § 611 BGB Gratifikation; vom 10. April 1996, aaO; vom 12. November 1997 – 10 AZR 74/97 – n.v.; vom 11. Februar 1998 – 10 AZR 264/97 – n.v.; vom 25. Februar 1998, aaO), ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht von Bedeutung.

Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt hat, kann die Beantragung von Arbeitslosengeld und Erwerbsunfähigkeitsrente durch die Klägerin sowie die Erteilung einer Arbeitsbescheinigung durch die Beklagte im Jahre 1996 keine rechtlichen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis für das Jahr 1995 entfalten. Insbesondere ist dies nicht als konkludente Ruhensvereinbarung bezüglich des Arbeitsverhältnisses für das Jahr 1995 zu werten. Dafür, daß die Arbeitsvertragsparteien durch ihre Erklärungen im Jahre 1996 rückwirkend das Ruhen des Arbeitsverhältnisses für das Jahr 1995 vereinbaren wollten, sind – wie auch das Landesarbeitsgericht erkannt hat – Anhaltspunkte nicht gegeben.

3. Dem Landesarbeitsgericht kann aber nicht darin gefolgt werden, daß der Anspruch der Klägerin auf eine Jahressonderzahlung für 1995 nach § 2 Nr. 2 und 3 TV 13. ME-Schuhindustrie deshalb ausgeschlossen ist, weil sie im Zeitraum Juli bis Oktober 1995 wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit keine Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis erhalten hat.

Nach § 2 Nr. 2 TV 13. ME-Schuhindustrie errechnet sich die Jahressonderzahlung aus dem Durchschnitttsstundenlohn der Monate Juli bis Oktober × 169. Soweit in § 2 Nr. 3a TV 13. ME-Schuhindustrie Bestimmungen für die Berechnung des durchschnittlichen Stundenverdienstes enthalten sind, wird damit nur geregelt, welche Leistungen dieser Berechnung zugrunde zu legen sind und welche nicht. Sind solche berücksichtigungsfähigen Leistungen, wie Zuschläge für Mehrarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit sowie Nacht- und Schichtarbeit in den Monaten Juli bis Oktober nicht angefallen, entspricht der durchschnittliche Stundenverdienst dem maßgebenden Stundenverdienst des Arbeitnehmers, der dann mit 169 zu multiplizieren ist. Den Regelungen in § 2 Nr. 2 und 3 TV 13. ME-Schuhindustrie kann nicht entnommen werden, Voraussetzung für einen Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung sei zusätzlich, daß in den Monaten Juli bis Oktober überhaupt Arbeitsentgelt abgerechnet worden ist, das der Berechnung eines durchschnittlichen Stundenlohnes zugrunde gelegt werden könnte (BAGE 71, 78 = AP, aaO und Urteil vom 25. Februar 1998, aaO). Diese Auslegung ergibt sich auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, der neben dem Tarifwortlaut für die Tarifauslegung maßgebend ist. Die Tarifvertragsparteien haben nämlich in § 2 Nr. 3 TV 13. ME-Schuhindustrie den Einfluß von Krankheitszeiten auf die Berechnung der Sonderzahlung durchaus berücksichtigt. Danach sind weder die Krankenlohnsumme noch die Krankenstunden in die Berechnung mit einzubeziehen. Wenn darüber hinaus Krankheitszeiten ohne Lohnfortzahlung zu einer Minderung oder zum Ausschluß des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung hätten führen sollen, hätte dies in § 2 TV 13. ME-Schuhindustrie zum Ausdruck gebracht werden müssen (vgl. auch BAG Urteil vom 11. Oktober 1995 – 10 AZR 985/94 – AP Nr. 133 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie). Wäre die Regelung anders zu verstehen, dann hätte ein Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 Abs. 1 TV 13. ME-Schuhindustrie erfüllt und der in den Monaten Januar bis Juni voll gearbeitet hat, keinen Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung, wenn er – gleich aus welchen Gründen – in den Monaten Juli bis Oktober mangels einer tatsächlichen Arbeitsleistung kein nach § 2 Nr. 3a TV 13. ME-Schuhindustrie berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt erhalten hätte (BAGE 71, 78 = AP, aaO). Eine solche Auslegung des § 3 TV 13. ME-Schuhindustrie widerspräche einer zu vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und brauchbaren Ergebnissen führenden Tarifauslegung (vgl. BAG Urteil vom 11. Oktober 1995, aaO).

Kommt es damit nicht darauf an, ob die Beklagte in den Monaten Juli bis Oktober 1995 für die Klägerin keine Verdienstabrechnungen erstellt hat, muß § 2 Nr. 2 des TV 13. ME-Schuhindustrie so verstanden werden, daß dann, wenn in den Monaten Juli bis Oktober kein Lohn abgerechnet worden ist, zur Ermittlung des 13. Monatseinkommens als Durchschnittslohn im Sinne des § 2 Nr. 2 des TV 13. ME-Schuhindustrie der Bruttolohn – ohne Zuschläge – zugrunde zu legen ist, den der Arbeitnehmer für jede geleistete Arbeitsstunde im Zeitraum Juli bis Oktober des jeweiligen Kalenderjahres erzielt hätte.

Den nach § 2 Nr. 2 des TV 13. ME-Schuhindustrie für die Durchschnittsberechnung maßgeblichen Stundenverdienst hat die Klägerin – von der Beklagten nicht bestritten – mit 17,76 DM brutto angegeben. Demnach hat sie für 1995 Anspruch auf die der Höhe nach unstreitige Jahressonderzahlung in Höhe von 1.740,02 DM brutto.

Auf die Revision der Klägerin war daher das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Freitag, Hauck, Böck, Schaeff, Schlaefke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1766793

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