Entscheidungsstichwort (Thema)
Kurzstreik, unverhältnismäßige Aussperrung und Treueprämie
Leitsatz (redaktionell)
1. Arbeitgeber können im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch Kurzstreiks mit Abwehraussperrungen beantworten. Diese Möglichkeit hat auch der keinem Arbeitgeberverband angehörende Arbeitgeber.
2. Eine Aussperrung von zwei Tagen, mit der auf einen für eine halbe Stunde ausgerufenen Streik reagiert wird, verletzt das Übermaßverbot.
3. Eine Treueprämie, die nach Beendigung des Arbeitskampfs Arbeitnehmern allein dafür zugesagt wird, daß sie sich nicht am Streik beteiligt haben, verstößt gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; BGB § 612a; TVG § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 05.12.1991; Aktenzeichen 10 Sa 331/91) |
ArbG Rosenheim (Entscheidung vom 04.12.1990; Aktenzeichen 4 Ca 423/90 Mü) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs nach § 615 BGB für die Tage vom 2. und 3. November 1989, an denen sie ausgesperrt war, Arbeitsentgelt zu beanspruchen hat und eine Treueprämie, die an diejenigen Arbeitnehmer gezahlt worden ist, die nicht von der Aussperrung betroffen waren.
Der Beklagte betreibt in G eine Schulterpolsterfabrik. In dem Hauptbetrieb sind etwa 250 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Beklagte gehörte bis zum 1. April 1990 keinem Arbeitgeberverband an. Die Klägerin ist im Betrieb des Beklagten als Arbeiterin zu einem Stundenlohn von 11,90 DM brutto beschäftigt. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft Textil-Bekleidung. Dieser Gewerkschaft gehörten zum damaligen Zeitpunkt 79 der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer an. Seit dem Jahre 1988 bemühte sich die Gewerkschaft Textil-Bekleidung um den Abschluß von Firmentarifverträgen, mit denen im wesentlichen die im Bereich der Südbayerischen Textilindustrie abgeschlossenen Tarifverträge übernommen werden sollten (Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten, Lohn- und Gehaltstarifverträge, Urlaubsabkommen, Tarifvertrag über Jahressonderzahlungen, Tarifvertrag über vermögenswirksame Leistungen, Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer). Es fanden am 26. März 1989 und 22. August 1989 Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft Textil-Bekleidung und dem Beklagten statt, blieben aber ohne Ergebnis. Daraufhin rief die Gewerkschaft Textil-Bekleidung durch ihre Bezirksleitung Südbayern die Arbeitnehmer des Hauptbetriebes am 2. November 1989 zu einem halbstündigen Streik auf. Vor Beginn der Arbeit um 7.00 Uhr wurden vor dem Werkstor Flugblätter verteilt. Darin wurden die Arbeiter aufgefordert, die Arbeit eine halbe Stunde später als zum regulären Arbeitsbeginn aufzunehmen. An dem Streik haben sich etwa 100 Arbeitnehmer des Hauptbetriebes, darunter alle Mitglieder der Gewerkschaft, beteiligt. Der Beklagte ließ daraufhin gegen 7.10 Uhr den streikenden Arbeitnehmern mitteilen, daß diese für den restlichen Tag und den folgenden Tag ausgesperrt seien. Die Arbeitszeit hätte am Donnerstag, dem 2. November 1989, nach Ende des Warnstreiks noch 8,5 Stunden und am Freitag, dem 3. November 1989, 4,75 Stunden betragen. Ob - wie die Klägerin behauptet - am 2. November 1989 schon um 6.00 Uhr 30 Arbeitnehmer, die eine Überstunde leisten sollten, streikten, ist nicht aufgeklärt worden. Am Montag, dem 6. November 1989, haben alle Arbeitnehmer des Hauptbetriebs die Arbeit wieder aufgenommen. Weitere Kampfmaßnahmen hat es nicht gegeben.
Mit Aushang vom 6. Dezember 1989 hat der Beklagte sich wie folgt an die Arbeitnehmer seines Betriebes gewandt:
"Treueprämie
Alle Arbeitnehmer, die an den Streiktagen vom
2.11.- 3.11.89 nicht beteiligt waren und somit
gearbeitet haben, erhalten als Dank für ihre
Treue zum Betrieb pro Tag eine Treueprämie von
DM 40,--. Wer an beiden Tagen gearbeitet hat, er-
hält somit insgesamt
DM 80,--.
Nachdem mit dem Novemberlohn die Weihnachtsgrati-
fikation zur Auszahlung kommt, wird die Treueprä-
mie mit dem Dezemberlohn verrechnet."
Am 21. März 1990 hat der Beklagte mit der Gewerkschaft Textil-Bekleidung einen Firmentarifvertrag geschlossen. In diesem Tarifvertrag ist ein Maßregelungsverbot nicht enthalten. Seit dem 1. April 1990 ist der Beklagte Mitglied des Vereins der Südbayerischen Textilindustrie e.V.
Mit ihrer am 5. April 1990 eingereichten Klage beansprucht die Klägerin Arbeitsentgelt für 13,25 infolge Aussperrung ausgefallene Arbeitsstunden in Höhe von insgesamt 157,58 DM brutto. Außerdem verlangt sie die Zahlung der Treueprämie in Höhe von 80,-- DM für zwei "Streiktage", die sie als Streikteilnehmerin nicht erhalten hat. Diese Zahlungen hatte die Klägerin zuvor erfolglos dem Beklagten gegenüber geltend gemacht.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, der Beklagte sei zur Lohnzahlung aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs verpflichtet. Die Aussperrung sei als Angriffsaussperrung rechtswidrig, dazu aber auch unverhältnismäßig. Die Verhandlungsparität sei durch den halbstündigen Warnstreik nicht gestört worden, Wettbewerbsverzerrungen oder Angriffe auf die Verbandssolidarität seien nicht zu besorgen gewesen. Die Vorenthaltung der Treueprämie stelle sich als unzulässige Maßregelung dar. Wegen ihrer rechtmäßigen Teilnahme am Warnstreik dürfe sie nicht bestraft werden.
Die Klägerin hat erstinstanzlich den Antrag gestellt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 237,68 DM
brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus er-
gebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zah-
len.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, ein Lohnzahlungsanspruch der Klägerin bestehe nicht, da während der Aussperrung die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert gewesen seien. Es habe sich um eine rechtmäßige Abwehraussperrung gehandelt, nachdem die Gewerkschaft durch ihren Warnstreikaufruf den Arbeitskampf eröffnet habe. Die Abwehraussperrung sei auch verhältnismäßig. Der zeitliche Umfang sei erforderlich gewesen, um der Gewerkschaft und den streikenden Arbeitnehmern seine Entschlossenheit zu demonstrieren. Es sei zu berücksichtigen, daß er als kleiner mittelständischer, nicht organisierter Unternehmer einer bundesweit organisierten Gewerkschaft mit etwa 500.000 Mitgliedern und einer gut gefüllten Streikkasse gegenübergestanden habe. Durch Warnstreiks, die die Gewerkschaft nichts kosteten und bei denen der Lohnausfall für die Arbeitnehmer nicht spürbar sei, werde die Betriebstätigkeit ganz erheblich tangiert. Die Gewerkschaft könne ohne größeres Risiko den Betrieb bis zur Betriebsaufgabe bestreiken. Es habe daher von Anfang an ein deutlich spürbares Signal gesetzt werden müssen.
Die Treueprämie könne die Klägerin nicht beanspruchen. Ein tarifliches Maßregelungsverbot sei nicht vereinbart worden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt. Es sei zulässig, wenn zwischen arbeitenden und streikenden Arbeitnehmern unterschieden werde. Die Zahlung habe den Zweck gehabt, die mit der Arbeit an den Streiktagen verbundenen Belastungen für die Arbeitnehmer auszugleichen.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 4. Dezember 1990 den Beklagten zur Zahlung von 113,05 DM brutto nebst Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, die Aussperrung habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, soweit die streikenden Arbeitnehmer auch nach der Mittagspause des 2. November 1989 und noch am folgenden Tage von der Arbeit ferngehalten worden seien. Daher habe sich der Beklagte seit der Mittagspause in Annahmeverzug befunden, so daß die Klägerin für insgesamt 9,5 Stunden Arbeitsentgelt beanspruchen könne. Einen Anspruch auf Zahlung der Treueprämie habe sie nicht. Eine Differenzierung nach der Streikbeteiligung und Arbeitsleistung an den "Streiktagen" sei sachgerecht.
Mit der zugelassenen Berufung hat die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern,
soweit es der Klage nicht stattgegeben hat;
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin
weitere 164,63 DM brutto, also insgesamt
237,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich
hieraus ergebenden Nettobetrag seit 5. Mai
1990 zu zahlen und die Berufung des Beklagten
zurückzuweisen.
Der Beklagte hat beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern, soweit
es der Klage stattgegeben hat, die Klage abzuwei-
sen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufungen der Klägerin und des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 80,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 5. Mai 1990 zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts, soweit dieses die Klage abgewiesen hat, das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern, soweit es die Klage abgewiesen hat und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 157,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 5. Mai 1990 zu zahlen und die Anschlußrevision zurückzuweisen. Der Beklagte begehrt mit der Anschlußrevision die völlige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet, die des Beklagten nicht. Dementsprechend war der Beklagte zur Zahlung weiterer 157,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag zu verurteilen.
A. Die Revision der Klägerin ist begründet. I.1. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Zahlung des Lohns für den 2. und 3. November 1989 ist § 615 BGB, wonach der Arbeitgeber, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt, dem Arbeitnehmer für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung zu zahlen hat, ohne daß der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet wäre.
Der Arbeitgeber ist in Annahmeverzug geraten, weil es sich bei der Aussperrung um eine rechtswidrige Kampfmaßnahme gehandelt hat, so daß die gegenseitigen Pflichten und Rechte aus dem Arbeitsverhältnis nicht suspendiert worden sind, wie dies bei einer rechtmäßigen Kampfmaßnahme der Fall wäre (BAG Urteil vom 10. Juni 1980, BAGE 33, 140 = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG Urteil vom 7. Juni 1988, BAGE 58, 332 = AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
2. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat im Beschluß vom 21. April 1971 (BAGE 23, 292 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) ausgeführt, nicht nur gewerkschaftliche Streiks, sondern auch Aussperrungen seien im Rahmen des Gebots der Verhältnismäßigkeit zulässig. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 10. Juni 1980 (aaO) und im Urteil vom 26. April 1988 (BAGE 58, 138 = AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) die grundsätzliche Zulässigkeit der suspendierenden Abwehraussperrung dem geltenden Tarifrecht entnommen, mit der die sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergebende Tarifautonomie konkretisiert wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 26. Juni 1991 (- 1 BvR 779/85 - AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf), mit dem es die Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil vom 12. März 1985 (BAGE 48, 195 = AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) zurückwies, die Zulässigkeit von Aussperrungen, mit denen zur Herstellung der Verhandlungsparität Teil- oder Schwerpunktstreiks beantwortet werden, mit der Begründung bestätigt, derartige Aussperrungen seien nicht generell geeignet, die durch die Anerkennung des Streikrechts angestrebte Herstellung von Verhandlungsparität wieder zu Lasten der Arbeitnehmer zu beeinträchtigen. Insoweit ist die Aussperrung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Arbeitgeberverband und dessen Mitglieder unmittelbar durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Das Bundesverfassungsgericht hat zugleich die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt, daß Abwehraussperrungen nur als eine durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzte Maßnahme zulässig seien. Das Bundesverfassungsgericht hat sich die Meinung des Senats zu eigen gemacht, die Arbeitnehmerseite sei zur Herstellung einer gleichgewichtigen Verhandlungsposition auf Arbeitskampfmaßnahmen oder deren Androhung angewiesen. Dadurch, daß das Bundesarbeitsgericht erst der Eskalation eines Arbeitskampfes durch übermäßige Abwehrmaßnahmen entgegenwirke, wahre es die Tarifautonomie. Bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, die schon bei den Kampfmitteln ansetzte, wäre eine gerichtliche Kontrolle der Tarifziele kaum zu vermeiden. Das widerspräche aber dem Grundgedanken der Tarifautonomie.
3.a) Vorliegend war die Aussperrung durch einen Arbeitgeber zu beurteilen, der zur Zeit der Aussperrung keinem Arbeitgeberverband angehörte.
Das Bundesverfassungsgericht hat in der angeführten Entscheidung vom 26. Juni 1991 entschieden, das Recht des Außenseiter-Arbeitgebers, sich einer Verbandsaussperrung anzuschließen, sei durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Zur Begründung hat es sich mit dem Hinweis begnügt, in dem "Kampfbündnis" des Außenseiters mit dem Verband liege die Bildung einer Koalition (zur Kritik an dem Begründungsdefizit vgl. Konzen, SAE 1991, 335, 341 f.).
b) Beantwortet der Außenseiter-Arbeitgeber den Streik, den eine Gewerkschaft zur Herbeiführung eines Firmentarifvertrages ausgerufen hat, mit einer Aussperrung, kann die Befugnis jedenfalls über ein "Kampfbündnis" nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG hergeleitet werden. Gerade der Außenseiter-Arbeitgeber, der in einem Konflikt um einen Firmentarifvertrag einer Gewerkschaft allein gegenübersteht, muß aber die Möglichkeit haben, auf einen Streik mit einer Aussperrung zu antworten, wenn der Gewerkschaft das Recht zugestanden wird, auch zur Erzwingung eines Firmentarifvertrages zum Streik aufzurufen. Dieses Recht der Gewerkschaft ergibt sich für einen tarifbezogenen Streik aus Art. 9 Abs. 3 GG. Hiervon geht das Bundesarbeitsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung aus (BAG Urteil vom 5. März 1985, BAGE 48, 160, 171 = AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 4 der Gründe), ebenso die ganz herrschende Meinung in der Literatur (vgl. statt vieler Löwisch/ Rieble, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht, 1989, Rz 45; Brox/ Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl. 1982, Rz 91; Konzen, SAE 1991, 335, 342; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 9 Rz 192). Die Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG im Bereich der Tarifautonomie dienen aber ausschließlich der Herstellung der Verhandlungsparität. Diese bildet auch den Maßstab für die Beurteilung von Arbeitskämpfen zwischen Gewerkschaft und Außenseiter-Arbeitgeber um den Abschluß eines Firmentarifvertrages. Aus dem Gebot der Verhandlungs- und Kampfparität folgt, daß der Außenseiter-Arbeitgeber grundsätzlich das Recht hat, einen Streik der Gewerkschaft zur Erzwingung eines Firmentarifvertrages mit einer Abwehraussperrung zu beantworten. Ob dieses Recht unmittelbar Art. 9 Abs. 3 GG entnommen werden kann (so Konzen, aaO; Löwisch/ Rieble, aaO; wohl auch Brox/Rüthers, aaO; zweifelnd Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 40 III 1 b und § 40 II 4), muß vorliegend nicht entschieden werden. Jedenfalls ergibt sich dieses Recht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nach wie vor aus dem geltenden Tarifrecht und wird bestätigt durch die einzelnen Vorschriften des Bundesrechts, in denen die Zulässigkeit der Aussperrung vorausgesetzt wird (BAG Urteil vom 26. April 1988, BAGE 58, 138, 149 = AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu B II 2 c ee der Gründe).
c) Grundsätzlich kann der Arbeitgeber auch kurze Streiks, die von Arbeitnehmerseite als Warnstreiks bezeichnet werden, mit einer Aussperrung beantworten. Die Behauptung der Klägerin, nach der Rechtsprechung seien Aussperrungen nur zulässig, soweit sie sich gegen unbefristete Erzwingungsstreiks richteten, nicht aber gegen sog. Warnstreiks, ist unrichtig.
Der Senat hat im Urteil vom 21. Juni 1988 (BAGE 58, 364 = AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) die Privilegierung des sog. Warnstreiks aufgegeben und ist davon ausgegangen, daß mit dem Aufruf zu einem sog. Warnstreik die Gewerkschaft die Verhandlungen für gescheitert erklärt und auch der kurzfristige Streik ein Erzwingungsstreik ist, der von Arbeitgeberseite mit Abwehrmaßnahmen beantwortet werden kann. Zu diesen Abwehrmaßnahmen gehört auch die Abwehraussperrung (Konzen, Anm. zu EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 75 und Weller, AuR 1989, 325, 330).
d) Abwehraussperrungen gegen solche Kurzstreiks müssen sich aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit halten.
Die Legitimation der Abwehraussperrung besteht darin, ein Verhandlungsübergewicht der Gewerkschaft zu verhindern. Als geeignet, erforderlich und proportional können nur solche Abwehraussperrungen gelten, die der Herstellung der Verhandlungsparität dienen (BAGE 33, 140 = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Insofern folgt die Beurteilung von Arbeitskämpfen einer abstrakt-materiellen Betrachtungsweise. Es werden nur Kriterien berücksichtigt, die einer typisierenden Betrachtung zugänglich sind, nicht dagegen situationsbedingte Vor- oder Nachteile, auch wenn diese sich im konkreten Arbeitskampf auswirken mögen (Senatsurteil vom 10. Juni 1980, aaO, mit zahlreichen Nachweisen aus der Literatur). Das Landesarbeitsgericht hat den Begriff der Kampfparität verkannt, indem es bei seiner Beurteilung der Aussperrung nicht von der abstrakt-materiellen Betrachtungsweise ausgegangen ist, sondern von einer Globalparität, bei der jeder Faktor, der im konkreten Fall für das Übergewicht der einen oder anderen Seite sprechen könnte, Berücksichtigung findet.
Das Landesarbeitsgericht hat vor allem nicht die Frage beantwortet, ob mit der Aussperrung durch den Beklagten ein erforderlicher Gegendruck als Antwort auf die Kampfmaßnahme der Gewerkschaft ausgeübt worden ist, sondern hat die Zulässigkeit der Aussperrung an den Möglichkeiten gemessen, die eine bundesweit organisierte Gewerkschaft hat.
e) Bei einer typisierenden Betrachtungsweise war auch davon auszugehen, daß eine Gewerkschaft einem einzelnen mittelständischen Arbeitgeber gegenüber dann ein Übergewicht hat, wenn - wie vorliegend - ein erheblicher Organisationsgrad besteht. Dennoch war die Aussperrung vom 2./3. November 1989 unverhältnismäßig. Die Beantwortung des halbstündigen Streiks vor Arbeitsbeginn mit einer zweitägigen Aussperrung verstieß gegen das Übermaßverbot.
Die Gewerkschaft hat, um ihren Forderungen Nachdruck zu verschaffen, die Arbeitnehmer dazu aufgerufen, die Arbeit eine halbe Stunde später aufzunehmen. Der Streik war nach Aufruf und Ausführung auf so kurze Zeit angelegt, daß er nicht geeignet war, die Beklagte erheblich zu schädigen, vielmehr war der Druck mehr symbolischer Art.
Dementsprechend wird in dem Professorenentwurf für ein Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte (Birk/Konzen/Lö wisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, 1988, § 23) vorgeschlagen, daß während laufender Tarifverhandlungen zum Zwecke der Demonstration der Kampfbereitschaft ein Streik von einer Stunde Dauer zulässig sei, ohne daß die Arbeitgeberseite hierauf mit einer Abwehraussperrung reagieren könne. Der Senat ist einen anderen Weg gegangen: Er hält Kampfmaßnahmen auch gegen Kurzstreiks für zulässig. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit solcher Abwehrmaßnahmen ist aber zu prüfen, ob diese in ihrem Ausmaß tatsächlich erforderlich gewesen sind, um eine Verhandlungsparität herzustellen.
Vorliegend ist nicht erkennbar, weshalb eine Abwehraussperrung von zwei Tagen gegenüber einem halbstündigen Streik (Verhältnis 1 : 26) zur Herstellung der Verhandlungsparität erforderlich sein könnte. Richtig ist das Argument des Beklagten, daß eine Aussperrung von der Dauer des Streiks von den Arbeitnehmern mehr als Freizeitspektakel aufgefaßt worden wäre und deshalb nicht in Frage kam. Die Dauer der Aussperrung durfte deshalb die des Streiks um einiges überschreiten. So hat das Arbeitsgericht entschieden, die Aussperrung wäre zulässig gewesen, wenn sie bis zur Mittagszeit limitiert gewesen wäre. Mit einer solchen Reaktion hätte der Arbeitgeber das gleiche Ergebnis erreicht wie die Gewerkschaft mit dem Kurzstreik. Ebenso wie die Gewerkschaft dem Arbeitgeber deutlich gemacht hatte, sie sei bereit, für ihre Forderungen auch Druck auszuüben, hätte der Arbeitgeber gezeigt, er sei bereit, den Kampf aufzunehmen und die Gewerkschaft wie die Arbeitnehmer müßten bei weiteren Kampfmaßnahmen damit rechnen, daß auch er willens und in der Lage sei, zu härteren Abwehrmaßnahmen zu greifen. Die Demonstration, er sei bereit, den erforderlichen Gegendruck auszuüben, hätte er beispielsweise mit einer halbtägigen Abwehraussperrung erreicht. Die Aussperrung von zwei Tagen Dauer war zur Herstellung des Verhandlungsgleichgewichts nicht erforderlich und deshalb übermäßig. Verstößt die Abwehraussperrung aber gegen den Grundsatz des Übermaßverbotes, hat sie die Arbeitsverhältnisse der davon betroffenen Arbeitnehmer nicht suspendiert, so daß diese ihren Anspruch auf Lohn unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs behielten. Dementsprechend war dieser Teil der Klage begründet.
II. Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Zahlung der sog. Treueprämie von je 40,-- DM für den 2. und 3. November 1989.
Nach § 612 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.
Bei der Gewährung der "Treueprämie" für Arbeitnehmer, die sich nicht am Kurzstreik von einer halben Stunde beteiligt haben und von der Aussperrung nicht betroffen waren, sondern an den beiden Arbeitskampftagen arbeiten durften, handelt es sich um eine freiwillige Leistung, zu der die Beklagte aus Rechtsgründen nicht verpflichtet war. Bei solchen freiwilligen Leistungen gebietet es der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, die Leistungsvoraussetzungen so abzugrenzen, daß Arbeitnehmer des Betriebes nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden. Auf der anderen Seite bleibt es dem Arbeitgeber unbenommen, den Personenkreis, dem er zusätzliche Leistungen gewährt, von den anderen abzugrenzen, wenn die Gruppenbildung nicht willkürlich, sondern sachlich gerechtfertigt und rechtlich zulässig ist (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. Senatsurteil vom 4. August 1987, BAGE 56, 6 = AP Nr. 88 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Die Beklagte hat nach dem Aushang über die "Treueprämie" und nach ihrem Vortrag im Prozeß die Prämie von 40,-- DM pro Tag an die Arbeitnehmer gezahlt, die nicht am Streik teilgenommen haben und nicht ausgesperrt wurden. Die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern, die sich am Streik beteiligt haben und solchen, die sich nicht am Streik beteiligt haben bzw. zwischen solchen, die ausgesperrt und solchen, die nicht ausgesperrt wurden, läßt sich vorliegend nicht sachlich rechtfertigen.
Eine Rechtfertigung der Differenzierung nach der Teilnahme am Arbeitskampf unter arbeitskampfrechtlichen Gesichtspunkten scheidet aus. In der Literatur ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß es dem Arbeitgeber überlassen bleiben müsse, wie er auf einen Streik reagiere, ob er mit einer "Streikbruchprämie" die Arbeitnehmer versuche, von der Teilnahme am Streik abzuhalten oder ob er zum härteren Mittel der Abwehraussperrung greife (vgl. insoweit Löwisch/Rumler, AR-Blattei, Arbeitskampf II Streik, Anm. zu Entsch. 29, 30; Konzen, SAE 1989, 22, 23; von Hoyningen-Huene, DB 1989, 1466, 1469; Belling, NZA 1990, 214, 219; vgl. auch Hunold, DB 1991, 1670, 1677; a.A.: Staudinger/ Richardi, BGB, 12. Aufl., Vorbem. zu §§ 611 ff. Rz 1279 und § 612 a Rz 9 und 14 sowie MünchKomm-Schaub, 2. Aufl., § 612 a BGB Rz 9, die die Auffassung vertreten, die Differenzierung bei der Gewährung einer Sondervergütung nach der Streikbeteiligung bedeute regelmäßig einen Verstoß gegen § 612 a BGB). Der Beklagte hatte aber erst nach dem Ende des Arbeitskampfes den nicht ausgesperrten Arbeitnehmern eine Prämie zugesagt und nach seinem eigenen Vortrag war Zweck der Prämie, die Arbeitnehmer, die am 2. und 3. November 1989 gearbeitet hatten, wegen der erwiesenen Treue bzw. erschwerten Bedingungen zu entschädigen. Die Prämie sollte also gerade keine Arbeitskampfmaßnahme sein.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Beklagte habe nach Beendigung des Arbeitskampfes die Arbeitnehmer, die am Streik teilgenommen haben und von ihm ausgesperrt worden sind, deshalb von der Zahlung der Prämie ausgenommen, weil sie von ihrem Streikrecht Gebrauch gemacht haben. Die Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß ihr eine Prämie nur deshalb nicht gezahlt worden ist, weil sie an dem Streik teilgenommen hat. Dabei kommt ihr die Beweiserleichterung durch den Anscheinsbeweis zugute (MünchKomm-Schaub, 2. Aufl., § 612 a BGB Rz 11; Knigge, BB 1980, 1272, 1276; Schleicher, AR-Blattei, Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis II, unter D VIII 3 und im Ansatz auch BAG Urteil vom 2. April 1987, BAGE 55, 190 = AP Nr. 1 zu § 612 a BGB). Der Anscheinsbeweis kommt den Arbeitnehmern insbesondere dann zugute, wenn ein zeitlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme bzw. Vereinbarung und Ausübung eines Rechts besteht. Das ist vorliegend der Fall: Die Beklagte hat unmittelbar nach Beendigung des Arbeitskampfes den Arbeitnehmern, die nicht am Streik teilgenommen haben und von ihr nicht ausgesperrt wurden, eine Prämie versprochen. Ein anderer Beweggrund für die Differenzierung nach der Streikteilnahme bzw. Betroffenheit von der Aussperrung ist nicht erkennbar.
Der Beklagte hat zwar auch vorgetragen, die "Treueprämie" werde für besondere Erschwerungen und Belastungen während der Aussperrung gezahlt. Das Landesarbeitsgericht hat aber festgestellt, und dies entspricht dem Inhalt der Vorakten, daß die Beklagte auch nicht ansatzweise irgend etwas dafür vorgetragen habe, worin eine zusätzliche physische oder psychische Belastung der Arbeitnehmer bestehen solle, die am 2. und 3. November 1989 gearbeitet haben. Weder sei erkennbar, daß die Arbeitnehmer einem besonderen Druck durch die Streikenden bzw. von der Aussperrung betroffenen Arbeitskollegen ausgesetzt waren, noch seien Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die arbeitenden Arbeitnehmer unter besonderen Belastungen am Arbeitsplatz ihre Arbeit erbringen mußten. Die Beklagte hat Verfahrensrügen gegen diese Feststellungen nicht erhoben. Der Senat ist deshalb insoweit nach § 561 Abs. 2 ZPO gebunden. Die mit jeder Streikarbeit verbundene Belastung gibt einen sachlichen Grund für eine Differenzierung nicht ab, vielmehr müssen darüber hinaus besondere Erschwerungen hinzukommen. Das hat der Senat gerade erst in der Entscheidung vom 28. Juli 1992 (- 1 AZR 87/92 -) entschieden.
Scheiden also andere Gründe für die Differenzierung nach der Beteiligung am Kurzstreik bzw. der Betroffenheit von der Aussperrung aus, so hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, daß als wesentliches Motiv des Beklagten für den Ausschluß der Klägerin von der freiwilligen Leistung nur deren Maßregelung für ihre Teilnahme am Streik übrig bleibt. Die Benachteiligung der Arbeitnehmer wegen ihrer Teilnahme am Streik im Sinne von § 612 a BGB ist im vorliegenden Falle in besonderem Maße rechtlich zu mißbilligen, weil die Beklagte auf den Kurzstreik bereits mit einer unverhältnismäßig langen Abwehraussperrung reagiert hat. Der Beklagte hat die Arbeitnehmer, die zunächst von ihrem Streikrecht Gebrauch gemacht hatten und anschließend aufgrund des Aussperrungsbeschlusses des Beklagten nicht arbeiten konnten, dadurch gemaßregelt, daß er sie von der Zahlung der Prämie ausschloß, die die anderen Arbeitnehmer, die nicht von der Aussperrung betroffen waren, dafür erhielten, daß sie ihre vertragsgemäße Arbeit erledigten.
Eine Beseitigung der in der Vorenthaltung der Treueprämie liegenden Maßregelung kann nur dadurch erreicht werden, daß die Zuwendung auch den ausgesperrten Arbeitnehmern gewährt wird, weil die Rückzahlung von den arbeitenden Arbeitnehmern weitgehend rechtlich, zumindest aber tatsächlich nicht in Betracht kommt (Senatsurteil vom 4. August 1987, BAGE 46, 6 = AP Nr. 88 zu Art. 9 GG Arbeitskampf und Urteile des BAG vom 5. März 1980, BAGE 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung sowie vom 13. November 1985, BAGE 50, 137 = AP Nr. 136 zu Art. 3 GG).
Dementsprechend hat das Landesarbeitsgericht zu Recht der Klägerin die Prämie zugesprochen.
B. Die Revision des Beklagten ist aus den Gründen zurückzuweisen, die nach den Ausführungen zu A II zur Bestätigung des LAG-Urteils hinsichtlich der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch der Treueprämie führen.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 bzw. 97 ZPO.
Dr. Kissel Dr. Weller Dr. Rost
Rösch Hilgenberg
Fundstellen
BAGE 71, 92-104 (LT1-3) |
BAGE, 92 |
DB 1993, 234-236 (LT1-3) |
DStR 1992, 1446-1446 (T) |
DStR 1993, 408-408 (T) |
NJW 1993, 218 |
EBE/BAG 1992, 175-179 (LT1-3) |
AiB 1993, 244-245 (ST1-3) |
EWiR 1993, 51 (L) |
NZA 1993, 39 |
NZA 1993, 39-42 (LT1-3) |
RdA 1992, 407 |
SAE 1993, 57-61 (LT1-3) |
WiR 1992, 428 (S) |
ZAP, EN-Nr 35/93 (S) |
AP, Arbeitskampf (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 170.3 Nr 16 (LT1-3) |
AuA 1993, 285-286 (LT1-3) |
EzA, Arbeitskampf Nr 105 (LT1-3) |
JuS 1993, 429 |
JuS 1993, 429 (L) |
MDR 1993, 151 (LT1-3) |