Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst nimmt zu
Befragt wurden Beschäftigte aus Bereichen, in denen es relativ viel Kontakt mit Bürgern gibt, nicht mit einbezogen war die Polizei.
Fast ein Viertel der Beschäftigten bei der Arbeit von Gewalt betroffen
Durchschnittlich 23 Prozent der Befragten gaben an, bereits entsprechende Erfahrungen gemacht zu haben. Männer waren demnach etwas häufiger von verbaler oder körpericher Gewalt betroffen als Frauen. Bei Feuerwehr und Rettungskräften, im Veterinäramt, im Ordnungsamt und im Justizvollzug haben den Angaben zufolge ein Drittel oder mehr Beschäftigte innerhalb eines Jahres Gewalt, Bedrohung oder Beleidigungen erlebt. In den Hochschulen, der Sozial- und Arbeitsverwaltung und der Justiz machten laut Untersuchung unter zehn Prozent der Beschäftigten solche negativen Erfahrungen.
Nur 30 Prozent der Vorfälle gemeldet
Lediglich rund 30 Prozent der erlebten gewalttätigen Übergriffe wurden an Vorgesetzte oder andere Stellen gemeldet - «die Dunkelziffer lag also bei 70 Prozent», heißt es in einer Zusammenfassung der Untersuchung. Viele Beschäftigte gaben an, sie hätten den bürokratischen Aufwand gescheut. 56 Prozent der Betroffenen erklärten, sie hätten den Vorfall nicht gemeldet, weil sie dadurch keine Änderung der Situation erwarteten. Elf Prozent gaben an, nichts unternommen zu haben, weil sie negative Konsequenzen fürchteten.
Innenministerium kündigt Gewaltprävention an
«Wir müssen mehr tun, um die Menschen zu schützen, die unser Land jeden Tag am Laufen halten - ob auf dem Amt oder als Retter in der Not», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die sich von den Ergebnissen der Studie erschüttert zeigte. An die Beschäftigten appellierte sie, «jeden Übergriff ernst zu nehmen, zu melden und zur Anzeige zu bringen». Ihr Ministerium wolle sich gemeinsam mit den Gewerkschaften für eine bessere Gewaltprävention und einen besseren Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsetzen.
Beamtenbund fordert Dokumentation, Beistand und Gefährungsbeurteilungen
Der Vorsitzende des Beamtenbundes dbb Ulrich Silberbach betonte: «Die Daten bestätigen unsere langjährigen Forderungen nach einer systematischen Erfassung der Angriffe auf die Beschäftigten und der Methoden der Prävention, Reaktion und Nachsorge. Es muss aufhören, dass die Ahndung der Fälle weitgehend volatilen Bewältigungsmustern vor Ort folgt. Neben dem breiten Konsens, dass eine Attacke auf Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staats ein Angriff auf unsere demokratischen Institutionen und Werte und damit auf uns alle ist, brauchen wir bundesweit umfängliche einheitliche Handlungsempfehlungen, um die Kolleginnen und Kollegen nachhaltig zu schützen. Und ihnen in dem Fall, der dann trotz bestmöglicher Prävention doch eintritt, konsequent und sofort zur Seite zu stehen.»
Die belegte hohe Dunkelziffer müsse alle alarmieren. Es könne nicht angehen, dass attackierte Beschäftigte Vorfälle nicht anzeigten, weil sie sich von ihren Vorgesetzten ohnehin keine Unterstützung versprächen, so Silberbach. «Wenn der Stellenwert des Themas Gewalt gegen Bedienstete mit jeder Hierarchieebene abnimmt, ist das schlicht ein Skandal. Auch da müssen wir ran – mit entsprechenden Fortbildungen und der Entwicklung von Leitfäden.»
Auch die Verbreitung von Gefährdungsbeurteilungen müsse erhöht werden, forderte der dbb Chef.
Friedhelm Schäfer, dbb Vize und Fachvorstand Beamtenpolitik, untermauerte im Vorfeld der Fachtagung zur Veröffentlichung der FÖV-Studie «Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes» am 24. Juni 2022 in Berlin die dbb-Forderungen nach einem effektiveren Schutz der Beschäftigten vor jeglicher Form von Gewalt. «Die Sicherheit der Menschen im öffentlichen Dienst muss für alle Dienst- und Arbeitgebenden oberste Priorität haben. Wer will, dass der Staat verlässlich funktioniert, muss sich schützend vor diejenigen stellen, die ihn tragen.»
Von Politik und Gesellschaft, aber ebenso von den Führungskräften im öffentlichen Dienst erwarte der dbb deutlich mehr Respekt und Rückhalt.
Vorfälle nehmen seit 2019 zu
Vergleicht man die Ergebnisse der Befragungen des Jahres 2019 mit den Resultaten der zweiten Befragung zwischen Anfang Oktober 2020 und Ende September 2021, so zeigt sich, dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst - mit Ausnahme der Hochschulen und der kommunalen Sozial- und Arbeitsverwaltung - während der Pandemie insgesamt häufiger Gewalterfahrungen gemacht haben. Eine Zunahme beobachteten die Forscher den Angaben zufolge vor allem in den Bürgerämtern, bei Gerichtsvollziehern, Justiz und gegen Mitarbeiter des Ordnungsamtes. Letztere waren zeitweise stark damit beschäftigt, staatliche Anti-Corona-Maßnahmen durchzusetzen.
Beschäftigte bewerten Schulungen zur Eigensicherung positiv
Sogenannte Deeskalations- und Kommunikationstrainings wurden von den Beschäftigten als präventive Maßnahme vergleichsweise schlecht bewertet. Positiver wird das Aufwand-Nutzen-Verhältnis von Schulungen zur Eigensicherung bewertet. In fünf der acht betrachteten Beschäftigungsbereiche kommen Alarmsysteme zum Einsatz. Im Justizvollzug werden sie demnach fast flächendeckend eingesetzt, in der Arbeits- und Sozialverwaltung ebenfalls sehr häufig (79 Prozent).
Hintergrund zur Durchführung der Studie
An der Befragung beteiligten sich mehr als 10.600 Menschen, wobei die Forscher allerdings vermuten, dass höchstwahrscheinlich überproportional viele Beschäftigte die Fragen beantwortet haben, die selbst Opfer von Gewalt wurden. Von den Beschäftigten, die solche Übergriffe erlebt haben, berichteten den Angaben zufolge 44 Prozent, sie hätten dadurch nun ein ungutes Gefühl bei der Arbeit. Jeder vierte Betroffene litt demnach unter psychischen Problemen wie Schlafstörungen, depressiven Verstimmungen oder Depressionen.
Beschäftigte, die Opfer oder Zeuge von Gewalt wurden, bewerteten die Unterstützung durch die jeweilige Behörde oder Dienststelle zu 37 Prozent als schlecht oder sehr schlecht. Genauso viele Betroffenen äußerten sich ambivalent. Gut oder sehr gut wurde die Unterstützung von 28 Prozent der Opfer oder Zeugen bewertet.
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