Unlängst hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) einen Fall (Urteil vom 27.6.2017, Az. 9 AZR 851/16) zu entscheiden, der hinsichtlich der vertraglichen Gestaltung etwas ungewöhnlich war. Ein und dieselbe natürliche Person hat mit ein und derselben juristischen Person zwei Verträge vereinbart: einmal einen Arbeits- und zum anderen einen (freien) Dienstvertrag – und zwar gleichzeitig. Eine Musikschullehrerin hatte demnach ein Teilzeitarbeitsverhältnis mit einer Musikschule, zugleich wurde mit ihr ein Vertrag über eine freie Mitarbeit abgeschlossen. Drei Instanzen haben sich mit dem Fall beschäftigt, immer mit demselben Ergebnis: Die Klägerin war unterlegen.
Arbeitsvertrag und freies Dienstverhältnis sind möglich – nebeneinander
Das BAG hat ebenso wie die Vorinstanzen das Vertragsverhältnis der freien Mitarbeit als solches unbeanstandet gelassen. Damit kam es nur noch darauf an, ob ein Vertragsverhältnis als einheitlich zu sehen ist, oder ob tatsächlich zwei verschiedene Vertragstypen bei ansonsten gleichen Vertragsparteien – und zudem sehr ähnlichen Tätigkeiten – in Betracht kommen können.
Zunächst überprüfte das BAG „schulbuchmäßig“, ob denn im freien Dienstvertrag tatsächlich ein solcher zu sehen sei und eben keine Scheinselbstständigkeit. Dabei attestierten die Richter dem Landesarbeitsgericht ein beanstandungsfreies Vorgehen, bevor das BAG ausführt: „Ebenso wie ein Arbeitnehmer mehrere Arbeitsverhältnisse (BSG 31. März 2017 - B 12 R 7/15 R - Rn. 49) – auch zu ein und demselben Arbeitgeber – eingehen kann, ist es rechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen, dass er zur selben Person in einem Arbeitsverhältnis und darüber hinaus in einem Dienstverhältnis steht.“
Abgrenzung Dienstvertrag: BAG zeigt klare Kante
Eine erfreulich klare Aussage. Warum auch sollte im Arbeitsrecht anderes gelten als in anderen zivilrechtlichen Situationen: Hat jemals jemand daran gezweifelt, dass ich bei einem Rechtsanwalt sowohl eine freie Dienstleistung einkaufen und zugleich bei ihm in einem Wohnraum-Mietverhältnis stehen kann? Nein. Also, warum nicht auch neben einem Arbeitsverhältnis ein freies Dienstverhältnis.
So klar dies in diesem Fall alle Instanzen gesehen hatten, so wichtig ist aber die tatsächliche Grundlage dieser Entscheidung: Es muss sich eben um ein „lupenreines“ freies Dienstverhältnis handeln. Nur wo „freier Dienstvertrag“ draufsteht und vor allem drinsteckt, liegt auch ein freies Dienstverhältnis wirklich vor.
Gegen Scheinselbstständigkeit: Kriterien für sauberen Dienstvertrag
Das heißt im Wesentlichen Weisungsfreiheit: der Unterricht wird frei und eigenständig gestaltet, die Unterrichtsstunden werden selbst festgelegt, die Materialbeschaffung erfolgt nicht über die Schule, kaum Kontrolle des Unterrichts selbst, keine Inanspruchnahme sonstiger Weisungsrechte und so weiter und so weiter.
Dass im konkreten Fall vor dem BAG auch die vertragliche Gestaltung „gepasst“ hat und den Willen der Vertragspartner deutlich zum Ausdruck brachte, war in dieser Entscheidung zudem erheblich. Handelt es sich also um ein „Modell“?
Dienst- und Arbeitsvertrag: Vorsicht! Nachahmung nur kaum zu empfehlen
Ja – und nein. Denn es ist klar, dass das Risiko, das einem solchen gesplitteten Vertragsverhältnis zugrunde liegt, hoch ist, dass der Umgang sorgsam erfolgen muss und dass die Konstruktion insgesamt filigran und anfällig ist. Groß mag zum Beispiel das Risiko sein, jemandem – der „sonst“ als Arbeitnehmer im Hause ist - in der Zeit, in der er als freier Dienstnehmer da ist, eine Weisung zu erteilen oder ihn in Abläufe zu integrieren. Was kann man sich vorstellen – und was eher nicht?
Die Splittung wird umso einfacher umzusetzen sein, je „lebbarer“ sie ist – also etwa, je klarer die zeitliche Lage der einzelnen Vertragsbestandteile umgesetzt wurde. Ist der Vertragsnehmer immer vormittags oder immer Montag bis Mittwochmittag „als Arbeitnehmer“ beschäftigt, wäre schon einmal klar in welchen Zeiträumen das Weisungsrecht ausgeübt werden kann – und zu welchen nicht.
Dienst- und Arbeitsverhältnis: Klare Trennung führt zu Rechtssicherheit
Eine Splittung wird nur möglich sein, wenn auch tatsächlich ein freies Dienstverhältnis darstellbar ist. Das dürfte noch relativ einfach sein – wie hier – bei Musiklehrern, womöglich auch bei Anwälten, Ärzten oder bei bestimmten Handwerkern (wobei bei Letzteren weniger ein freies Dienstverhältnis als „Zweitvertrag“ in Betracht kommen mag, als vielmehr ein Werkvertrag).
Und: Die Splittung muss der bestehenden sozialgerichtlichen Rechtsprechung genügen – das ist bei Narkose-Ärzten und Physiotherapeuten in Praxen also bekanntermaßen eher kritisch.
Wirkung der BAG-Entscheidung: Kein Flächenbrand zu befürchten
Die weitere Wirkung der Entscheidung? Ich denke, sie eröffnet im Einzelfall gewisse Chancen, wird aber keine Breitenwirkung entfalten. Natürlich, es mag zunächst charmant erscheinen, einen Hausmeister halbtags zu beschäftigen, der nachmittags nach dem Ticket-System Werkverträge abarbeitet. Dies gilt auch für den Anwalt, der vormittags als Syndikus und nachmittags als Rechtsanwalt arbeitet (wenn das Berufsrecht dies denn zuließe). Auch interessante Brutto-Netto-Effekte tun sich auf: „preisgünstige“ Krankenversicherung, Verrechnung der Mehrwertsteuer und so weiter.
Aber am langen Ende gibt es mindestens zwei Prüfinstanzen: das Arbeitsgericht wie auch die Sozialversicherung. Ein erhöhtes Risiko also. Das einzugehen kann nur in klaren Fällen empfohlen werden.
Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.