Zielverfehlung auf fast allen Ebenen
Das lang erwartete Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRStärkungsG) soll, so das Versprechen im Koalitionsvertrag, die bAV insbesondere für die Mitarbeiter kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) stärken. Für eine Erreichung dieses Ziels ist es notwendig, die aktuell geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen der bAV so zu ändern, dass diese Vorsorgeform deutlich und für die Zielgruppe erkennbar attraktiver und verständlicher wird. Leider verfehlt der jetzt vorliegende Referentenentwurf dieses Ziel trotz vorangegangener mehr als zweijähriger intensiver Diskussion auf sehr vielen Ebenen.
Probleme der bAV: zu hohe Komplexität, zu wenig Anreize
Die gegenwärtig geltende und vom Arbeitnehmer ganz oder teilweise per Entgeltumwandlung finanzierte bAV leidet an einem erheblichen Mangel an Attraktivität, welcher insbesondere aus zu hoher Komplexität – was die Menschen nicht verstehen, machen sie nicht –, mangelnden Anreizen für Geringverdiener und Einflüssen der gesetzlichen Sozialversicherung resultiert.
Insbesondere letzteres hat Signalwirkung: Auf den Beitrag zur bAV spart der Arbeitnehmer zwar seinen Anteil an den Sozialabgaben ein (bei Durchschnittseinkommen circa 20 Prozent), wird aber im Rentenalter mit den vollen Kranken- und Pflegekassenbeiträgen belastet und bekommt aufgrund der Entgeltumwandlung weniger gesetzliche Rente; zusammen belastet dies die Betriebsrente einer 40-jährigen Person mit bis zu 35 Prozent.
Diese 20-35-Asymmetrie (20 Prozent heute sparen, 35 Prozent später zahlen) führt dazu, dass die bAV in nicht wenigen Fällen schlechter ausfällt als eine private Vorsorge der Schicht 3; besonders schlecht ist die Situation bei Doppelverbeitragung.
Fünf Punkte, um die Attraktivität der bAV tatsächlich zu steigern
Insbesondere fünf Punkte wären aus meiner Sicht nötig, um die Attraktivität der bAV deutlich zu steigern und damit diejenigen 70 Prozent der Arbeitnehmer von KMU ins Boot zu holen, die bisher über keine Betriebsrente verfügen können und das Volumen der bAV allgemein zu erhöhen:
- Beseitigung der oben genannten 20-35-Asymmetrie und zusätzlich der Doppelverbeitragung
- Beendigung der Anrechnung der Betriebsrente auf die Grundsicherung
- Reduzierung der hohen Komplexität der bAV; ein erster Schritt dafür wäre: Höchstgrenze für steuer- und (!) sozialabgabenfreie Beiträge zur bAV (zur Zeit vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze) spürbar auf mindestens acht Prozent erhöhen, damit höhere Volumina über einen einzigen Durchführungsweg realisierbar sind
- Kosten der bAV für Arbeitgeber reduzieren, indem insbesondere der Rechnungszins für steuerliche Pensionsrückstellungen von gegenwärtig sechs Prozent deutlich reduziert wird
- Einführung eines gesetzlichen Opting-out zur schnellen Verbreitung der reformierten und attraktiveren bAV
Alternative zu #Betriebsrentenstärkungsgesetz und #Nahles-Rente : Fünf Ideen, um die Attraktivität der #bAV tatsächlich zu steigern
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Dagegen sieht der Referentenentwurf einerseits Maßnahmen vor, die neben der bestehenden Sphäre (bAV I) eine neue, tarifvertraglich geregelte und insbesondere in §§ 21 bis 25 E-BetrAVG verankerte "Sozialpartner"-Welt (bAV II) schaffen, und andererseits neue Regelungen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht, die für bAV I und II gleichermaßen gelten.
Betriebsrentenstärkungsgesetz: Eckpunkte der Nahles-Rente
Eckpunkte der durch Tarifvertrag regelbaren bAV II im BRStärkungsG sind:
- Zwingend zu vereinbarende Beitragszusage ohne Mindestleistung und damit ohne Subsidiärhaftung des Arbeitgebers ausschließlich über Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds; dazu können gemeinsame Einrichtungen der Sozialpartner (z.B. Metallrente) genutzt bzw. gegründet oder externe Versorgungsträger betraut werden.
- Auch bereits bestehende bAV darf einbezogen werden.
- Lebenslange Leibrente ohne Kapitalwahlrecht ist zwingend.
- Alle Anwartschaften der bAV II, auch die arbeitgeberfinanzierten, sind sofort gesetzlich unverfallbar.
- Wird bAV II zwischen den Sozialpartnern vereinbart, muss der Arbeitgeber bei Entgeltumwandlung 15 Prozent Zuschuss zahlen.
- Opting-out kann auch für schon bestehende Arbeitsverhältnisse durch Tarifvertrag vereinbart werden.
- Flankiert wird die bAV II durch Spezialreglungen zu gesondertem Anlagestock bzw. Sicherungsvermögen im VAG und der Pensionsfonds-Aufsichtsverordnung.
- Nicht tarifgebundene Arbeitgeber/Arbeitnehmer können die bAV II ebenso mit denjenigen Inhalten vereinbaren, die der Tarifvertrag ihrer Branche regelt.
Für bAV I und II sieht das BRStärkungsG eine Reform des Steuer- und Sozialversicherungsrechts wie folgt vor:
- Ausdehnung des steuerfreien Höchstbeitrages des § 3 Nr. 63 EStG auf insgesamt 7 ProzentBBG Renten West ohne die 1.800 Euro-Pauschale
- Reduzierung jener neuen Höchstgrenze bei Nutzung der Pauschalversteuerung gemäß § 40b EStG um den tatsächlich pauschal versteuerten Beitrag statt um wie bisher 1.800 Euro unabhängig von der Höhe des pauschal versteuerten Volumens
- allerdings: Weiterhin Beibehaltung der sozialabgabenfreien Höchstgrenze gem. § 1 Abs. 1 Nr. 9 SvEV bei 4 Prozent jener BBG
- verbesserte Sondervorteile im § 3 Nr. 63 E-EStG bei Ausscheiden aus dem ersten Arbeitsverhältnis (steuerfreie Vervielfältigung) oder steuerfreie Nachholung von Beitragslücken nach ruhendem Arbeitsvertrag
- zusätzlich steuer- und sozialabgabenfreier Förderbeitrag gemäß § 100 E-EStG bei Arbeitgeberfinanzierung von mindestens 240 Euro bis zu 480 Euro pro Jahr für Geringverdiener (laufender Arbeitslohn nicht über 2.000 Euro monatlich); der Arbeitgeber erhält 30 Prozent jenes von ihm zu finanzierenden Beitrages durch Abzug von der abzuführenden Lohnsteuer ersetzt
- Beseitigung der Doppelverbeitragung mit gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherung bei bAV mit Riesterförderung
- Einführung eines Freibetrages bei Anrechnung von lebenslangen Rentenleistungen aus bAV, Riesterverträgen und Basisrenten auf die Grundsicherung in Höhe von 100 Euro p.m. plus 30 Prozent des übersteigenden Betrages, höchstens jedoch 50 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 (2016: 202 Euro).
Alle Maßnahmen des BRStärkungsG sollen zum 1. Januar 2018 in Kraft treten.
Kritik am Entwurf des Betriebsrentenstärkungsgesetzes
Die Einführung einer reinen Beitragszusage ohne Mindestleistung hat ihre Tücken: Sie ist einerseits zu begrüßen, da sie die Realisierung kapitalmarktorientierter Anlagen in der bAV ermöglicht, welche aufgrund der Subsidiärhaftung des Arbeitgebers bisher kaum möglich war; die bAV ist damit potenziell besser gegen das Problem Niedrigstzins gewappnet. . Andererseits aber könnte erheblicher Widerstand bei den Rentenempfängern laut werden, wenn die Risiken des Kapitalmarktes tatsächlich eine Reduzierung ihrer als Zielrente definierten und daher nicht garantierten Leistung bewirken würden. Den Arbeitnehmern heute klarzumachen, dass sie später möglicherweise mehr bekommen, wenn man die bisherigen Garantien über Bord wirft, es aber auch weniger als die Garantieleistung sein kann, dürfte nicht einfach sein.
Keine Mitarbeiterbindung und Zwang zum Arbeitgeberzuschuss durch reine Beitragszusage
Außerdem eröffnet nur die bAV II diesen Vorteil. KMU werden ihn, wenn tarifvertraglich nicht gebunden – und das trifft auf die meisten dieser Firmen zu – nur selten nutzen wollen, da sie einen Zwang zum Arbeitgeberzuschuss, der untrennbar mit Entgeltumwandlung der bAV II verbunden ist, ebenso ablehnen werden wie eine sofortige Unverfallbarkeit arbeitgeberfinanzierter Anwartschaften, denn mit diesen lässt sich keine Bindung von Arbeitnehmern an das Unternehmen erzielen.
Nicht selten dürfte der erzwungene Arbeitgeberzuschuss in Höhe von 15 Prozent als Betrag gesehen werden, mit dem sich der Arbeitgeber von seiner bisherigen Subsidiärhaftung freikaufen kann („pay to forget“ statt „pay and forget“), was der Regelung einen zwielichtigen Touch verleihen könnte.
Die Arbeitnehmer jener tarifvertraglich nicht gebundenen KMU ohne bAV II wird es möglicherweise erzürnen, wenn sie von Kollegen anderer Unternehmen hören, welche Vorteile die bAV II (Kapitalmarktorientierung und Arbeitgeberzuschuss) bietet. Unternehmen hingegen, die die bAV II einführen, könnten dies auf Kosten der Arbeitnehmer tun, indem sie bestehende bAV I mit möglicherweise hohen Garantieleistungen kündigen. Davon unabhängig tragen zwei parallele Welten, nämlich bAV I und II, nicht zum leichteren Verständnis der Materie bei; dies gilt nicht nur für die Arbeitnehmer, sondern auch die Berater. All dies sorgt für potenzielle Unruhe und deutliche Verkomplizierung in der bAV-Welt, die gerade aktuell niemand gebrauchen kann und die man ja gerade abbauen wollte.
Zusatzförderung: "nice to have"
Im Bereich des Steuer- und Sozialversicherungsrechts sind die Anrechnung des tatsächlich gemäß § 40b EStG pauschal versteuerten Beitrags, die Erweiterung der bereits bestehenden Vervielfältigung und die Einführung einer steuerfreien Nachholung von Beitragslücken im Rahmen des § 3 Nr. 63 EStG zu begrüßen; dies gilt auch für die bis zu 480 Euro pro Jahr arbeitgeberfinanzierte Zusatzförderung für Geringverdiener.
Es handelt sich bei diesen Maßnahmen jedoch um Reformschritte, die unter "nice to have" fallen und das Gesamtspektrum darüber hinaus weiter verkomplizieren; der Gesetzgeber hätte wesentlich besser daran getan, die oben genannten fünf "Must"-Punkte tatkräftig abzuarbeiten und die bAV zu verschlanken.
Steuerfreie Höchstgrenze: Mogelpackung
Stattdessen ist die Erweiterung der Höchstgrenze für laufende Beiträge auf sieben Prozent der allgemeinen BBG Renten West eine Mogelpackung und sogar kontraproduktiv. Aufgrund des Wegfalles der 1.800 Euro-Pauschale im § 3 Nr. 63 E-EStG nämlich bedeutet sie auf Basis der BBG 2017 eine Erhöhung von lediglich 46,50 Euro monatlich; damit kann man weder das wichtige Zeichen setzen, dass alle Beteiligten die Reform als dringend notwendige Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft begreifen, noch eine Entkomplizierung der bAV herbeiführen.
Das dem Referentenentwurf vorausgegangene Gefeilsche des BMF um jene Höchstgrenze ist geradezu kleinkariert und unwürdig, da es das Signal vermittelt, der Finanzminister wolle das bAV-Volumen gar nicht tatkräftig ausbauen. Hinsichtlich der Steuereinnahmen bringt es ohnehin nicht den gewünschten Effekt: Diejenigen nämlich, die sich mehr Beitrag als die Höchstgrenze des § 3 Nr. 63 E-EStG leisten können, werden dazu weiterhin Unterstützungskassen oder Direktzusagen nutzen.
Beibehaltung der Sozialversicherungsfreiheit bei vier Prozent ist absurd
Völlig absurd wird es bei dem Zusammenspiel von Steuer- und Sozialabgabenfreiheit: Mit der Ausdehnung der maximalen Steuerfreiheit auf sieben Prozent der BBG ohne gleichzeitige Veränderung der sozialabgabenfreien vier Prozent sorgt der Gesetzgeber systematisch für deutlich mehr Doppelverbeitragung bei gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherung als bisher (lediglich bei Riester-bAV baut er jene Doppelverbeitragung ab). Niemand, der nicht über der Beitragsbemessungsgrenze Krankenversicherung verdient und Effektiv-Renditen berechnen (lassen) kann, wird daher künftig Lust verspüren, mehr als vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze Renten – also dasselbe wie bisher – in seine bAV zu investieren. Die Reform erreicht somit auch in diesem Punkt diejenigen nicht, deren Engagement dringend notwendig wäre.
Fazit zum Betriebsrentenstärkungsgesetz: Verunglückte Reform mit halbherzigen Einzelvorschlägen
Insgesamt gesehen sind die im Referentenentwurf des BRStärkungsG enthaltenen Reform-Vorschläge Stückwerk, da sie nicht aus einem Guss kommen. Sie fallen halbherzig und nicht tatkräftig aus, setzen daher keine konkreten Zeichen für die Zukunft, sondern sorgen stattdessen für Unruhe, zusätzliche Komplexität und sogar Verschlechterungen bedeutender Rahmenbedingungen.
Kein einziger der zur dringend notwendigen Steigerung der Attraktivität der bAV erforderlichen und oben in fünf Punkten aufgeführten Schritte wird wirklich erreicht: Die Komplexität nimmt durch die Parallelwelt der bAV II deutlich zu, as Problem der Doppelverbeitragung wird systematisch erweitert und nur bei der Riester-bAV beseitigt. Die Eliminierung der Anrechnung auf die Grundsicherung wird mehr als halbherzig vorangetrieben und das sehr vielversprechende Instrument des Opting-out verkommt, da rein tarifvertraglich zu regeln, was bereits bisher möglich war, zu einem zahnlosen Tiger.
Eine derart verunglückte Reform bietet den Medien exzellente Angriffspunkte, das Gesetzesvorhaben genüsslich zu zerreißen, so wie es auch bei der Riesterrente erfolgreich praktiziert worden ist. Das ZDF hat das Gemetzel bereits am 16.11.2016 mit der Sendung „ZDF-Zoom: Das Rentendebakel“ begonnen; es wird nicht der letzte Beitrag dieser Art bleiben.
In einem Satz zusammengefasst erinnert der Referentenentwurf des BRStärkungsG stark an die Parabel vom Blindensturz im Matthäus-Evangelium, in dem Jesus in 15,14 sagt: "Lasst sie, sie sind blinde Blindenführer. Wenn aber ein Blinder den anderen führt, so fallen sie beide in die Grube."
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