Der Ton ist rauer und rüde geworden in der Politik, insbesondere soweit es das Arbeitsrecht betrifft. Denkwürdig der Satz der (bald) ehemaligen Ministerin für Arbeit und Soziales, damals gerichtet an eine vermeintliche Jamaika-Regierung: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse“. Und mittlerweile können wir auch mit Blick auf den Koalitionsvertrag ein wenig erahnen, was das bedeuten kann – auch wenn die CSUler bayerisch gediegen meinen: „Passt scho“.
Arbeit 4.0: Was der Koalitionsvertrag nicht enthält
Was erwartet den betrieblich geprägten Arbeitsrechtler in einer Industrie 4.0, um die Arbeit 4.0 mitgestalten zu können? Deregulierung, Modernisierung, mehr Selbstverantwortung? Also etwa Deregulierung im Arbeitszeitrecht; Modernisierung was Schriftformerfordernisse und Aushangpflichten angeht, auch bezüglich Betriebsratswahlen vielleicht; mehr Selbstverantwortung, indem individuelle Vereinbarungen mehr zählen und weniger mit staatlicher oder sonstiger Regulierung gesteuert wird.
Um es kurz zu machen: All das… gibt es nicht – zumindest nicht die nächsten etwa vier Jahre in Deutschland.
Die Themen des Koalitionsvertrags: Entbürokratisierung, befristete Teilzeit, Weiterbildung
Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche, der Entwurf zum GroKo-Vertrag, ist ein durchgängig uneinheitliches Papier, das sichtbar verschiedene Autoren gestaltet haben. So ist dort etwa der Satz zu lesen, „im ersten Jahr der Gründung [werden wir] die Bürokratisierung auf ein Mindestmaß reduzieren“ (Warum eigentlich nur im ersten Jahr, wenn doch – richtig! – die Bürokratisierung als Hemmnis erkannt wird?) und wenige Seiten weiter die Stichworte „Weiterbildungsberatung durch die Bundesagentur“, „Arbeitnehmerüberlassungsgesetz evaluieren“, „Recht auf befristete Teilzeit“ .... Ab morgen kriegen Sie in die Fresse – eben.
Das bringt der Koalitionsvertrag konkret
Was erwartet uns aber nun konkret? Das ist mal mehr, mal weniger deutlich im Papier zu lesen. Mit ein wenig Phantasie kann sich der geneigte Leser jedoch sehr gut vorstellen, was uns erwartet:
- Weitere Initiativrechte der Betriebsräte auf Weiterbildung (Klartext: erhöhte Transaktions- und Verhandlungsaufwände),
- Beschäftigtendatenschutz (Klartext: mehr Rechtsunsicherheit bei der Erhebung von Daten, mehr Transaktionsaufwände),
- Recht auf Weiterbildungsberatung (Klartext: wie früher wird die Bundesagentur verantwortlich gemacht für Bildungsaufgaben – das ist schon mal gefloppt),
- Einschränkung des Befristungsrechts (nota bene nicht für Fußballer, aha, sind wir nicht alle ein wenig Beckenbauer?!?),
- mehr Regulierung bei der Arbeit auf Abruf (Klartext: mehr Eingriffe in die Vertragsfreiheit und Verlust von Regelungsmaterien der Tarifpartner),
- Recht auf befristete Teilzeit (Klartext: erhöhte Administrationsaufwände und Rechtsunsicherheit),
- Evaluierung des Gesetzes für mehr Frauen in Führungspositionen (Klartext: da gibt es einen Nachklapp) und
- Evaluierung des Arbeitnehmerüberlassungsrechts (Klartext: noch mehr Einschränkungen).
Viel mehr ist auf vier (ja, wirklich nur vier) Seiten eben nicht unterzubringen gewesen. Soll uns das Hoffnung oder Bange machen? Nun, die eingangs erhofften Themen sind völlig ungenannt geblieben. Das lässt nicht hoffen. Die im Koalitionsvertrag genannten Themen lassen viel mehr Regulierung und Eingriffe erwarten. Auch das macht keine Hoffnung. Also… wieder in die Fresse? Meine These jedenfalls: auf wenigen Zeilen viel Potential für Regulierung!
Die Lichtblicke: Mehr Spielraum zum Arbeitszeitgesetz
Es gibt jedoch auch ein paar kleine Lichtblicke im Vertrag – vielleicht werden sie das „Passt scho“? Zum Beispiel soll eine Tariföffnung im Arbeitszeitgesetz für „Experimentierräume“ geschaffen werden. Höchste Zeit. Ich hoffe, dass die Regierung nicht weniger mutig ist, als es die Tarifpartner sein werden. Ich hoffe auf sehr weite Spielräume.
Meine These jedoch: Die Regierung traut auch den Gewerkschaften und Arbeitgebern nicht – ein paar kleinere Öffnungsklauseln wird es geben. Punkt.
Zeitwertkonten: Erleichterung bei der Insolvenzsicherung
Gestellt wird immerhin die Frage, „wie das Instrument der Langzeitarbeitskonten gefördert werden kann“. Nun, das ist die am einfachsten zu beantwortende: Entbürokratisierung und Deregulierung der entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften. Es sollte sich mal einer der Erfinder der Regelungen hinsetzen und für sein Unternehmen eine Zeitwertkontensicherung einrichten: Da würde die Läuterung aber schnell erfolgen!
Meine These: Vielleicht ein klein wenig Erleichterung bei der Insolvenzsicherung. Das wird aber niemanden wirklich dazu anregen, das Instrument dann zu nutzen!
Mobile Arbeit: Verschlimmert der Gesetzgeber die Vorlage der Metaller?
Auch thematisiert wird die Frage, wie man mobile Arbeit fördern sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verbessern kann. Eigentlich auch ganz einfach, die Metall-Sozialtarifpartner haben es gerade vorgemacht. Allerdings auf einem Feld, auf dem es keine gesetzlichen Regelungen gab – ob die Sozialpartner anderer Branchen nachziehen, wenn der Gesetzgeber mit einem Rahmengesetz initiativ wird?
Meine These: Verbessern wird es der Gesetzgeber nicht.
Ausblick: Regulierung, Unsicherheit und ein wenig Hoffnung
Vielleicht haben es die Liberalen gar nicht so falsch gemacht: Lieber nicht regieren, als schlecht regieren. Ich lasse mich gerne von etwas anderem überzeugen – aber was den Arbeitsrechtspraktiker angeht, erwartet er wieder jede Menge Änderungen, Regulierung, Unsicherheit für die rechtliche Zukunft. Andererseits: Vier Jahre sind ja keine Ewigkeit.
Und lassen Sie uns alle hoffen: Auch wenn etwas nicht im Koalitionsvertrag steht, könnte es ja trotzdem kommen!
Alexander R. Zumkeller, Präsident des
Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.