Tarifliche Freistellungstage verfallen bei Krankheit nicht

Beschäftigte, die in Schicht arbeiten, Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, haben oftmals einen tariflichen Anspruch auf Zusatzgeld oder zusätzliche freie Tage. Was gilt, wenn Arbeitnehmende an einem solchen Freistellungstag arbeitsunfähig erkranken? Ist der Tag dann verloren oder bleibt der tarifliche Freistellungsanspruch ähnlich wie der Urlaubsanspruch bestehen?
Während das LAG Nürnberg kürzlich entschied, dass ein solcher Anspruch bereits mit Gewährung der Freistellung erfüllt ist, urteilte das LAG Stuttgart vorliegend, dass der tarifliche Freistellungsanspruch der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg-Nordbaden ein Verschaffungsanspruch ist und demnach erst erfüllt ist, wenn der Arbeitnehmende den Freistellungstag tatsächlich nutzen kann.
Der Fall: Arbeitsunfähigkeit während der Freistellung
Der Arbeitnehmer ist seit 2007 als Systemmonteur tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg-Nordbaden Anwendung. Darin ist ein Anspruch auf tarifliche Freistellungszeit in besonderen Fällen vorgesehen. Beschäftigte können unter anderem Freistellungstage statt eines tariflichen Zusatzgeldes in Anspruch nehmen, wenn sie Kinder unter acht Jahren im eigenen Haushalt betreuen. Der Arbeitnehmer erfüllt diese Voraussetzungen.
Arbeitnehmer verlangt Nachgewährung der Freistellungstage
Bereits Anfang 2020 beantragte er seine Freistellung für den Zeitraum vom 6. bis 9. April 2020. Der Arbeitgeber gewährte ihm diese vier Freistellungstage. Dann erkrankte der Mitarbeiter von 9. März bis 9. April 2020. Vom Arbeitgeber wollte er die vier Freistellungstage, während derer er arbeitsunfähig erkrankt war, nachgewährt bekommen. Der Arbeitgeber weigerte sich, da nach seiner Auffassung der Anspruch bereits mit der Gewährung erfüllt sei. Der Arbeitnehmer trage das Risiko, während der Freistellungstage zu erkranken.
LAG: Arbeitgeber muss Freistellungstage nachgewähren
Das LAG Stuttgart entschied, dass der Arbeitnehmer weiterhin Anspruch auf die vier Freistellungstage hat, an denen er arbeitsunfähig krank war. Der Arbeitgeber habe den Freistellungsanspruch nach § 7.14 MTV bislang nicht erfüllt. Dieser ist aus Sicht der Stuttgarter Richter ein "Verschaffungsanspruch". Er beinhaltet nicht allein die Freistellungserklärung des Arbeitgebers, sondern auch die Realisierung der vom Arbeitgeber gewährten Freistellung.
Das Gericht wies in der Begründung darauf hin, dass der Wortlaut nicht eindeutig sei, aber die Tarifsystematik und die mit dem tariflichen Freistellungsanspruch verfolgten Zwecke deutlich machten, dass der Freistellungsanspruch erst erfüllt sei, wenn der Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber gewährten Freistellungstage in Anspruch genommen hat.
Keine Verschlechterung durch Wahlrecht zwischen Zusatzgeld und Freistellungstagen
Es sei ersichtlich, dass die Tarifparteien bestimmte Beschäftigtengruppen aufgrund der besonderen betrieblichen wie privaten Belastungen, denen sie ausgesetzt sind, begünstigen wollten. Da das zusätzliche Urlaubsgeld unabhängig davon gezahlt werde, ob und wie lange Arbeitnehmende im Bezugszeitraum arbeitsunfähig sind, müsse dies auch für die Freistellungstage gelten. Das Wahlrecht zwischen dem tariflichen Zusatzgeld und den tariflichen Freistellungstagen dürfe nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsposition durch Übernahme des Krankheitsrisikos führen, heißt es in der Begründung.
Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen.
Hinweis: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Mai 2021, Az: 12 Sa 6/21; Vorinstanz: ArbG Heilbronn, Urteil vom 10. Dezember 2020, Az: 7 Ca 345/20
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