Streik: Bundestag beschließt Tarifeinheit

Der Bundestag hat den umstrittenen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit beschlossen, mit großer Mehrheit trotz einiger Gegenstimmen aus Union und SPD. Ab voraussichtlich Juli sollen die neuen Regeln gelten – zumindest solange, bis das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zu dem Gesetz fällt.

Anfang März haben die Parlamentarier erstmals über das umstrittene Gesetz zur Tarifeinheit debattiert, nun hat es auch die letzten Hürden im Bundestag genommen: Bereits am Mittwoch hatte der Ausschuss für Arbeit und Soziales – trotz heftiger Kritik der Opposition – keine Änderungswünsche am Gesetzentwurf der Bundesregierung. Nun beschloss das Plenum mit großer Mehrheit das Gesetz – gegen den Widerstand der Opposition. In namentlicher Schlussabstimmung gab es 448 Ja-Stimmen. 126 Parlamentarier stimmten dagegen - darunter 16 Gegenstimmen aus der Union sowie einer aus der SPD. 16 enthielten sich. Das Gesetz dürfte im Juli in Kraft treten.

Klage vor dem Verfassungsgericht angekündigt

Mit dem Gesetz soll die Macht kleiner Spartengewerkschaften eingedämmt werden. Wenn zwei Gewerkschaften in einem Betrieb dieselben Arbeitnehmergruppen vertreten, gilt künftig nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in dem Betrieb. Vor dem Hintergrund des Tarifkonflikts bei der Bahn hatten Gegner das Gesetz als "Lex GDL" kritisiert, also als Projekt, das vor allem gegen die kleine Lokführergewerkschaft GDL gerichtet sei.

Der Beamtenbund DBB, die Ärztegewerkschaft Marburger Bund, der Deutsche Journalisten-Verband und die Pilotenvereinigung Cockpit hatten vor der Abstimmung an die Abgeordneten appelliert, die Verantwortung nicht auf die Verfassungsrichter zu verlagern. Denn mehrere kleine Gewerkschaften wollen in Karlsruhe klagen.

Tarifeinheit: Streikrecht nicht angetastet?

Die Bandbreite möglicher Meinungen zeigte bereits die Anhörung der Sachverständigen vor einigen Wochen. Ähnlich unterschiedlich waren auch die Meinungen der Abgeordneten im Bundestag. In der turbulenten Debatte verteidigte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles das Gesetz als Mittel zur Stärkung der Tarifautonomie. "Das Koalitionsrecht und das Streikrecht tasten wir nicht an." Kollektives Handeln werde aber ad absurdum geführt, wenn nur für einzelne Gruppen gekämpft werde.

Dass das Argument zum "Streikrecht" nur bedingt weiterhilft, hatte jedoch Professor Martin Henssler bereits Ende des vergangenen Jahres im Interview mit Haufe-Online angemahnt: "Das Vorhaben ist aus meiner Sicht offensichtlich verfassungswidrig. Da ist es auch keine Lösung, dass das Gesetz vordergründig keine Regelung zum Streikrecht enthält. Das ist eine Nebelkerze und verdeckt das eigentliche Problem."

Tarifeinheit nicht das Ende kleiner Gewerkschaften

Im Bundestag lobte Nahles die geplante Schlichtung zwischen Lokführergewerkschaft GDL und Bahn. "Das ist der Sinn des Gesetzes: Wir setzen auf Kooperation und Einigung." Der Bahn-Streik war abgebrochen worden, nachdem sich Bahn und GDL auf eine Schlichtung geeinigt hatten.

"60 Jahre lang hat unser Land von der Tarifeinheit profitiert", sagte Nahles. Die GDL habe stets für die Lokführer eintreten können, auch bevor das Bundesarbeitsgericht die Tarifeinheit 2010 kippte. "Die Tarifeinheit läuft nicht auf das Ende kleiner Gewerkschaften hinaus." Der Linke-Fraktionsvize Klaus Ernst hingegen betonte: "Streiks werden unzulässig." Das Gesetz spalte zudem den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).

Unterschiede im Gewerkschaftslager

Auch die DGB-Gewerkschaften Verdi, GEW und NGG sehen in dem Gesetz einen indirekten Eingriff ins Streikrecht. "Wenn in jedem Betrieb ermittelt werden muss, welche Gewerkschaft dort die Mehrheit der Beschäftigten organisiert, wird die Konkurrenz der Gewerkschaften untereinander deutlich zunehmen", sagte Verdi-Chef Frank Bsirske der Deutschen Presse-Agentur zudem.

Dagegen verteidigte DGB-Chef Reiner Hoffmann im Vorfeld der Abstimmung das geplante Tarifeinheitsgesetz. Kleinere Gewerkschaften seien in ihrer Handlungsfreiheit überhaupt nicht eingeschränkt, sagte Hoffmann dem Radiosender NDR Info. Es müsse nur gelingen, dass in Fällen, in denen in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften tarifvertragsfähig seien, eine Kooperation vereinbart werde. "Dort, wo Belegschaften gemeinsam ihre Interessen vertreten, ist dies immer erfolgreicher, als wenn kleine Gewerkschaften partikulare Interessen nur für einzelne Berufsgruppen vertreten."


Arbeitgeber begrüßen Rechtssicherheit durch Gesetz

Der CDU-Sozialpolitiker Karl Schiewerling sagte in der Debatte: "Mit diesem Gesetzentwurf spalten wir nicht, mit diesem Gesetzentwurf einen wir." Nach Ansicht des CDU-Abgeordneten und Marburger-Bund-Chefs Rudolf Henke stellt das Gesetz das Grundrecht der Koalitionsfreiheit dagegen infrage. "Grundrechte stehen allen Menschen in gleicher Weise zu - deshalb kann man sie nicht unter Mehrheitsvorbehalt stellen."

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer begrüßte das Gesetz. Es bringe Rechtssicherheit. Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Rainer Dulger, sagte den Spartengewerkschaften in Karlsruhe einen Misserfolg voraus: Sie hätten sich in der Vergangenheit trotz Tarifeinheit gegründet, etabliert und Arbeitskämpfe geführt.

dpa

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