Welcher Richter über den Mindestlohn entscheidet
Im Grunde genommen waren es Kleinigkeiten, die der Zoll im Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung bei einem Unternehmen monierte. Die Beamten waren unangemeldet erschienen, hatten sich zunächst als Prüfer zur Einhaltung des Mindestlohns vorgestellt und waren insoweit auch fündig geworden. Dennoch verhängten die Beamten im Nachgang der Prüfung ein Bußgeld für einen geringfügigen Verstoß gegen die Mindestlohnvorgaben sowie zusätzlich für eine angeblich unzureichende Stundendokumentation. Die laufende Stundendokumentation, ordnete der Zoll in einer separaten Verfügung an, wolle man in den nächsten sechs Monaten unaufgefordert zugesendet bekommen.
Betriebsprüfung: Beitrags- und Bußgeldbescheid drohen
Das war für den Personalleiter des Unternehmens jedoch nicht alles: Auch die vom Zoll alarmierten Sozialversicherungsprüfer hatten einen Beitragsbescheid verhängt – über einen (geringfügigen) Phantombeitrag, der sich aus der Unterschreitung des Mindestlohns ergab.
Schließlich ein weiterer Bußgeldbescheid: vom Gewerbeaufsichtsamt. Die Begründung: Aufgrund einer Information des Zolls habe das Unternehmen offensichtlich die vom Arbeitszeitgesetz vorgeschriebene Dokumentation der Mehrarbeit nicht geführt. Diese Dokumentation, verfügte nun das Gewerbeaufsichtsamt, müsse daher in den nächsten sechs Monaten unaufgefordert vorgelegt werden.
Zugegeben – an dieser Stelle ist eine Entschuldigung an Zoll und Gewerbeaufsichtsamt angebracht – ist die Geschichte frei erfunden. Sie ist jedoch nicht fern der Realität und zeigt: Ein Besuch des Zolls erschöpft sich nicht in der Prüfung des Mindestlohngesetzes, sondern kann zusätzlich andere Behörden auf den Plan rufen.
Mindestlohnfragen: Ausgebootete Arbeitsrichter
Wie aber kann sich der Personalleiter gegen die Bescheide wehren? Auf den ersten Blick scheint natürlich der Weg zu den Arbeitsgerichten der richtige, schließlich geht es beim Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetz um lupenreine arbeitsrechtliche Fragen. Naheliegend also, dass die Fachgerichte für Arbeitsrecht über die vertretbaren Einwände des Personalleiters entscheiden.
Leider hat der Gesetzgeber eine solche Rechtswegzuweisung im Mindestlohngesetz nicht vorgesehen. Antworten auf die Fragen, wo und wie gegen die geschilderten Entscheidungen vorgegangen werden kann, ergeben sich deshalb aus den allgemeinen Grundsätzen der Rechtswegzuteilung. Für den vorliegenden Fall ergibt sich eine geradezu skurrile Rechtsmittelsituation.
Bußgeld am Amtsgericht, Arbeitszeit am Verwaltungsgericht
Beginnen wir mit den Rechtsmitteln gegen Bußgeldbescheide der Zollbehörde oder des Gewerbeaufsichtsamts. Einschlägig ist das Ordnungswidrigkeitenrecht, das Einsprüche gegen Bußgelder den Amtsgerichten zuweist. Auch wenn der Grund für den Verstoß ein rein arbeitsrechtliches Auslegungsproblem ist, müssen diese entscheiden. Ein Verweis an die Arbeitsgerichte erfolgt nicht.
Und die Verfügungen über die Vorlage von Dokumentationen und Arbeitszeitanweisungen? Im ersten Schritt ist gegen Verwaltungsakte zunächst ein interner Behördengang, das sogenannte Widerspruchs- oder Einspruchsverfahren zu durchlaufen. Danach entscheiden aber erneut nicht die Arbeitsgerichte, sondern die Gerichte, die nach den jeweiligen behördlichen Verfahrensordnungen für die Anfechtung von Verwaltungsentscheidungen zuständig sind. Das sind für Verfügungen des Zolls die Finanzgerichte, für jene des Gewerbeaufsichtsamts die Verwaltungsgerichte.
Und die Entscheidung der Sozialversicherung, aufgrund einer bestimmten arbeitsrechtlichen Auslegung einen Phantomlohn zu erheben? Auch hier wird ein Verwaltungsakt angegriffen und auch hier ist zunächst ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Danach entscheiden die Sozialgerichte.
Auch Urteil des Arbeitsgerichts hilft nicht
Auch die Arbeitsgerichte können natürlich über Mindestlohnfragen entscheiden, wenn beispielsweis der Mitarbeiter, für den der Phantomlohn festgesetzt wurde, auf Zahlung des tatsächlichen Lohns klagt. Letztlich ändert dies aber nichts: Selbst bei einem arbeitsgerichtlichen Urteil, welches zum Beispiel die Ansichten des Personalleiters stützt, muss der Zoll nachträglich nicht zwingend zugeben, die falsche arbeitsrechtliche Meinung vertreten zu haben.
Zumal auch die Richter der unterschiedlichen Rechtszüge nicht gebunden sind und abweichende, ja sogar gegensätzliche Meinungen zu einzelnen Fragen zum Mindestlohn haben können.
Autor: Thomas Muschiol ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht in Freiburg.
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