Als „Wucher“ bezeichnet die Anwältin des Klägers vor dem Bundessozialgericht (BSG) die Praxis der Krankenkassen, auf rückständige Beiträge von Selbstzahlern einen Säumniszuschlag von monatlich 5 % zu erheben (§ 24 Abs. 1a SGB IV). Der Zuschlag macht im Jahr damit immerhin 60 % aus. Betroffen sind von dieser Regelung alle freiwilligen Kassenmitglieder und damit Hunderttausende Freiberufler und Selbstständige mit Beitragsrückständen. Zu diesem Personenkreis gehörte auch der Kläger.
Mitgliedschaft wurde wegen Zahlungsverzug beendet
Der Kläger arbeitet als selbstständiger Restaurator und geriet mit seinen Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Rückstand. Seine Krankenkasse stellte das Ende der freiwilligen Versicherung zum 15.3.2007 fest. Die Beendigung der Versicherung durch die Krankenkasse bei Zahlungsverzug (Ausschluss) war damals noch möglich.
Kein üblicher Satz für Säumniszuschläge
Als die Krankenkasse die Säumniszuschläge entsprechend der gesetzlichen Regelung einforderte, wurden Widerspruch und anschließend Klage eingelegt. Die Regelung sei verfassungswidrig. Der Kläger sei nur bereit, Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV in Höhe von 1 % monatlich zu zahlen, wie er für Arbeitgeber beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag fällig werde und wie es sonst in der öffentlichen Verwaltung üblich sei. Es handele sich bei der Regelung um eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu allen sonstigen Zahlungspflichtigen. Der Säumniszuschlag von 5 % bewege sich im Bereich strafbaren Wuchers und widerspreche den Grundsätzen des sozialen Rechtsstaats.
Richter halten die Regelung für sachlich gerechtfertigt
Der Säumniszins von jährlich 60 % sei nicht verfassungswidrig, entschied das BSG in Kassel mit Urteil v. 29.8.2012 (B 12 KR 3/11 R). Auch ein Säumniszuschlag von monatlich 5 % liege noch im weiten Spielraum des Gesetzgebers. Es handele sich um ein „sachlich gerechtfertigtes Druckmittel“, weil die Krankenkassen säumige Zahler nicht mehr ausschließen dürfen. Mit anderen Bereichen, etwa der Finanzverwaltung, sei der Säumniszuschlag der Krankenkassen "wegen der Besonderheiten der gesetzlichen Sozialversicherung" nicht vergleichbar, so die Richter. Zudem falle ein hoher Verwaltungsaufwand an.
Ein Fass ohne Boden?
Diese Erkenntnis bestätigen Kassenpraktiker sofort. Allerdings mit einer kleinen, aber entscheidenden Einschränkung. Der mit Abstand meiste Aufwand entsteht im Regelfall für die korrekte Berechnung der Säumniszuschläge und den häufig eintretenden Fall, dass die Kasse am Ende durch einen Vergleich oder Erlass doch wieder (in Teilen) darauf verzichtet.
Konkurrierende Ziele
Kassenseitig wird seit langem wieder eine Möglichkeit gefordert, die Versicherung für Nichtzahler beenden zu können. Allerdings läuft dies dem derzeitigen politischen Ziel entgegen, wonach in Deutschland niemand ohne Schutz im Krankheitsfall sein soll. So bleibt nur die vage Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht. Denn die Anwältin des jetzt unterlegenen Klägers will das Urteil nicht hinnehmen.
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